GESUNDHEITSPOLITIK
AWARDS
Forschergeist gefragt: 14. Novartis Oppenheim-Förderpreis für MS-Forschung ausgelobt
FernstudiumCheck Award: Deutschlands beliebteste Fernhochschule bleibt die SRH Fernhochschule
Vergabe der Wissenschaftspreise der Deutschen Hochdruckliga und der Deutschen Hypertoniestiftung
Den Patientenwillen auf der Intensivstation im Blick: Dr. Anna-Henrikje Seidlein…
Wissenschaft mit Auszeichnung: Herausragende Nachwuchsforscher auf der Jahrestagung der Deutschen…
VERANSTALTUNGEN
Wichtigster Kongress für Lungen- und Beatmungsmedizin ist erfolgreich gestartet
Virtuelle DGHO-Frühjahrstagungsreihe am 22.03. / 29.03. / 26.04.2023: Herausforderungen in…
Pneumologie-Kongress vom 29. März bis 1. April im Congress Center…
Die Hot Topics der Hirnforschung auf dem DGKN-Kongress für Klinische…
Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2023 startet am 14.3.
DOC-CHECK LOGIN
Qualitäts- statt Preisfokus erforderlich
„Versorgungsqualität muss von den Krankenkassen besser kontrolliert werden"
Bonn (31. Januar 2013) – Im Hilfsmittelmarkt findet nach den Umbrüchen der letzten Jahre durch Ausschreibungen und Wegfall der Zulassungen langsam eine Umorientierung statt: vom Preisfokus hin zur Versorgungsqualität, vom Vertragsdiktat hin zu partnerschaftlichen Verhandlungen. Das war das Fazit der Experten der MedInform-Konferenz "Hilfsmittelverträge im Wandel der Zeit – Ist unser Vertragssystem zukunftsfähig?" am 30. Januar 2013 in Bonn.
Klaus Lotz, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT), forderte die Weiterführung des eingeleiteten Prozesses weg von der Preisfokussierung hin zu mehr Transparenz im Verhandlungsgeschehen und mehr Versorgungsqualität bei Produkten und Dienstleistungen. "Krankenkassen und Leistungserbringer haben hier ein gemeinsames Ziel: die Versorgung der Patienten sicherzustellen." Detlef Klaus von Abena verwies darauf, dass die Qualitätskriterien des Hilfsmittelverzeichnisses zu aufsaugenden Inkontinenzprodukten aus dem Jahr 1994 stammen. Daran müsse dringend gearbeitet werden, um die erforderliche Qualität klar und auf dem modernen Stand zu definieren. Dem stimmte Bernd Faehrmann vom AOK-Bundesverband zu: "Es kann nicht sein, dass Qualitätskriterien im Hilfsmittelverzeichnis teilweise 20 Jahre alt sind. Wir brauchen hier mehr Dynamik und aktuellere Qualitätsanforderungen." Die Definition von Qualitätskriterien ist nach Meinung aller Experten eine gemeinsame Verantwortung von Krankenkassen und Leistungserbringern. Die gemeinsame Erarbeitung der Rahmenempfehlungen für Vertragsverhandlungen bieten hier große Chancen, so Rechtsexperte Peter Hartmann.
BVMed-Vorstandsmitglied und GHD-Geschäftsführerin Christiane Döring forderte in der Podiumsdiskussion mit allen Marktbeteiligten, dass die Versorgungsqualität dann auch im Markt und bei den Ausschreibungsgewinnern von den Krankenkassen kontrolliert werden müsse. Zur Versorgungsqualität gehöre dabei neben dem Produkt auch die Dienstleistung. "Qualität ist nicht nur Dokumentation", meinte Klaus Lotz. "Die Kontrolle der Versorgungsqualität im Markt haben die Krankenkassen vernachlässigt", pflichtete Detlef Klaus bei. Klaus Mehring von der Barmer GEK widersprach dem. Nach Befragungen seiner Krankenkasse waren 70 Prozent der Versicherten mit der Versorgung nach Ausschreibungen zufrieden. Den anderen Fällen werde nachgegangen, beispielsweise durch Tests der Produkte. Moderiert wurde die MedInform-Konferenz von BVMed-Vorstandsmitglied Klaus Grunau von Hollister. MedInform ist der Informations- und Seminarservice des BVMed.
