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Kirche und Finanzen
Die theologische Dimension des Geldes
Wolfgang Huber
Dresden (3. Juni 2011) – Früh schon faszinierten mich Pfennige – ja Pfennige, nicht Cents. Meine vier älteren Brüder machten sich einen Spaß daraus, mich als Jüngsten ihre Schuhe putzen zu lassen, selten genug. Sie bezahlten ordentlich: einen Pfennig pro Schuh. So lernte ich auch, dass es Zwei-Pfennig-Münzen gab. Sie waren schnell wieder ausgegeben. Ärgerlich stellte ich fest, wie viele Schuhe ich für eine Kugel Eis putzen musste. Als ich später mein erstes Geld in einer Nylon-Fabrikverdiente, legte ich einen Teil meines Lohns in Aktien an, sogenannten VW-Volksaktien. So lernte auch ich, dem Geld Ehre zu erweisen.
„Dem Geld erweisen die Menschen Ehren, das Geld wird über Gott gestellt." So heißt es bei Bertolt Brecht. Das klingt wie ein Echo auf Martin Luther, der sagt, es gebe manchen, „der auch einen Gott hat, der heißet Mammon, das ist Geld und Gut, darauf er alle sein Herz setzet, welcher auch der allergemeinest Abgott ist auf Erden." Der Dichter Bertolt Brecht wie der Reformator Martin Luther nehmen damit ein Wort Jesu auf, das kurz und bündig sagt: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon."
Ist das die zwangsläufige Folge, wenn man dem Geld Ehre erweist? Ist es unausweichlich, dass Geld über Gott steht und so als Abgott wirkt? MUSS man wirklich zwischen Gott und Mammon wählen? Die Funktionen des Gelds, die Religion des Gelds, das Geld der Schuldner und das Geld der Kirche – das sind die vier Schritte, in denen ich dieser Frage nachgehen will.
I. Funktionen des Gelds
Geld gilt als unentbehrlich. Das merken die am deutlichsten, denen es fehlt. Als Zahlungsmittel ist es nicht erst in modernen Zeiten allgegenwärtig. Drei Funktionen des Gelds schieben sich schon früh in den Vordergrund. Das Geld ist eine Recheneinheit; es dient als Tauschmittel; und es wird als Wertaufbewahrungsmittel genutzt. Für alle drei Funktionen gibt es in der Jesusgeschichte einprägsame Illustrationen.
Die Rolle des Geldes als Recheneinheit lässt sich an Jesu Beispiel von den anvertrauten Zentnern illustrieren. Bevor der Herr, der außer Landes reist, sich auf den Weg macht, vertraut er seinen Dienern sein Vermögen an, dem einen fünf, dem ändern zwei, dem dritten einen Zentner Silber. Es kommt hier nicht darauf an, was man für einen Zentner Silber kaufen kann, es geht nur um den Unterschied. Er wiederholt sich noch einmal: der eine gewinnt fünf Zentner hinzu, der andere zwei, der letzte dagegen keinen, weil er das Geld in einem Erdloch vergräbt, statt es arbeiten zu lassen. Erfolg und Misserfolg werden an einer Recheneinheit gemessen, die ohne Ansehen der Person gilt: das Geld.
Das Geld ist ein universales Tauschmittel. Es erleichtert den Warentausch. Statt seine Lämmer oder Eier mit sich schleppen zu müssen, braucht man nur noch sein Geld, um auf dem Markt einkaufen zu können. Jesus setzt diese Funktion des Geldes selbstverständlich voraus. Er weiß, wovon er spricht, wenn er seine Jünger anweist, ohne dieses Tauschmittel auszukommen: „Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben." Deutlicher kann man sich von der Gesellschaft nicht absetzen als durch den Verzicht auf Geld. Jesus weiß freilich auch: Die Jünger, die sich mit ihm auf den Weg der Nachfolge begeben haben, brauchen Sympathisanten, in deren Häusern sie einkehren können. Diese Sympathisanten kaufen ein und brauchen dafür Geld. Die Jünger können dadurch auf Geld verzichten; aber sie setzen die Geldwirtschaft nicht außer Kraft.
Und schließlich das Wertaufbewahrungsmittel. Wer mehr verdient, als er braucht, sucht immer wieder die Möglichkeit dazu, Erwirtschaftetes aufzubewahren. Von dem reichen Jüngling, der Jesus begegnet, heißt es, dass er viele Güter hat. Deutlicher noch ist es bei dem schon erwähnten reichen Mann: Sein Reichtum besteht aus Silbergeld.
