Von Singultus bis somatoforme Schmerzstörungen –
Themenvielfalt beim Schmerz- und Palliativtag

 

Berlin / Frankfurt am Main (11. März 2019) – Welche seltenen Komplikationen können bei Palliativpatienten auftreten und wie können Ärzte ihre Patienten am Lebensende würdevoll begleiten? Kann hinter chronischen Schmerzen eine seltene Erkrankung wie Morbus Fabry stecken? Und wie erkennen Ärzte Gewalt in sozialen Bindungen? Diesem Fragenkomplex widmete sich unter anderem der 30. Deutsche Schmerz- und Palliativtag und zeigte damit die Themenvielfalt der zahlreichen Veranstaltungen.

Zum Thema „Persistierender Singultus in der palliativen Situation“ sprach beispielsweise DGS-Vizepräsident Dr. Norbert Schürmann. Die chronische Zwerchfellspastik, die sich durch typisches „Hicksen“ äußert, trete bei etwa 6 bis 8 Prozent der Palliativpatienten auf. Damit sei es zwar ein eher seltenes, aber doch sehr belastendes Symptom. Ursachen können laut Schürmann Tumoren des Gastronitestinaltrakts ein, Erkrankungen des ZNS oder der Psyche oder auch eine Tumorkachexie. Im Gegensatz zu einem akuten Singultus, der meist kurz anhalte und selbstlimitierend sei, dauere ein persistierender oder chronischer Singultus länger als 48 Stunden an und könne in Schlafstörungen, Depression und Erschöpfungszustände resultieren. Je nach Ursache ist laut Schürmann keine kausale Therapie möglich, jedoch könnten Neuroleptika wie Gabapentin, Domperidon oder Haloperidol Linderung verschaffen. Vor allem habe sich die Kombination aus Gabapentin und dem Muskelrelaxans Baclofen bewährt. Zusätzlich könnten Maßnahmen wie Hypnose oder Akupunktur die Therapie unterstützen. Da manche Medikamente den lästigen Schluckauf auslösen könnten, sei dies unbedingt zu prüfen.

 

Hilfe leisten beim Sterben: Therapieoptionen am Lebensende

„Wir Ärzte sollen Hilfe leisten beim Sterben, aber nicht zum Sterben“, machte Dr. med. Eberhard Albert Lux von der Klinik für Schmerz- und Palliativmedizin Lünen in seinem Vortrag „Therapieoptionen am Lebensende“ deutlich. In der Öffentlichkeit würden die Themen Sterbebegleitung und Sterbehilfe, also Beihilfe zur Selbsttötung oder Tötung auf Verlangen, oftmals vermischt. Dabei seien die beiden Felder aber klar zu trennen. Um Ärztinnen und Ärzten eine Orientierung bei ihrer schwierigen Aufgabe der Begleitung von schwerstkranken und sterbenden Patienten geben, veröffentlicht die Bundesärztekammer seit 1979 „Grundsätze der Sterbebegleitung“, die Art, Umfang und Grenzen der ärztlichen Behandlung am Lebensende bestimmen. Darunter vor allem Lindern von Schmerzen, Übelkeit und Atemnot. Um dem Patienten das Sterben zu erleichtern, liegt das Hauptaugenmerk auf einer adäquaten Schmerztherapie, dazu eventuell eine vorübergehende Sedierung, um Unruhe und Verwirrtheit zu lindern – was letztlich auch die Symptomlast bei Angehörigen und Pflegekräften mindere, so Lux. Aus Erfahrung weiß er: Viele Patienten und auch Angehörige sind dankbar, wenn Ärzte möglichst frühzeitg offen mit ihnen darüber sprechen, was zur Symptomlinderung möglich ist. „Viele wollen keine lebensverlängernden Maßnahmen oder weitere Therapien, sondern einfach in Ruhe einschlafen. Dann lassen Sie das zu.“ Wichtig sei, alle Maßnahmen gründlich zu dokumentieren, um nicht dem Verdacht ausgesetzt zu sein, man habe Patienten getötet. „Das gilt auch für die Höhe der Dosis bei Medikamenten. Die muss sich am Symptom orientieren.“

 