Eine Übersicht über das derzeitige Vertragsgeschehen im Hilfsmittelbereich aus Sicht der handwerklich geprägten Produktbereiche gab Klaus Lotz, (BIV-OT). Mit der Abschaffung der Zulassung der Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich gab es zunächst große Unsicherheiten im Markt. Auch die Kernaussage "Ohne Vertrag keine Lieferung" sorgte für Panik. Das führte dazu, dass der Markt der "Verhandler" zunächst explodiert ist, so Lotz. Für einen kleinen Betrieb ist es allerdings eine große Herausforderung, über 100 Verträge mit Krankenkassen zu verwalten. Am 31. Dezember 2013 wird die Bestandsschutzregelung auslaufen. Aktuell seien rund 90 Prozent der Betriebe präqualifiziert. Wenn in einem Produktbereich noch Schulungsbedarf besteht, der nicht mehr in diesem Jahr erfüllt werden kann, "dann wird der Zeithorizont dafür geschaffen werden", zeigte sich Lotz zuversichtlich über die derzeitigen Verhandlungen mit dem Spitzenverband der Krankenkassen. Klare Position bezog Lotz zum Thema Ausschreibungen: Nach dem heutigen Stand der Erfahrungen sind Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich kein geeignetes Mittel. Er stellt bei den Krankenkassen und Leistungserbringern ein Umdenken fest: Es geht nicht mehr nur um den Preis, sondern in erster Linie um Qualität – um Zielorientierung und Inhalte. Bei den Verhandlungen müssten Produktbeschreibung und Leistungsbeschreibung transparent sein. Lotz: "Die Leistungserbringer liefern keine Hilfsmittel vom Blechregal zum selber wegnehmen – und die Kassen wollen das auch gar nicht." Mittlerweile würden viele Kassen die Versorgungsqualität im Vordergrund sehen. "Qualität ist nachhaltig und langfristig kostensparend. Das bedeutet auch Kostensenkung auf einen längeren Zeitraum und wohnortnahe Versorgungssicherheit", so der BIV-Präsident.
Rechtsanwalt Peter Hartmann fokussierte in seinem Vortrag über das Vertragsgeschehen im Hilfsmittelbereich auf Rahmenverträge nach § 127 Abs. 2 SGB V. Soweit keine Ausschreibungen durchgeführt werden, können "Bekanntmachungsverträge" bzw. "Verhandlungsverträge" geschlossen werden. Die Vertragsabsicht muss dabei öffentlich bekannt gemacht werden. Vertragspartner können Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften auf der einen und einzelne Leistungserbringer, deren Verbände oder sonstige Zusammenschlüsse auf der anderen Seite sein. Die Rahmenverträge regeln die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel, die zusätzlich zu erbringenden Leistungen, die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung. Die Verträge sollen außerdem die wohnortnahe Versorgung und die im Hilfsmittelverzeichnis festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte sicherstellen. Große Chancen sieht Hartmann in den derzeit verhandelten "Rahmenempfehlungen auf Bundesebene". Der GKV-Spitzenverband und die maßgeblichen Spitzenorganisationen der Leistungserbringer müssen "gemeinsam Rahmenempfehlungen zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Durchführung und Abrechnung der Versorgung mit Hilfsmitteln" erarbeiten. Diese Empfehlungen haben eine "stark verbindliche Wirkung", so der Rechtsexperte. Probleme im Markt sieht Hartmann bei dem Informationsrecht der Leistungserbringer zu Rahmenverträgen, da sich Krankenkassen im Markt oft dieser Informationspflicht verweigern. Große Möglichkeiten für die Leistungserbringer sieht Hartmann beim Beitrittsrecht. Hier wollte der Gesetzgeber einen "diskriminierungsfreien Zugang zum Markt" sicherstellen. Man müsse aber aufpassen, dass daraus kein "Vertragsdiktat" durch die Krankenkassen wird. "Rosenpickerei" durch die Leistungserbringer sei jedenfalls absolut zulässig. Leistungserbringer hätten einen Verhandlungsanspruch. "Durch das Beitrittsrecht soll der Markt geschützt und nicht reduziert werden", so Hartmann. Er ging auch auf die Stoma-Therapeutenentscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) gegen die AOK Bayern ein. Das BSG habe klar festgestellt, dass mit der Präqualifizierung eine "ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte" Leistungserbringung nachgewiesen sei. Es dürfe kein einseitiges Abweichen der Krankenkassen von diesen Vorgaben durch zusätzliche Eignungsanforderungen geben. Die Vertragsfreiheit erlaubt jedoch ein einvernehmliches Abweichen, soweit der Leistungserbringer und die Krankenkasse dies wünschen.