Alle drei Funktionen kennen wir auch heute. Die Recheneinheit, an die wir uns halten, gilt inzwischen sogar für eine ganze Gruppe von Ländern, die Eurozone. Die Möglichkeiten, Geld als Tauschmittel einzusetzen, haben sich vervielfacht. Man erhält das Gehalt auf ein Konto und kann online kaufen und bezahlen. Man braucht das Geld nicht mehr in die Hand zu nehmen, um es als Tauschmittel zu nutzen. Die digitale Revolution hat aber vor allem die Funktion des Gelds als Wertaufbewahrungsmittel vollständig verändert. Milliardenbeträge umkreisen den Globus genauso schnell wie elektronische Nachrichten. Genauer: sie sind gar nichts anderes als elektronische Nachrichten.
II. Die Religion des Geldes
Mir geht es heute nicht um die Religion des Geldes in der Geschichte. Ich will ausschließlich danach fragen, ob Geld heute religiöse Qualität annimmt und dadurch zum Mammon wird. Ich frage also nach der religiösen Funktion des Geldes im Informationszeitalter.
Die digitale Revolution, die dieses Zeitalter prägt, hat sich mit einer unvergleichlichen Liberalisierung der Finanzmärkte verbunden, Die Möglichkeiten, durch hohe Risiken hohe Gewinne zu machen, haben sich vervielfacht. In der Zukunft erwartete Preisveränderungen von Rohstoffen oder Devisen werden in Gewinnmargen umgesetzt, Schulden werden in Wertpapiere umgewandelt und meistbietend verkauft. Man kann auch auf Kursverluste von Aktien spekulieren oder an der Insolvenz von Griechenland verdienen.
Innerhalb weniger Jahrzehnte ist der Handel mit derartigen Finanzderivaten zum weltweit größten Markt überhaupt angewachsen. Er umfasst heute weit mehr als das Dreifache des Handels mit Verbrauchsgütern auf dem Globus. Der Finanzmarkt hat sich vollständig von der sogenannten „Realwirtschaft" gelöst. Das ist nur möglich, weil Preise sich nicht mehr auf Waren und Dienstleistungen, sondern wieder auf Preise beziehen: „Hier werden gegenwärtige Preise für Nichtvorhandenes nach der Erwartung künftiger Preise für Nichtvorhandenes bemessen. Hier werden Preise mit Preisen bezahlt. Die Preise sind … von der Bindung an materielle Lasten und Beschwernisse befreit und rechtfertigen den Titel eines selbstreferentiellen Marktgeschehens" (Joseph Vogl).
Folgerichtigerweise sind die Informationen über Geld wichtiger geworden als das Geld selbst. Wer Millisekunden vor dem anderen den richtigen Mausklick ausführt, kann dadurch einen Milliardengewinn erzielen. Wir erleben nicht nur eine Ökonomisierung der Gesellschaft, wir erleben ihre „Finanzialisierung". Von den Finanzmärkten gehen riesige Chancen für eine wohlhabende Minderheit aus; vor allem aber erzeugen sie riesige Gefahren für alle aus. Das haben wir in der Finanzmarktkrise der letzten Jahre erlebt. Zureichende Konsequenzen stehen noch aus.
An der Dynamik der Finanzmärkte orientiert sich inzwischen auch das Bild vom Menschen. Die Entgegensetzung von Kapital und Arbeit wird zu den Akten gelegt. Stattdessen ist von „Humankapital" die Rede. An die Menschen werden dieselben Erwartungen gerichtet wie an Geld: Risikobereitschaft soll Gewinn garantieren; Flexibilität ist die Voraussetzung für Sicherheit. „Flexibility" und „Security" gehören zusammen; „Flexicurity" heißt deshalb das Bewegungsgesetz des Humankapitals.
Auch die Gesellschaft im Ganzen soll nach dem Modell des Investmentbanking funktionieren. Sie wird in einem neuen Sinn zur „Risikogesellschaft": Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, wird zum Motor eines vermeintlich unaufhaltsamen gesellschaftlichen Fortschritts. Das Prinzip der rationalen Wahl unter Gewinngesichtspunkten bestimmt alle maßgeblichen Lebensentscheidungen; es kommt zu einer „Finanzialisierung" des Lebenslaufs. Familienplanung wird zum Kosten-Nutzen-Kalkül; die Geburt von Kindern tritt in eine ökonomische Perspektive; ihre genetische Ausstattung wird an ihrem wirtschaftlichen Nutzwert gemessen. Was für den Anfang des Lebens gilt, das gilt auch für sein Ende; nicht mehr nach dem Sinn, sondern nach dem Nutzen des Lebens wird gefragt. Entfällt er, wird der Ruf nach aktiver Sterbehilfe laut. Die veränderte Atmosphäre, in der heute über PID oder assistierten Suizid diskutiert wird, zeigt, wie weit diese Finanzialisierung des Lebenslaufs schon fortgeschritten ist.
