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Folgenhafter Eingriff ins Gehirn
Ethische Implikationen der Tiefen Hirnstimulation
Ulm (23. Januar 2017) – Wie sehr sich die ethisch-moralische Bewertung medizinischer Eingriffe über die Zeit hinweg verändert, demonstrierte Professor Heiner Fangerau im sehr gut besuchten Ulmer Stadthaus am Beispiel der Tiefen Hirnsimulation (THS). Im Rahmen der Unijubiläums-Vortragsreihe „Das Gehirn – ein außergewöhnliches Organ“ machte der Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf deutlich, dass diese auch als Hirnschrittmacher bezeichnete neurologische Behandlungsmethode heute zwar durchaus erfolgreich eingesetzt werde. Allerdings blieben dabei gewisse ethische Probleme sowie ein „moralisches Unbehagen“ bestehen.
Wie sehr sich die ethisch-moralische Bewertung medizinischer Eingriffe über die Zeit hinweg verändert, demonstrierte Professor Heiner Fangerau im sehr gut besuchten Ulmer Stadthaus am Beispiel der Tiefen Hirnsimulation (THS). Im Rahmen der Unijubiläums-Vortragsreihe „Das Gehirn – ein außergewöhnliches Organ“ machte der Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf deutlich, dass diese auch als Hirnschrittmacher bezeichnete neurologische Behandlungsmethode heute zwar durchaus erfolgreich eingesetzt werde. Allerdings blieben dabei gewisse ethische Probleme sowie ein „moralisches Unbehagen“ bestehen.
Bei der Tiefen Hirnstimulation werden kleine Sonden operativ in das Gehirn eingesetzt und bestimmte Bereiche des Gehirns mit Hilfe elektrischer Impulse angeregt. Medizinisch gut erprobt ist diese Methode zur Behandlung von Bewegungsstörungen und unkontrolliertem Zittern und Krampfen beispielsweise bei Parkinson oder Dystonie. Der Ulmer Neurologe Professor Albert C. Ludolph – Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik an den Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm und Initiator der Vortragsreihe – zeigte zu Beginn der Veranstaltung in Kurzfilmen einige beindruckende Beispiele erfolgreicher THS-Behandlungen am Klinikum. An Morbus Parkinson erkrankte Patienten, die zuvor kaum bewegungsfähig waren oder unter starkem Tremor litten, konnten wieder selbstständig gehen und sich kontrolliert bewegen. Doch ganz unproblematisch ist die Elektrostimulation tieferer Hirnbereiche trotz beachtlicher Therapieerfolge nicht. Mögliche Nebenwirkungen reichen einerseits von der Depression über starke Leistungseinschränkungen bis hin zu Euphorie-Zuständen, teils begleitet von abnormen Antriebssteigerungen und unkontrollierbarer Verschwendungssucht.
Nach einem historischen Abriss zur Entwicklung dieser neurologischen Behandlungsmethode, die seit spätestens den 50er Jahren als in Teilen reversibler chirurgischer Eingriff durchgeführt und therapeutisch genutzt wird, zeigte Fangerau auf, wie seit den frühen 60er Jahren moralische und gesellschaftliche Aspekte dieser Therapie diskutiert wurden. „Bis in die 50er Jahre gab es zur Behandlung psychischer und psychiatrischer Erkrankungen so gut wie keine wirkungsvollen Medikamente. Dies erklärt, dass die THS in den Anfangsjahren bei einer ganzen Reihe von `Nervenkrankheiten´, aber auch von `Verhaltensstörungen´, eingesetzt wurde“, erklärte der Medizinethiker, der von 2008 bis 2014 an der Universität Ulm geforscht und gelehrt hat, und dort als Gründungsdirektor das Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin aufgebaut hat. Frühe Behandlungsversuche gab es nicht nur bei Schizophrenie und Depression, sondern auch bei Homosexualität und unerwünschtem Sozialverhalten.
