Schmerzmittelpflaster als tödliches Risiko

Stuttgart (11. Mai 2010) – Starke Schmerzmittel werden in Deutschland zunehmend als Medikamentenpflaster verschrieben. Die Anwendung ist bequem, aber nicht ungefährlich. Immer wieder kommt es zu lebensbedrohlichen oder sogar tödlich verlaufenden Überdosierungen, warnen Experten in der Fachzeitschrift ‚DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift‘ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2010).

Viele transdermale therapeutische Systeme (TTS), wie Ärzte die Schmerzpflaster nennen, enthalten den Wirkstoff Fentanyl. Er gehört zu den stark wirksamen Opioiden, die ähnlich wie Morphium den Schmerz lindern. Opioide können aber auch zur Bewusstlosigkeit und zum Atemstillstand führen, wenn sie zu hoch dosiert werden, berichtet Dr. med. Thomas Stammschulte von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft in Berlin. Diese betreibt zusammen mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn eine Datenbank für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Seit 1995 trafen dort allein zu Fentanyl 781 Verdachtsberichte ein, von denen 128 tödlich verliefen. Der Tod muss nicht immer die Folge der Medikamenteneinwirkung sein, berichtet Dr. Stammschulte. Die Pflaster werden auch bei schwerstkranken Patienten eingesetzt. Häufig sind es Krebspatienten im Endstadium. Gerade bei diesen falle die Unterscheidung zwischen Grunderkrankung und Arzneimittelwirkung schwer. Ein Teil der Todesfälle sei jedoch "eindeutig im Zusammenhang mit Überdosierungen und/oder Missbrauch der Fentanylpflaster aufgetreten", schreibt Dr. Stammschulte.

Oft sind es tragische Zwischenfälle. Der Experte nennt das Beispiel eines Krebspatienten, der von mehreren Verwandten betreut wurde. Diese brachten versehentlich mehrere Pflaster an. Als die Ärzte den Toten untersuchen, fanden sie insgesamt acht Fentanylpflaster in unterschiedlichen Körperregionen. In einem anderen Fall starb ein einjähriges Mädchen, das beim Spielen ein Fentanylpflaster gefunden und in den Mund genommen hatte. Das Pflaster war der Tagesmutter nach Benutzung versehentlich auf den Boden gefallen, wo es von dem Kind bemerkt wurde, berichtet Dr. Stammschulte.

Auch Fälle von Drogenmissbrauch sind bekannt. So hatte eine junge Frau bis zu 15 Pflaster gleichzeitig angewendet. Durch systematisches ‚Doctor-Hopping‘ hatte sie sich die erforderlichen Mengen beschafft. Um die Wirkstoffabgabe zu erhöhen, hatte die Frau die Pflaster erhitzt und schwere Hautverbrennungen davon getragen.

Zu einer Überdosierung könne es auch durch Fieber, heißes Duschen, Saunabesuch, Sonnenbad oder Wärmflaschen kommen, warnt der Internist. Alle Patienten und ihre Betreuer sollten deshalb die Zeichen der Überdosierung kennen. Hierzu zählen eine langsame oder sehr flache Atmung, ein niedriger Puls, starke Schläfrigkeit oder Schwierigkeiten beim Gehen oder Sprechen, ein Kältegefühl, Schwäche- und Schwindelgefühl oder Verwirrtheit. Auch die gleichzeitige Einnahme anderer Medikamente – darunter einige Antibiotika, Herzmedikamente oder HIV-Medikamente – können Überdosierungen auslösen, weil sie den Abbau von Fentanyl in der Leber hemmen. Den gleichen Effekt hat laut Dr. Stammschulte Grapefruit-Saft.

Auch nach der Entfernung der Pflaster ist die Gefahr nicht vorüber. Dr. Stammschulte: In den oberen Hautschichten unter dem Fentanylpflaster bildet sich ein Wirkstoffdepot, aus dem nach Entfernen des Pflasters noch mehrere Stunden lang Wirkstoff freigesetzt wird. Beim Verdacht auf eine Überdosierung müssen die Patienten deshalb bis zu 24 Stunden nach Entfernung des Pflasters überwacht werden, fordert der Mediziner.

T. Stammschulte, K. Brune:
Probleme der Arzneimittelsicherheit bei der Anwendung von opioidhaltigen Pflastern in der Schmerztherapie.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2010; 135 (17): S. 870-873


Quelle: Thieme Presseservice, 11.05.2010 (tB).

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