Wittener Pflegewissenschaftlerin entwickelt Konzept für Mobilität im Altenheim

 

Nach dem erfolgreichen Einsatz in Bayern und Berlin soll das Programm auf Nordrhein-Westfalen ausgeweitet werden

 

Witten/Herdecke (26. Juli 2011) – Eine der größten Ängste, die die Menschen in Deutschland haben, ist die vor Immobilität und dem Verlust von Autonomie im Alter. In ein Altenheim zu ziehen, ist für viele eine echte Horrorvorstellung. Das ist nicht ganz unbegründet. „40 bis 50 Prozent der Leute, die in ein Altenheim kommen, können schon ein Jahr später nicht mehr selbst gehen und stehen“, sagt Prof. Dr. Angelika Zegelin vom Department für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke. „Dabei sind diese Leute oft gar nicht gelähmt, sondern nur gebrechlich und schwach. Sie verlernen ganz einfach das Laufen und Stehen, weil es nicht richtig gefördert wird.“ Und landen dadurch nach wenigen Monaten im Rollstuhl. Oftmals setzt die Immobilisierung durch den Heimeinzug selbst ein.

 

„Das muss aber nicht so sein“, macht die Pflegewissenschaftlerin klar. Mit ihrem Programm zur „Mobilitätsförderung in der Altenpflege“ möchte sie diesem Trend entgegenwirken. Dabei geht es darum, nach der Durchführung einer ersten „Ist-Analyse“ vor Ort geeignete einrichtungsspezifische Gegenmaßnahmen einzuleiten, umzusetzen und wissenschaftlich zu begleiten. Dabei gilt immer: „Bewegung muss Freude und Sinn machen. Es muss sich für die Bewohner lohnen, den Schmerz, der erstmal durch die Bewegung entsteht, auszuhalten.“ Dazu gibt es verschiedene Maßnahmen, die je nach Stärken und Schwächen der jeweiligen Einrichtung individuell auszuwählen und anzupassen sind.

„Wir alle bewegen uns ja meist intentional“, sagt Prof. Zegelin. Erstes Ziel sei es also, Orte zu schaffen, die es zu erkunden lohnt. Dies kann auch dadurch erreicht werden, dass Spielautomaten in verschiedenen Ecken der Einrichtung aufgestellt werden. „Das können durchaus ‚schräge’ Sachen sein, die neugierig machen. Wir müssen zeigen, dass das Leben in einem Altenheim noch nicht zu Ende ist. Ich selbst würde jedenfalls lieber in ein Heim Namens ‚Sündenpfuhl’ einziehen als in das Heim ‚Abendfrieden’.“

Auch die Umsetzung des Konzeptes der von ihr entwickelten und oft kopierten „Klinikspaziergänge“ ist eine Möglichkeit, Mobilität zu fördern. Dabei werden den Bewohnern an verschiedenen über die Einrichtung verteilten Stationen interessante Orte geboten, die über einen „Mobilitätspfad“ oder eine „Spazierroute“ miteinander verbunden sind. Zu besichtigen sind dort Bilder und Gemälde, die Assoziationen zur Jugendzeit der Bewohner fördern, Gedichte, eine Jukebox mit alten Schlagern, eine Sport- und Spielecke, ein großes Aquarium oder eine Handarbeitsecke. Auch das von Prof. Zegelin entwickelte Biografie-Poster kommt zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine riesige Grafik, in der hunderte von Details aufgenommen sind, so dass es dort bei jedem Besuch etwas Neues zu entdecken gibt. In diesem Rückblick über mehrere Jahrzehnte enthalten sind „alte Bekannte“ wie die D-Mark, Figuren von Wilhelm Busch, Werbeslogans aus vergangenen Tagen, Filmplakate und Zeichnungen von historischen Ereignissen.

„Wichtig ist uns dabei vor allem, dass die Leute weg von der ‚Wartesaal auf den Tod’-Einstellung kommen“, sagt Prof. Zegelin. „Wir versuchen, sie einzubeziehen, sie zu bestätigen, und vor allem, ihnen so viel Alltag wie möglich zu erhalten. Wer mit der Einstellung in ein Altenheim geht, dass ihm hier alles abgenommen und für ihn geregelt wird, der befindet sich bereits in der Abwärtsspirale, die mit dem völligen Verlust der Selbstständigkeit endet.“ Deshalb sei es Ziel ihres Programms, zumindest eine „Autonomie im Nahradius“ zu erhalten. Dies könne mit dem „Drei-Schritte-Programm“ und dem selbstständigen Besuch der Toilette im eigenen Zimmer erreicht werden. „Wir bieten eine Vorschlagliste von etwa 20 individuellen Maßnahmen an“, erläutert die Expertin zum Thema Bettlägerigkeit. Das kann auch Dinge wie eine Umgestaltung des Gartens, des Speisesaals, eine bessere Einbeziehung der Angehörigen oder eine Vereinheitlichung der Handgriffe der Pflegenden beim Umbetten beinhalten. Im Vordergrund stehe aber immer die Bestätigung und Wertschätzung der Bewohner sowie die Frage, was der Einzelne noch selbst einbringen kann.

Ihr Programm „Mobilitätsförderung in der Altenpflege“ hat Prof. Zegelin in den vergangenen Jahren in insgesamt fünf Einrichtungen in Bayern und Berlin durchgeführt. „Das Ergebnis war jedes Mal, dass die Leute wieder mobiler geworden bzw. die Neuankömmlinge länger mobil geblieben sind.“ Nach diesen positiven Erfahrungen möchte sie das Programm nun auch auf Nordrhein-Westfalen ausweiten. Prof. Zegelin: „Dafür suchen wir noch Pflegeeinrichtungen, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind.“


Über uns


Die Universität Witten/Herdecke (UW/H) nimmt seit ihrer Gründung 1982 eine Vorreiterrolle in der deutschen Bildungslandschaft ein: Als Modelluniversität mit rund 1.300 Studierenden in den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft und Kultur steht die UW/H für eine Reform der klassischen Alma Mater. Wissensvermittlung geht an der UW/H immer Hand in Hand mit Werteorientierung und Persönlichkeitsbildung.

 

 


Quelle: Universität Witten/Herdecke (UW/H), 26.07.2011 (tB).

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…