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Sterben in der Schweiz
Dem Menschen mit all seinen Bedürfnissen begegnen
Bern, Schweiz (21. November 2017) – In der Schweiz sterben die meisten Menschen in Spitälern und Pflegeheimen. Ihre individuellen Bedürfnisse werden dabei oft zu wenig berücksichtigt. Zudem sind betreuende Fachpersonen noch nicht zureichend miteinander vernetzt. Die Förderung von Palliative Care, die Sterbende umfassend begleitet, könnte diese Situation verbessern. Zu diesem Schluss kommt das Nationale Forschungsprogramm "Lebensende".
Der Tod ist unausweichlich, die letzte Lebensphase aber gestaltbar. Wie ein Mensch stirbt, ob alt oder jung, ob zuhause oder in einer Institution, ob einsam oder begleitet, liegt nicht nur in seiner Verantwortung. Die Gesellschaft kann die Rahmenbedingungen so gestalten, dass Menschen in Würde, selbstbestimmt und möglichst frei von Ängsten und Schmerzen sterben können. Voraussetzung dafür ist, dass das Wissen darüber vorhanden ist, wo und wie Menschen heute sterben und wie sie gerne sterben würden. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms "Lebensende" (NFP 67) untersuchten 33 Forschungsprojekte in den letzten fünf Jahren das Sterben in der Schweiz.
Palliative Care hat grosses Potenzial
Unabhängig von Alter oder der zum Tode führenden Erkrankung sterben die meisten Menschen in der Schweiz in Spitälern und Pflegeheimen. Ihre Grundbedürfnisse werden dabei nicht immer angemessen berücksichtigt. Das offene Gespräch mit den Sterbenden und ihren Angehörigen ist gewünscht, findet jedoch nicht regelmässig statt. Fachpersonen kooperieren oft ungenügend miteinander, sie sind nicht ausreichend vernetzt, so dass die Sterbenden oft fragmentiert betreut werden.
Palliative Care hat ein grosses Potenzial, diese Situation zu verbessern: In diesem umfassenden Verständnis von Begleitung und Versorgung steht die Linderung von Leiden, die Unterstützung einer höchstmöglichen Lebensqualität sowie die Selbstbestimmung im Zentrum. "Palliative Care sollte in der Schweiz stärker etabliert werden", sagt Markus Zimmermann von der Universität Freiburg, Präsident der Leitungsgruppe des NFP 67: "Die Bevölkerung sollte entsprechend sensibilisiert, Pflegefachkräfte sowie Ärztinnen und Ärzte in diesem Bereich besser ausgebildet werden."
Bevölkerung ist bereit, hohe Kosten zu tragen
In der Öffentlichkeit vieldiskutiert sind die hohen Kosten für Behandlungen in der letzten Lebensphase. Ergebnisse aus dem NFP 67 zeigen, dass ältere Sterbende während ihrer letzten Lebensphase deutlich geringere Kosten verursachen als jüngere Sterbende, sie verbringen die letzte Lebensphase aber auch seltener in einem Spital. Die Behandlung von Krebserkrankungen bei Patienten am Lebensende ist besonders teuer. Die Bereitschaft der Bevölkerung, für die hohen Kosten am Lebensende aufzukommen, ist allerdings hoch – in der Westschweiz noch höher als in der Deutschschweiz.
Entscheide am Lebensende sind vielfältig
Dem Tod gehen meistens medizinische und pflegerische Entscheide voraus: Bei 70 Prozent der nicht-plötzlichen Sterbefälle aus dem Jahr 2013 wurde entweder auf eine weitere Behandlung verzichtet, eine laufende Therapie abgebrochen oder Massnahmen zur Schmerz- bzw. Symptomlinderung mit möglicherweise lebensverkürzender Wirkung ergriffen. Bei lediglich 3 Prozent dieser Sterbefälle wurden Entscheidungen zur Lebensbeendigung getroffen. Darunter fallen Suizidhilfe, aktive Sterbehilfe auf Verlangen oder solche ohne ausdrückliches Verlangen des Patienten. Auffällig viele Patientinnen und Patienten werden während ihrer letzten Lebensphase sediert und erleben daher das Sterben nicht bewusst. 2013 war jeder sechste Sterbende in der Schweiz davon betroffen. Unter einer tiefen Sedierung wird ein medikamentös herbeigeführter Tiefschlaf bis zum Tod verstanden, der dann eingesetzt wird, wenn sich gewisse Symptome während des Sterbeprozesses nicht mehr anders kontrollieren lassen. Werden Menschen jedoch sediert, die sich nicht am Lebensende befinden, handelt es sich um eine absichtliche Lebensbeendigung, die in der Schweiz gesetzlich verboten ist.
Urteilsfähigkeit ist schwierig zu beurteilen
Wenn es gilt, die Rechte von Patienten zu berücksichtigen, ist entscheidend, ob jemand urteilsfähig bzw. urteilsunfähig ist. Dies korrekt festzustellen, ist in vielen Fällen schwierig und Ärztinnen und Ärzte sind bei der Feststellung der Urteilsfähigkeit oft unsicher. Eine gesetzliche Idealvorstellung vom souveränen Patienten, der selbstbestimmt über sein Sterben entscheidet, ist realitätsfremd. Eine allfällige Revision des Erwachsenenschutzrechts sollte daher berücksichtigen, dass bei der Bestimmung der Urteilsfähigkeit auch subjektive Aspekte stärker mit einbezogen werden. Zudem wären auch die Aufgaben der Vertretungspersonen genauer zu klären.
Spirituelle Bedürfnisse am Lebensende
Im Sterben stellen sich häufig existenzielle und Sinnfragen. Betreuende Personen sollten dies angemessen berücksichtigen, denn das spirituelle Wohlbefinden bzw. das Verhindern einer existenziellen Not kann die Lebensqualität im Sterben entscheidend verbessern. Heute sind zu traditionellen Idealen, die beispielsweise von den christlichen Kirchen vertreten werden, unterschiedliche Formen so genannter "alternativer Religiosität" hinzugekommen. Diese Veränderungen sollten in der Begleitung Sterbender und ihrer Angehörigen durch die Institutionen und die Gesundheitsfachleute angemessen berücksichtigt werden.
Publikation
- Synthesebericht NFP Lebensende (NFP 67), herausgegeben von der Leitungsgruppe des NFP 67, Bern 2017.
Kostenlos erhältlich, auch auf Französisch und Englisch: http://www.snf.ch/synthesebericht-nfp-67
Das Nationale Forschungsprogramm "Lebensende" (NFP 67)
Das NFP 67 hat in den letzten fünf Jahren Handlungs- und Orientierungswissen für die letzte Lebensphase erarbeitet – zu Patientenverfügungen, Palliative Care, Suizidhilfe, Betreuung sterbender Angehöriger und Behandlungsentscheidungen in der letzten Lebensphase. Das NFP 67 hat Versorgungslücken identifiziert, stellt Betroffenen wie Behandelnden Grundlagen für Entscheidungen zur Verfügung und reflektiert ethische Implikationen. Das 2012 gestartete NFP 67 verfügte über einen Finanzrahmen von 15 Mio. Franken.
Quelle: Schweizerischer Nationalfonds SNF , 21.11.2017 (tB).