Dr. Oliver Esch, Rechtsanwalt und Partner bei Osborne Clarke, beleuchtete rechtliche Fragestellungen rund um Ausschreibungen bzw. Vergabeverfahren. Er hält die gesetzlichen Rahmenbedingungen mittlerweile für geeignet, um den Hilfsmittelmarkt zu regeln, und erwartet in den nächsten Jahren keine größeren Veränderungen. Dynamik gebe es aber beim europäischen Vergaberecht mit einem neuen EU-Richtlinienpaket zur öffentlichen Auftragsvergabe (Vergaberichtlinie) und zur Konzessionsvergabe. Die erste Lesung im EU-Parlament ist im April 2013 geplant. Die Richtlinie erfordert eine Umsetzung in nationales Recht bis Mitte 2015. Es werde dadurch aber im Hilfsmittelbereich nur wenig Änderungs- bzw. Anpassungsbedarf geben, so Esch. Denn die Richtlinie enthalte eine implizite Anerkennung der Hilfsmittel-Vertragsstruktur nach dem Sozialgesetzbuch V. Der EU-Richtlinienentwurf sieht unter anderem die verpflichtende Einführung der elektronischen Auftragsvergabe sowie ein vereinfachtes Verfahren zur Vergabe medizinischer Dienstleistungen vor. Dies könnte für Hilfsmittel-Versorgungsbereiche relevant sein, die einen überwiegenden Dienstleistungsanteil haben. Esch ging auch auf die aktuelle Rechtsprechung zu Vergabeverfahren ein. So habe die zweite Vergabekammer Bund die Aufteilung des Bundesgebietes in nur sieben Gebietslose bei der Ausschreibung von Versorgungen der Produktgruppe 14 (Atemtherapie) für zulässig erklärt. Nach einem Urteil des OLG Düsseldorf sei auch die Loslimitierung zulässig, um eine Ausfallsicherheit und den Erhalt einer wettbewerblichen Anbieterstruktur zu gewährleisten.
Abena-Geschäftsführer Detlef Klaus präsentierte einen praktischen Erfahrungsbericht aus Sicht eines Herstellers zu den Konsequenzen der Ausschreibung von aufsaugenden Inkontinenzartikeln. Ausschreibungen stellen durchaus ein probates Mittel zur Preistransparenz dar. Es komme aber darauf an, wie die Ausschreibungen von den Krankenkassen ausgestaltet werden. "Ausschreibungen sind nicht zielführend, wenn ausschließlich der Preis ausschlaggebendes Kriterium ist", so Klaus. Reine "Preisausschreibungen" orientierten sich nicht an den Bedürfnissen der Patienten und favorisierten eine mindere Produkt- und Dienstleistungsqualität. Ausschreibungen würden damit die Unterscheidung in "Basisprodukte" und "Premiumprodukte" fördern. Die Fokussierung auf den niedrigsten Preis fördere die wirtschaftliche Aufzahlung durch den Patienten, die niemand wolle, und könne zu Fehlversorgungen führen. Als Kalkulationsbeispiel nahm Klaus eine Versorgungspauschale von 20 Euro. Rund 5 Euro fallen für Belieferung zum Patienten nach Hause an, rund 3 Euro für Personalkosten für Patientenberatung und Abwicklung. Das verbleibende Budget für Produkte von 12 Euro führt bei einer MDS-Mengenempfehlung pro Patient monatlich von 120 Stück zu einem Stückpreis von rund 10 Cent pro Inkontinenzprodukt. "Dafür kann niemand versorgen", so Klaus. Er bemängelte auch den erheblichen personellen und zeitlichen Aufwand zur Erfüllung der formalen Kriterien und die aufwendige Verwaltung zum Einzug der gesetzlichen Zuzahlung.
Quelle: Bundesverband Medizintechnologie e.V., 31.01.2013 (tB).