Routineuntersuchung auf Schwangerschaftsdiabetes:

Hinweis auf positiven Effekt bekräftigt

 

Berlin (22. April 2010) – Schon heute wird jedes Jahr bei einigen Tausend Schwangeren in Deutschland "Schwangerschaftsdiabetes" diagnostiziert. Allerdings können sich nicht alle diese werdenden Mütter sicher sein, dass die Feststellung eines Schwangerschaftsdiabetes wirklich gerechtfertigt ist und ihnen und ihrem Kind hilft, Probleme bei Schwangerschaft und Geburt zu vermeiden. "Es gibt in Deutschland ein Durcheinander an Tests und Diagnosekriterien für Schwangerschaftsdiabetes", sagt Peter Sawicki, der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): "Wir wissen nicht, ob für alle diese Frauen der Nutzen größer ist als der Schaden."

 

Ein Arbeitspapier des IQWiG zeigt jetzt einen Weg aus diesem Wirrwarr. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben für das Papier aktuelle Studien ausgewertet zur Frage, welchen Nutzen die Diagnose und Behandlung von Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes) für Frauen und ihre Kinder hat. Das Arbeitspapier aktualisiert einen im September 2009 im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) erstellten Abschlussbericht. Fast zeitgleich haben jetzt externe Sachverständige und Mitarbeiter des Instituts die Ergebnisse auch im British Medical Journal publiziert.

 

 

Schlussfolgerungen des Abschlussberichts verfestigt

 

In das Arbeitspapier konnte eine im Oktober 2009 veröffentlichte US-Studie mit fast 1000 Teilnehmerinnen neu aufgenommen werden. Diese Studie bestätigte, dass eine Behandlung von Frauen mit Gestationsdiabetes einen Nutzen hat und verfestigte damit eine der Schlussfolgerungen des Abschlussberichts: Schwangere können zum Beispiel durch eine Ernährungsumstellung und – in besonderen Fällen – durch Insulinspritzen, das Risiko verringern, dass es während der Geburt zu einer sogenannten Schulterdystokie kommt. Das ist die Bezeichnung für eine Verzögerung der Geburt, die bei 1 bis 2 von 100 Geburten auftritt. Die meisten Schulterdystokien bleiben zwar ohne Folgen. Doch weil dem Kind ein Sauerstoffmangel droht, greifen Geburtshelfer oft zu schnellen Gegenmaßnahmen, die dann zu Verletzungen von Mutter und Kind führen können. Auch die Zahl schwerer Kinder (über 4000 g) war in den Studien etwa halbiert. Das fügt sich ins Bild, da bei Kindern mit einem hohen Geburtsgewicht auch das Risiko für eine Schulterdystokie höher liegt.

 

 

Zumindest eine Voraussetzung für eine Reihenuntersuchung erfüllt

 

Das Arbeitspapier bestätigt auch die Schlussfolgerung des Abschlussberichts, dass durch den Nachweis eines Nutzens einer Behandlung, eine wesentliche Voraussetzung gegeben ist, allen Schwangeren eine Routineuntersuchung anzubieten, um einen Schwangerschaftsdiabetes zu erkennen.

 

Allerdings konnte das IQWiG wie bereits bei den Recherchen zum Abschlussbericht auch diesmal keine Studien finden, die direkt zeigen, dass eine Reihenuntersuchung für alle Schwangeren mehr Nutzen als Schaden hat. An solchen Studien müssten Frauen teilnehmen, bevor die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes feststeht – also auch die werdenden Mütter, bei denen der Test eigentlich nutzlos ist, weil ihre Blutzuckerwerte niedrig sind. Das ist die große Mehrheit. An den ausgewerteten Studien hat nur die Minderheit der Frauen teilgenommen, bei denen nach einem Test ein Schwangerschaftsdiabetes festgestellt worden war.

 

 

Standard: Diagnose in zwei Stufen

 

Das IQWiG hat deshalb genau analysiert, mit welchen Tests die Schwangeren ausgewählt worden waren. Denn auf diese Weise wurde in den Studien festgelegt, wo die Grenze zwischen "gesund" und "behandlungsbedürftig" liegt. Auffällig war dabei, dass in allen maßgeblichen Studien die Diagnose nach einem zweistufigen Auswahlprozess gestellt worden war.

 

Grundprinzip ist, dass die Frauen ein Glas Zuckerwasser trinken und anschließend in einer oder mehreren Blutproben der Blutzuckerspiegel bestimmt wird (so genannter Belastungstest). Allerdings gibt es verschiedene Varianten. In den Studien hatten fast alle Schwangeren zuerst einen "kleinen" Belastungstest absolviert, der nur eine Stunde dauert. Nur mit den Schwangeren (schätzungsweise ein Viertel), bei denen im ersten Test ein erhöhter Blutzuckerwert gemessen wurde, wurde dann ein Termin für einen ausführlichen zweiten Zuckerbelastungstest vereinbart.

 

Zu diesem zwei- bis dreistündigen Test mussten die Frauen nüchtern in die Praxis oder Klinik kommen. Bei den meisten Frauen bestätigte sich der Verdacht nicht. Nur für die kleine Gruppe der Schwangeren, die auch im zweiten Test die Grenzwerte überschritt, begann dann eine gezielte Behandlung gegen Schwangerschaftsdiabetes. "Wir wissen jetzt definitiv, dass durch diese zweistufige Strategie ausgewählte Frauen von der Behandlung profitieren können", sagt Sawicki.

 

 

Eine Diagnose kann auch Nachteile haben

 

Trotzdem schlägt eine internationale Ärztegruppe im März-Heft der Zeitschrift Diabetes Care vor, auf den ersten Test zu verzichten und gleich alle Schwangeren zu einem zweistündigen Belastungstest einzuladen. An diesem Vorschlag ist jedoch problematisch, dass unklar ist, ob so diagnostizierte Frauen den gleichen Nutzen von einer Behandlung haben. Zudem setzt die Ärztegruppe recht niedrige Blutzuckerwerte als Grenze zur Diagnose Schwangerschaftsdiabetes an, so dass nach Daten der internationalen HAPO-Studie schlagartig etwa 18 von 100 Schwangeren zu "Kranken" werden könnten. Das wären in Deutschland über 100.000 Frauen pro Jahr. "Wir haben in Deutschland keine Daten, um die Konsequenzen abschätzen zu können", sagt Sawicki. Die Diagnose kann für eine werdende Mutter schon an sich eine Belastung sein, alleine weil sie zu einer "Risikoschwangeren" wird. Zudem soll sie zum Beispiel mehrmals täglich ihre Blutzuckerwerte kontrollieren.

 

 

Ausweg: Eine vergleichende Screeningstudie

 

Aus Sicht des IQWiG ist eine vergleichende Studie verschiedener Strategien der vernünftigste Ausweg, um herauszufinden wie sich Nutzen und Schaden gegenüberstehen. In einer hochwertigen Studie sollten auch die Schwangeren nach ihren Präferenzen gefragt werden. Welche Strategie werdende Mütter besser finden, ist bislang nämlich nicht untersucht. "Solch eine Studie könnte ziemlich schnell stattfinden, wenn Ärzte und Krankenkassen sich einig werden", sagt Peter Sawicki: "Bevor wir Zehntausenden von Schwangeren eine möglicherweise belastende Diagnose anheften, sollten wir genau wissen, was wir tun".

 

 


Quelle: Pressemitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 22.04.2010 (tB).

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