Der spanische Physiologe José Delgado beispielsweise zeigte in den 60er Jahren in Experimenten an Affen und anderen Tieren, dass sich mit gezielt platzierten Elektroden im Gehirn starke emotionale Zustände wie Aversionen aber auch starke Glücksgefühle hervorriefen ließen. Per Elektrostimulation brachte er nicht nur einen Stier dazu, mitten im Angriffsanlauf zu stoppen, sondern er wollte diese Technik auch als „Zivilisationsmittel“ einsetzen, um unliebsames Sozialverhalten des Menschen per Fernsteuerung „auszuschalten“. Im Experiment ließ er beispielsweise junge Affenweibchen „per Knopfdruck“ die unliebsamen sexuellen Annäherungsversuche ihrer männlichen Artgenossen unterdrücken. Delgado schlug vor, diese Versuche als „Psychozivilisation“ auf menschliche Gesellschaften zu übertragen.
Wie sind solche Experimente ethisch zu beurteilen, wenn sie am Menschen durchgeführt werden? Nach den berühmten von Tom Beachamp und James Childress herausgearbeiteten Grundprinzipien der Bioethik gibt es vier Grundsätze des ethischen Handelns in der Medizin: das Gebot, mit der Behandlung dem Patienten nicht zu schaden, zum Wohl des Patienten zu handeln, sein Selbstbestimmungsrecht zu wahren sowie Gerechtigkeit beispielsweise im Hinblick auf den Zugang zu Therapien walten zu lassen. „Delgados Vorstellungen, per Elektrostimulation das Verhalten des Menschen zu beeinflussen, verstoßen klar gegen das Autonomiegebot“, stellte der Wissenschaftler in seinem Vortrag klar. Und wie sieht es mit der Achtung der vier Prinzipien aus, wenn durch Eingriffe in neurologische Prozesse die Patienten massiv in ihrem Gefühlsleben beeinflusst werden, wenn sich gar ihre Persönlichkeit verändert, oder Methoden wie die Elektrostimulation zur Steigerung des geistigen Leistungsvermögens, also sozusagen als Doping, eingesetzt werden?
So zeigte die rege geführte Diskussion im Anschluss an den Vortrag, dass trotz klarer ethischer Vorgaben und bei vorsichtiger Abwägung des therapeutischen Nutzens gegen zu erwartende Nebenwirkungen immer noch zahlreiche Fragen offen bleiben. Was ist, wenn ein Patient nach höheren Stimulationsdosen verlangt, weil er die euphorisierende Wirkung sucht? Wie ist es juristisch zu beurteilen, wenn ein Mensch unter der Einwirkung eines Hirnschrittmachers Straftaten begeht? Nicht alle offenen Fragen konnten an diesem Abend geklärt werden, doch haben die zahlreichen Zuhörer reichlich Anregungen und Gesprächsstoff mit nach Hause genommen. Und wie hatte Universitätspräsident Professor Michael Weber zur Begrüßung gesagt: „Das Gehirn ist nicht nur ein ganz besonderes Organ. Um Wissenschaft zu betreiben, ist es sogar essentiell.“ Was für ein faszinierender Forschungsgegenstand das menschliche Gehirn ist, werden mehrere weitere Vorträge aus dieser neurologischen Vortragsserie zeigen.
So spricht Professor Hartmut Wekerle vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie München am Freitag, den 17. Februar, um 18:00 Uhr im Stadthaus Ulm zum Thema „Fernauslöser: Darmflora und Multiple Sklerose“. Am Freitag, den 5. Mai, ebenfalls 18:00 Uhr, widmet sich am selben Ort Professor Christian Elger von der Bonner Universitätsklinik für Epileptologie in seinem Vortrag dem „ökonomischen“ Gehirn.
- Informationen zur Veranstaltungsreihe: www.uni-ulm.de/misc/50jahre/programm/veranstaltungsreihen/das-gehirn-ein-aussergewoehnliches-organ
Text: Andrea Weber-Tuckermann
Quelle: Universität Ulm , 23.01.2017 (tB).