MEDIZIN

DOC-CHECK LOGIN

Unstatistik des Monats

Google AI erkennt Brustkrebs besser als die erfahrensten Radiologen

 

Essen (30. Januar 2020) — Die Unstatistik des Monats Januar ist die Berichterstattung über eine Studie über ein AI-System zur Brustkrebsfrüherkennung. Sie zeigt beispielhaft, wie Erfolge „künstlicher Intelligenz“ (AI) in der Presse übertrieben werden und die Frage nach dem Nutzen für Patientinnen und Patienten nicht gestellt wird.

Im Januar 2020 publizierte die Fachzeitschrift „Nature“ eine Studie über ein AI-System zur Brustkrebsfrüherkennung. AI steht dabei für „Artificial Intelligence“, also „künstliche Intelligenz“. Die Schlagzeile von nach-welt.com berichtete „Google AI erkennt Brustkrebs besser als die erfahrensten Radiologen“. „Spiegel online“ titelte „Wie künstliche Intelligenz künftig den Job von Ärzten übernimmt“. Ähnliche enthusiastisches Medienecho gab es weltweit. AI-Systeme werden in der Tat immer besser in der Krebsfrüherkennung, aber das ist nicht unser Punkt. Diese Unstatistik zeigt exemplarisch, wie AI-Erfolge in der Presse übertrieben werden und die Frage nach dem Nutzen für Patientinnen und Patienten nicht gestellt wird.

Die Studie wurde federführend von Google-Wissenschaftlern in Palo Alto und London durchgeführt. Man trainierte und testete künstliche neuronale Netzwerke mit Röntgenbildern der Brust von mehr als 25.000 Frauen aus Großbritannien und über 3.000 Frauen aus den USA. In Großbritannien, wo zwei Radiologen jede Röntgenaufnahme beurteilen und im Fall eines unklaren Ergebnisses ein Konsensus-Urteil erstellt wird, war das AI-System im Durchschnitt etwas besser als der erste Radiologe und leicht schlechter als der zweite Radiologe und das Konsensus-Urteil. In den USA, wo nur ein Radiologe das Urteil trifft, war die AI besser. Im zweiten Teil der Untersuchung wurden sechs US-Radiologen getestet, die schlechtere Werte erreichten als die AI. Von diesen hatten jedoch die meisten kein spezielles Training im Beurteilen von Mammogrammen. Die Autoren der Studie stellten selbst klar, dass die Ergebnisse bei spezialisierten Radiologen wahrscheinlich besser ausgefallen wären; die oben berichtete Schlagzeile spricht dagegen von den „erfahrensten Radiologen“.

Die wirkliche Frage, die in den Medienberichten so gut wie nie gestellt wurde, ist: Werden Frauen durch besser werdende AI einen Nutzen haben? Dieser wird suggeriert, aber zwei wissenschaftliche Erkenntnisse raten hier zur Vorsicht. Erstens, je besser die Diagnose-Systeme werden, desto mehr kleine und klinisch irrelevante Krebsformen werden entdeckt, die nur technisch gesehen Krebs sind. Das heißt, man würde diese Formen während seines Lebens nie bemerken, da sie keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Da man zum Zeitpunkt der Früherkennung diese harmlosen Formen von anderen nicht unterscheiden kann, erhalten bereits heute viele verunsicherte Frauen unnötige Operationen, Strahlen- oder Chemotherapien. Mit mehr AI-Diagnostik werden wahrscheinlich noch mehr Frauen unter dieser Überbehandlung leiden.

Die zweite wissenschaftliche Erkenntnis ist der geringe Nutzen des Mammographie-Screenings – für Frauen, im Gegensatz zur Industrie. Untersuchungen mit etwa 500.000 Frauen zeigen, dass von je 1.000 Frauen, die nicht zum Screening gehen, nach 10 Jahren etwa 5 an Brustkrebs gestorben sind; mit Screening sind es 4. Also etwa eine von tausend stirbt weniger an Brustkrebs. Das bedeutet aber nicht, dass Screening Leben rettet, da auch eine Frau mehr an einem anderen Krebs stirbt. Die Gesamtanzahl der Frau-en, die an Krebs (einschließlich Brustkrebs) sterben, ändert sich durch Screening nicht. Sie ist jeweils etwa 22 von tausend Frauen (s. https://www.harding-center.mpg.de/de/faktenboxen/krebsfrueherkennung/brustkrebs-…). In Deutschland wird diese Information den Frauen immer noch vorenthalten, anders als etwa in der Schweiz (s. https://www.helsana.ch/de/blog/frueherkennung-mammografie?articleSource=gesundhe…). Das heißt, AI wird zwar immer mehr Krebse frühzeitig erkennen, aber man sollte auch einen Schritt weiter denken und ehrlich sagen, dass all dieser technische Erfolg den Frauen wohl wenig helfen wird.

———-

 

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer je-den Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretatio-nen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik.

 

Weitere Informationen

 


Quelle: RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, 30.01.2020 (tB).

Schlagwörter: , ,

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…