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Zulassung des ersten RNAi-Therapeutikums
Onpattro® (Patisiran) gibt neue Hoffnung bei hATTR-Amyloidose
Berlin (18. Oktober 2018) – RNAi-Therapeutika leiten eine neue Ära ein, denn sie ermöglichen bei Erbkrankheiten den ursächlichen Fehler in den Genen „stillzulegen“ ohne das Erbgut zu verändern. Mechanismus und Technologie der RNA-Interferenz (RNAi) wurden im Rahmen der Zulassungs-Pressekonferenz von Onpattro® (Patisiran) erörtert, einem der ersten Medikamente dieser Klasse. Onpattro® wird zur Behandlung der hereditären Transthyretin-Amyloidose (hATTR-Amyloidose) bei erwachsenen Patienten mit Polyneuropathie der Stadien 1 oder 2 angewendet. Wie sich diese Erkrankung diagnostizieren lässt und welchen Einschränkungen die Therapie bisher unterlag, stellte Prof. Wilhelm Schulte-Mattler, Regensburg, vor. Die neue Möglichkeit einer wirksamen Therapie zeigte Prof. Hartmut Schmidt, Münster, anhand der kürzlich im New England Journal of Medicine publizierten Ergebnisse der Zulassungsstudie APOLLO1 sowie eigenen Erfahrungen mit Onpattro® auf.
Wie kann man pathogen veränderte Gene stummschalten, ohne in das Erbgut einzugreifen? Dies wurde erst möglich, nachdem die Forscher Dr. Andrew Fire und Dr. Craig Mello den natürlichen Mechanismus der Gen- Stilllegung (Gen-Silencing) entdeckten, wofür sie 2006 den „Nobelpreis für Physiologie oder Medizin“ erhielten. Um diesen körpereigenen Regulationsmechanismus therapeutisch nutzbar zu machen, wurde 2002 das biotechnologische Unternehmen Alnylam® gegründet, dem es nach Jahren intensiver Forschung gelang, mit den RNAi-Therapeutika eine innovative Medikamentenklasse zu entwickeln.
„Das Revolutionäre an diesen neuartigen Substanzen ist, dass sie an der Ursache einer Erkrankung ansetzen und man nicht mehr nur Schadensbegrenzung betreibt“, führte Dr. Klaus Charissé, Alnylam® Pharmaceuticals aus. Wenn bisherige Medikamente in der Regel nur in der Lage waren, die Auswirkungen pathologischer Proteine einzugrenzen, verhindern RNAi-Therapeutika bereits selektiv deren Entstehung auf der Translationsebene.
Zielgerichtete Inaktivierung pathologischer Gene
RNAi-Therapeutika unterdrücken die Synthese des krankmachenden Proteins auf der Ebene der defekten Messenger RNA (Boten-RNA, mRNA). Dazu wird eine kurze Doppelstrang-RNA verabreicht, die sich in der Zelle in Einzelstränge aufspaltet. Die so entstandene siRNA (small interfering RNA) bindet im Zellplasma am RISC-Komplex (RNA-induced silencing complex). Dieser Komplex wirkt nun über Wochen katalytisch, indem er die spezifischen mRNAs abbaut, dabei aber selbst nicht verbraucht wird. Die Reduktion der Protein-synthese könne bis zu 99% betragen, so Charissé.
Doch das war nur der erste Schritt. Welche Herausforderungen es zu meistern galt, um die RNAi-Wirkstoffe tatsächlich in die Zielzellen hineinzubringen, stellte Charissé anschließend dar. Alnylam® entwickelte dazu unterschiedliche Technologien: Bei Patisiran stellen Lipid-Nanopartikel (LNP) das Transportvehikel dar, um die siRNA sicher ins hepatozelluläre Zytoplasma einzuschleusen.
hATTR-Amyloidose aus dem Schattendasein ins Bewusstsein der Ärzte holen
„Mit dem smarten RNAi-Ansatz, in den wir große Hoffnungen bei diversen Erbkrankheiten setzen, können wir die Erkrankung an der Wurzel packen“, erläuterte Prof. Wilhelm Schulte-Mattler, Regensburg, der das seltene Krankheitsbild und die Diagnostik der hATTR-Amyloidose ins ärztliche Bewusstsein bringen will. Bisher seien die Betroffenen ohne wirksame Behandlung nach ca. 10 Jahren verstorben, so Schulte-Mattler. Schuld sind die zunehmenden Ablagerungen von Amyloid-Fibrillen in verschiedenen Organen und Geweben, wie Herz und Nerven. Denn das fehlerhaft produzierte Transthyretin sammelt sich im Krankheitsverlauf sukzessiv in lebenswichtigen Organen an und führt u.a. zu progredienten neuropathischen und/oder kardiomyopathischen Symptomen.
Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung wird die hATTR-Amyloidose oft zunächst nicht richtig diagnostiziert. „Die meisten Ärzte sehen in ihrem Leben keinen solchen Patienten“, berichtete Schulte-Mattler. Obwohl die Symptome zu Beginn erst vieldeutig seien, könne man sie jedoch bei genauer Analyse auch im frühen Krankheitsstadium oft schon eingrenzen. „Wenn man einen Verdacht hat, muss man hartnäckig bleiben“, forderte der Experte für seltene Erkrankungen. Bei progressiver Neuropathie und Amyloidose in der Familienanamnese sollte immer an eine hATTR-Amyloidose gedacht werden. Die bisherigen Behandlungsoptionen beschränkten sich auf die Linderung der Symptome, eine Stabilisierung des fehlerhaft produzierten Transthyretins, welche die Ablagerung im Gewebe verringert, sowie eine Lebertransplantation, da die Leber der Hauptsyntheseort für Transthyretin ist. „Es gibt also einen ‚medical need‘ für die Behandlung der weltweit immerhin etwa 50.000 betroffenen Menschen“, so Schulte- Mattler.
Onpattro® – die Chance, die Erkrankung zum Stillstand zu bringen
Das aufgrund der medizinischen Dringlichkeit im beschleunigten Verfahren zugelassene Patisiran ist zur Behandlung der hATTR-Amyloidose bei Erwachsenen mit Polyneuropathie Stadium 1 oder 2 indiziert.
Die Marktzulassung für Onpattro® basierte auf positiven Ergebnissen der randomisierten, doppelblinden Phase-3-Studie APOLLO (1,2), an der weltweit 225 Patienten teilnahmen: 77 erhielten Placebo und 148 Patisiran alle 3 Wochen über 18 Monate. Beim primären Endpunkt – dem modifizierten Neuropathie-Beeinträchtigungs-Score +7 (mNIS+7) – habe sich eine hoch-signifikante Verbesserung (p<0,001) unter Patisiran im Vergleich zu Placebo ergeben, stellte Prof. Hartmut Schmidt, Münster, dar. Während der Symptom-Score unter Patisiran abnahm (–6,0±1,7 Punkte) kam es unter Placebo zu einer deutlichen Verschlechterung um 28,0±2,6 Punkte (Differenz –34,0 Punkte; P<0,001). Auch bei allen sekundären Endpunkten wurden unter Patisiran signifikante und klinisch bedeutsame Verbesserungen im Vergleich zu Placebo erreicht.„Neben der Polyneuropathie verbesserten sich die Lebensqualität, die Aktivitäten des täglichen Lebens, die Gehfähigkeit und der Ernährungszustand der Verum-behandelten Patienten“, so Schmidt. In der kardialen Subpopulation wurden zudem signifikante Wirkungen auf explorative kardiale Biomarker und echokardiographische Endpunkte nachgewiesen.
Einen unmittelbaren Einblick in das Leben mit hATTR-Amyloidose und seine persönlichen Erfahrungen mit bereits sechsjähriger erfolgreicher Patisiran-Therapie gab zum Abschluss ein Patient von Herrn Prof. Schmidt. „Den Studienergebnissen und meinen persönlichen Erfahrungen nach haben wir nun eine gut verträgliche Behandlung, welche die Erkrankung zum Stillstand bringen oder sogar bessern kann“, resümierte Schmidt.
Literaturverweise
- Adams D et al. Patisiran, an RNAi Therapeutic, for Hereditary Transthyretin Amyloidosis. New Engl J Med 2018; 379: 11–21
- Adams D et al. Trial design and rationale for APOLLO, a Phase 3, placebo-controlled study of patisiran in patients with hereditary ATTR amyloidosis with polyneuropathy. Adams et al. BMC Neurology 2017; 17: 181–192
Quelle: Alnylam, 18.10.2018 (tB).