Sport bei Diabetes mellitus

Von Bestzeiten und Broteinheiten

 

Berlin (29. Mai 2014) – Körperliche Betätigung ist ein Grundpfeiler in der Therapie des Diabetes mellitus, dem viel zu wenige Patienten nachgehen. Doch was müssen Ärzte beachten, wenn ihre Patienten tatsächlich Sport treiben möchten? Wie muss beispielsweise die Dosierung von Analoginsulinen angepasst werden, wenn ein Typ-1-Diabetiker intensives Training betreibt? Unter dem Vorsitz von Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Frank, Neunkirchen, widmeten sich die Referenten eines Presse-Round-Tables der BERLIN-CHEMIE AG im Rahmen der diesjährigen DDG-Jahrestagung dem Thema Sport und Diabetes in seiner ganzen Breite.

 

Regelmäßige körperliche Bewegung als integralen Bestandteil der Therapie des Typ-2-Diabetes zu etablieren – dies ist eines der Ziele, das die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Sport der DDG bereits seit vielen Jahren anstrebt. Zahlreiche Studien bestätigen: Ausdauer- und/oder Krafttraining bei Typ-2-Diabetes kann zu einer Reduzierung der Körperfettmasse und zu einer Verbesserung des HbA1c-Wertes führen [2], die Insulinsensitivität steigern und weitere metabolische Parameter verbessern [3]. Der größte Benefit lässt sich durch die Kombination beider Trainingsarten erreichen [2,4]. Neben diesen metabolischen Vorteilen kann Sport, vor allem wenn er in Gemeinschaft mit anderen Menschen ausgeübt wird, die soziale Integration und das Selbstwertgefühl fördern [5].

 

 

Bewegung auf Rezept

 

Das trifft auch auf die Teilnehmer des Projektes „Saarland bewegt" zu, an dem Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Frank, Chefarzt der Inneren Abteilung am Städtischen Klinikum Neunkirchen gGmbH, beteiligt ist. Zu ihrer „Aktion Wandertag“ im Saarland mobilisieren mehrere Praxen und Krankenhäuser ihre Patienten [6]. „Das Projekt findet jetzt zum wiederholten Mal statt. Wichtig ist allen Beteiligten, den Spaß an der Bewegung zu vermitteln und älteren Diabetikern die Angst vor körperlicher Betätigung zu nehmen“, berichtete Frank. „Menschen mit Diabetes mellitus sind so vielfältig wie alle anderen Menschen auch – es gibt Sportmuffel, aber auch Hochleistungssportler unter ihnen. Wenn ein Patient mit Diabetes mellitus daher beschließt, sportlich aktiver zu werden, sollten wir dies in jedem Fall unterstützen.“

 

 

Motivation zur „aktiven Therapie“

 

Das Thema Motivation in Training und Wettkampf ist gewissermaßen ein Kernarbeitsgebiet von Priv.-Doz. Dr. med. Bernd Wolfarth, München. Der Facharzt für Innere Medizin und Sportmedizin betreut neben seiner klinischen Tätigkeit seit 2010 als leitender Olympiaarzt des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) die deutschen Olympiateilnehmer bei allen Olympischen Spielen. Voraussetzung für die Aufnahme einer oder mehrerer Sportarten, die der Patient sich nach seinen Vorlieben und seinen persönlichen, logistischen und zeitlichen Möglichkeiten aussuchen sollte, ist allerdings eine sportmedizinische Voruntersuchung, betonte Wolfarth. „Im Rahmen dieser Untersuchung werden wichtige Parameter erhoben, die eine sinnvolle und individuelle Trainingsgestaltung erlauben.“ Nur so lasse sich feststellen, ob beispielsweise manifeste Folgeerkrankungen der angestrebten Sportart im Wege stehen, und welche Trainingsintensität angestrebt werden sollte. Sport sei für Diabetiker sozusagen eine „aktive Therapie“, an die man die Patienten gezielt heranführen könne.