Neuropathische Schmerzen: Es kann ein Morbus Fabry dahinterstecken

Dass neuropathische Schmerzen viele Ursachen haben können, erläuterte DGS-Vizepräsidentin Dr. med. Silvia Maurer bei einem Lunchsymposium. Die häufigsten seien Diabetes und Alkoholmissbrauch, sie stellen in 80 Prozent der Fälle die Ursache. Allein an diabetischer Polyneuropathie leiden laut Maurer in Deutschland etwa 3,5 Millionen Menschen. Insgesamt ist Neuropathie nach Kopf- und Rückenschmerz die dritthäufigste Ursache für Arztkonsultationen. In der Regel haben Betroffene einen langen Leidensweg hinter sich, bis die Diagnose gestellt wird, im Durchschnitt suchten sie acht Ärzte in zehn Jahren auf. Dabei sei die Diagnose relativ leicht zu stellen. Neben Schmerzfragebögen (wie etwa bei der Online-Dokumentationsplattform iDoc Live®) eigne sich auch ein Streich-Test mit Wattebausch: „Beim neuropathischen Schmerz liegt immer eine Nervenschädigung vor, die zu Allodynie oder Hyperalgesie führt. Dann löst schon das Berühren mit einem Wattebausch Schmerzen aus“, erklärte Maurer.

Unter diesen positiven sensorischen Phänomenen litten Patienten deutlich mehr als an den negativen wie vermindertes Oberflächen-, Vibrations- oder Temperaturempfinden. Maurer behandelt selbst Neuropathie-Patienten und weiß: Auch Medikamente und Infektionen können eine Neuropathie auslösen, darunter Chemotherapeutika, antiretrovirale Medikamente, manche Antibiotika (etwa Ethambutol, Isoniazid oder Chloramphenicol) sowie Substanzen wie Thiouracil, Nitrofurantoin, Disulfiram zur Therapie der Alkoholabhängigkeit oder HIV-Medikamente. Eine ausführliche Anamnese sei daher unabdingbar – manchmal stecke auch eine andere Erkrankung dahinter, etwa die lysosomale Speicherkrankheit Morbus Fabry wie Prof. Dr. med. Thomas Duning, Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, Uniklinik Münster im Anschluss erläuterte. Viele Morbus-Fabry-Patienten würden mit den unterschiedlichsten Symptomen bei verschiedene Fachärzten vorstellig, ein häufiges Symptom darunter: neuropathischer Schmerz. „Doch wenn die einzelnen Symptome nicht als Paket betrachtet und miteinander in Verbindung gebracht werden, ist die Diagnose schwierig“, so Duning. Bis zu 18 Jahre könne es dauern, bis ein Arzt die Erbkrankheit erkenne. Für die Zuhörer hatte Duning einen einfachen „Fabry-Fakten-Check“ im Gepäck: „Hat ein Patient schon als Kind neuropathische Schmerzen, kann nicht schwitzen und zeigt am Bauch kleine rot-lila Pünktchen – ziehen Sie einen Morbus Fabry in Betracht!“ Sicherheit kann dann ein Blut- oder Gentest bringen.

 

Gewalt in engen sozialen Bindungen: Ärzte sollten nachfragen

Immer häufiger sehen Ärzte und Psychotherapeuten in ihren Praxen Opfer häuslicher Gewalt – zu über 80 Prozent Frauen, aber durchaus auch Männer, wie Diplom-Sozialarbeiterin Petra Wolf, Leiterin des Frauenhauses Frauen helfen Frauen e.V. in Bad Kreuznach, im Rahmen einer weiteren Veranstaltung berichtete. Gewalt in engen sozialen Beziehungen (GesB) umfasst neben körperlicher und sexueller Gewalt auch psychische und ökonomische: Von Kontrolle und Abwertung über Isolation und Eifersucht bis hin zur Verweigerung eines Kontozugangs.

Oft sind die Folgen offensichtlich und relativ schnell zu therapieren: Schmerzende Hämatome, Prellungen, ein gebrochener Arm. Nachhaltiger und schwerer zu erkennen sind dagegen die psychischen Folgen, die von Angststörungen und Depressionen über gastrointestinale Beschwerden bis zu somatoformen Schmerzstörungen reichen. „Viele Opfer neigen auch zu gesundheitsgefährdenden Überlebensstrategien wie Zigaretten-, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch“, ergänzte DGS-Vizepräsidentin Silvia Maurer. Hätten Ärzte einen Verdacht auf GesB, sollten sie das Thema behutsam ansprechen und niederschwellig Hilfe anbieten. Laut Maurer sind viele Betroffene froh gefragt zu werden. Lässt der hektische Praxisalltag kein längeres Gespräch zu, könne es helfen Visitenkarten oder Informationsflyer mit einer Anlaufstelle abzugeben. Als wichtigen Erfolgsfaktor sieht sie die interdisziplinäre Vernetzung. „Wesentlich für alle Praxen und Kliniken ist ein funktionierendes Netzwerk, eine gute Kooperation mit Beratungsstellen, Frauenhäusern, der Polizei und anderen.“

 

Weiterführende Links

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V., 11.03.2019 (tB).

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