Putzfimmel im Gehirn

 

Magdeburg (26. Mai 2020) — Synapsen bestehen aus Hunderten verschiedener Proteine. Damit sie Hirnsignale richtig übertragen können, müssen ihre Bausteine ständig auf Funktionalität überprüft und bei Verschleiß durch neue ersetzt werden. Ein Forscherteam des Leibniz-Institutes für Neurobiologie Magdeburg, vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen und der Charité in Berlin hat untersucht, wie sich die Funktionsweise von Synapsen im Gehirn entwickelt, wenn das wichtige Synapsen-Protein Bassoon fehlt. Sie fanden heraus, dass der Recycling-Prozess von Synapsenbausteinen dann viel schneller abläuft, weil ein Enzym namens Parkin aktiviert wird, das bei der Parkinson-Krankheit eine wichtige Rolle spielt.

Bisher war über das Enzym Parkin bekannt, dass der Ausfall seiner Funktion zur Parkinson-Erkrankung, auch als Schüttellähmung bekannt, führt. Dabei reichern sich Aggregate von Proteinen im Hirngewebe an, die nicht mehr abgebaut werden können, was – wie immer, wenn sich zu viel Müll ansammelt – normale Funktionen beeinträchtigt und schließlich zum kompletten Funktionsausfall durch den Zelltod führt.


Aufräumen in der Synapse

Das Autorenteam um Dr. Carolina Montenegro und Prof. Dr. Eckart Gundelfinger vom LIN sowie Dr. Sheila Hoffmann-Conaway und Prof. Dr. Craig C. Garner vom DZNE zeigt in der neuen Studie, dass nach der Ausschaltung des Bassoon-Proteins genau das Gegenteil passiert: der „Synapsen-Müll“ wurde schneller abgeholt und die aktiven Proteine waren jünger als in den vergleichbaren Kontrollen. Um das herauszufinden, haben die Forschenden einem der zu entsorgenden Proteine namens SV2 farblich markierte Anhänger verpasst, die ihre Farbe mit zunehmendem Alter ändern – ein Marker für die neuronalen Entsorgungsprozesse. Das SV2-Protein gelangt in synaptische Vesikel, die kleinen Container, die die Botenstoffe enthalten und bei der synaptischen Übertragung ausgeschüttet werden. Anhand des Farbwechsels kann der Alterungsprozess des aktiven Proteins beobachtet werden. Unter dem Elektronenmikroskop zeigten sich weitere Hinweise auf verstärkte Entsorgung von zellulärem Müll – ein Prozess der Autophagie heißt, z.B. eine größere Anzahl von „Müllcontainern“, so genannte Autophagosomen. Die Autoren konnten zeigen, dass in Synapsen ohne Bassoon mehrere Proteine verstärkt für den Abbau markiert wurden. Wurde aber das bei Parkinson defekte Protein Parkin ausgeschaltet, so konnte diesem Prozess entgegengewirkt werden.


Was lernen wir aus diesen Versuchen?

Synapsen mit verändertem Bassoon sind schwächer und können sich nicht so leicht an Veränderungen anpassen, was aber für die Hirnplastizität essentiell ist. „Wir verstehen durch unsere Versuche die Prozesse in den Synapsen, die für das korrekte Funktionieren des gesunden Gehirns unerlässlich sind, besser“ sagt Dr. Carolina Montenegro. „Alle wichtigen Hirnprozesse, Wahrnehmen, Denken, Lernen, Erinnern, Planen für unser Handeln, also die gesamte Informationsverarbeitung, werden durch Synapsen bestimmt. Im Alter verändert sich die Funktionsweise, auch weil solche Müllentsorgungsprozesse nicht mehr richtig funktionieren. Besonders bei Erkrankungen des Gehirns, wie bei der Alzheimerschen oder der Parkinson-Erkrankung, tragen Störungen im Gleichgewicht von Proteinanlieferung und -Entsorgung zu den kognitiven Problemen bei. Um diese Erkrankungen zu verstehen, und vielleicht sogar zielgerichteter eingreifen zu können, müssen wir genau wissen, was schiefgeht, wenn ein Protein bzw. sein Gen falsch oder gar nicht funktioniert.“

 

Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg

Das LIN ist ein Grundlagenforschungsinstitut, das sich Lern- und Gedächtnisprozessen im Gehirn widmet. Das LIN wurde 1992 als Nachfolgeeinrichtung des Institutes für Neurobiologie und Hirnforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR gegründet und ist seit 2011 Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es bildet einen der Eckpfeiler des Neurowissenschaftsstandortes Magdeburg. Das LIN beherbergt moderne Labore für die neurowissenschaftliche Forschung – vom Hightech-Mikroskop bis zum Kernspintomographen.
Aktuell arbeiten rund 230 Personen am LIN, davon ungefähr 150 Wissenschaftler aus rund 28 Ländern. Sie erforschen kognitive Prozesse und deren krankhafte Störungen im Gehirn von Mensch und Tier

 

Originalpublikation

 

 

Abb.: Forschungszusammenarbeit in Corona-Zeiten: Carolina Montenegro im Video-Chat mit Ihren Kooperationspartnern Craig Garner, Sheila Hoffmann-Conaway und Eckart Gundelfinger. Photo: Reinhard Blumenstein/ LIN

 


Quelle: Leibniz-Institut für Neurobiologie, 26.05.2020 (tB).

Schlagwörter:

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…