 

Wolfarth erläuterte, welche Auswirkungen Sport bzw. verstärkte körperliche Betätigung auf den Metabolismus haben, und welche positiven Anpassungen durch den Sport erzielt werden können. „Jeder Diabetiker profitiert von einer sinnvoll dosierten und regelmäßig durchgeführten körperlichen Aktivität. Die Kunst besteht darin, den Patienten durch eine gute ärztliche Beratung die Angst vor der Belastung zu nehmen und gleichzeitig die Motivation für ein dauerhaft aktives Leben zu schaffen.“

 

Viele Patienten haben beispielsweise Angst vor dem verstärkten Auftreten von Hypoglykämien durch die sportliche Betätigung. Diese Sorge könne man den Patienten durch medizinisch fundierte Trainingsberatung und die Wahl der geeigneten medikamentösen Therapie nehmen.

 

Bereits 2002 zeigte beispielsweise eine Sport-Studie von Herz et al., das die Verwendung einer fixen Mischung von 25 % Insulin lispro und 75 % Insulin lispro Protamin Suspension (z.B. Liprolog® Mix25) zu einer besseren postprandialen Einstellung der Typ-2-Patienten führte als Humaninsulin 30/70, ohne dass vermehrte Bewegungs-induzierte Hypoglykämien auftraten [7]. Alltägliche Realität ist neben der Abstimmung der Broteinheiten auch die Anpassung der Dosierung kurzwirksamer Analoginsuline (z.B. Liprolog®) bei Typ-1-Diabetikern vor den Mahlzeiten entsprechend ihrer Trainingsintensität. Damit kann das Risiko Bewegungs-induzierter Hypoglykämien ebenfalls deutlich reduziert werden [8].

 

 

„Alles ist möglich!“

 

Einfach so loslaufen oder radeln, weil man es gerade möchte – das geht leider nicht, weiß auch Extremsportler Andreas May aus Hamburg. Das Vorstandsmitglied der IDAA Sektion Deutschland e.V., einer Vereinigung von Sportlern mit Diabetes [9], war schon immer körperlich sehr aktiv: Schwimmen, Langstreckenläufe und Triathlon standen an. Seine sportlichen Ambitionen endeten jedoch abrupt, als bei ihm im Alter von 18 Jahren ein Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde – die damals behandelnden Ärzte waren überfordert, ihm zu zeigen, mit welchen Therapieanpassungen leistungsorientierter Sport trotz Diabetes möglich ist. Als sich May rund 20 Jahre später beruflich neu orientierte und wieder Sport treiben wollte, hatte sich die Informationslage verändert: Die inzwischen gegründete IDAA (Internationale Vereinigung diabetischer Sportler) zeigte ihm mit ihrem Wissen einen Weg zurück zum Sport. Seitdem hat Andreas May an zahlreichen Marathons und Ultramarathons teilgenommen und weitere sportliche Höchstleistungen absolviert [10], auch dank der Sensor-unterstützten Pumpentherapie, die er einsetzt. „Selbst Extremsport ist möglich, aber nur, wenn man die beim Training gemachten Erfahrungen gründlich auswertet und Training ebenso wie Wettkämpfe gewissenhaft vorausplant. Denn der Energieverbrauch und die Insulinempfindlichkeit unterscheiden sich in den Sportarten, aber auch im Tagesverlauf massiv“, sagte May. „Ansonsten gilt: Alles ist möglich – nur die Anpassung der Diabetes-Therapie muss stimmen.“

 

 

Literatur 

  1. Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Sport der DDG e.V.: http://www.diabetes-sport.de
  2. Church TS et al. JAMA 2010; 304(20): 2253-2262
  3. Bacchi E et al. Diabetes Care 2012; 35(4): 676-682
  4. Sigal RJ et al. Ann Intern Med 2007; 147: 357-369
  5. Gill DL. J Prev Med Public Health 2013; 46(Suppl 1): S28-34
  6. Initiative „Saarland bewegt“: http://saarlandbewegt.de/
  7. Herz M et al. Curr Med Res Opin 2002; 18(4): 188-193
  8. Rabasa-Lhoret R et al. Diabetes Care 2001; 24(4): 625-630
  9. IDAA Sektion Deutschland e.V.: http://www.idaa.de

 


Quelle: Presse-Round-Table der BERLIN-CHEMIE AG „Alles ist möglich: Diabetes im Breiten- und Spitzensport“ im Rahmen der DDG-Jahrestagung, 29. Mai 2014, Berlin (tB)

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