Daraus wird auch ein umfassendes Zukunftsbild abgeleitet – die Verwirklichung des Reiches Gottes mit den Mitteln der Finanzmärkte. Auch in finanzieller Hinsicht wurde schon in den neunziger Jahren das „Ende der Geschichte" angesagt. Das Drama der Wirtschaftszyklen, so meinte man, werde aufhören und durch eine unabsehbar lange Epoche stetig steigender Erträge abgelöst. Aus der vermeintlichen Eigendynamik globaler Finanzströme wurde eine Reich-Gottes-Botschaft abgeleitet, das Evangelium der Finanzmärkte.
Freilich hat auch die Erwartung, dass dieses Gottesreich nahe herbeigekommen sei, schon seine Enttäuschungen erlebt. Sie hießen zum Beispiel Japankrise, Tequila-Krise, Asienkrise, Kollaps der New Economy, Lehman Brothers-Krise. Doch bei solchen Krisen hilft eine theologische Denkfigur: Die Theodizee wird auf den Finanzmarkt übertragen. Die alte Theodizee – also die Lehre von der Rechtfertigung Gottes – antwortete auf die Frage, wie Gott Böses und Unglück zulassen könne: Im Ganzen sei der Kosmos wohlgeordnet; trotz einzelner Zwischenfälle handle es sich um die beste aller Welten. Ähnlich argumentiert die Finanzmarkt-Dizee: Krisen ändern nichts an den Verheißungen dieses Systems. Dass die Wirtschaft sich so schnell von den Schrecken der Finanzmarktkrise erholt hat, gilt als Beleg für diese Auffassung.
Doch die Glücksverheißungen des virtuellen Geldes stoßen sich an einer gegenläufigen Realität, an der Realität von Hunger, Armut und Ungleichheit. Sie dokumentiert das direkte Gegenteil jenes Reichs der Freiheit, von dem die Propheten des Finanzialismus schwärmen. Denn von einem Ende der Geschichte könnte doch allenfalls dann die Rede sein, wenn die gleiche Freiheit aller – und damit endlich eine Gerechtigkeit, die diesen Namen verdient -erreicht würde. Doch davon entfernt sich die Menschheit in der globalisierten Welt immer weiter. Der Philosoph Thomas Pogge rechnet es unerbittlich vor: Obwohl das Durchschnittseinkommen der Weltbevölkerung wächst, profitiert davon nur deren oberstes Zwanzigstel. Neunzehn Zwanzigstel kämpfen damit, dass ihnen immer weniger Geld zur Verfügung steht. Fast 40 Prozent der Menschheit müssen täglich mit weniger als zwei Dollar auskommen. Pogge wörtlich: Um ihre Gewinne zu maximieren, „halten die nationalen und globalen Eliten Milliarden von Menschen in Armut und setzen sie Hunger und Infektionskrankheiten, Kinderarbeit und Prostitution, Menschenhandel und Tod aus."
Diese Lage der Menschheit ist ein Skandal – jedenfalls wenn wir sie an dem Maßstab messen, dass jeder Mensch die gleiche Würde hat und dass deshalb die Bedürfnisse jedes Menschen gleich wichtig sind, an welchem Ort der Welt er auch lebt. Wechselseitig haben wir die Pflicht, Schaden von unseren Mitmenschen abzuwenden und ihnen zum Lebensnotwendigen zu helfen. Wir haben übrigens auch dafür zu sorgen, dass die heute Lebenden ihre Bedürfnisse so befriedigen, dass auch kommende Generationen ihre Bedürfnisse noch in gleicherweise befriedigen können. Das ist die Minimalbedingung von Nachhaltigkeit. Dafür brauchen wir eine Entmythologisierung des Gelds. Es ist kein Weg zum Heil. Es macht auch nicht glücklich – erst recht dann nicht, wenn man es zum Gott macht.
Geld zum Gott zu machen, es als Mammon zu verehren, ist nicht nur eine Gefahr der Reichen. Aber sie zeigt sich dort besonders deutlich, wo die Gier nach Geld selbst dann nicht nachlässt, wenn jemand schon über große Summen verfügt. Dass Geld süchtig machen kann, verdeutlicht Jesus an dem jungen Mann, der nicht vom Geld lassen kann – und zwar gerade deshalb, weil er viele Güter hat. An die Begegnung mit ihm knüpft er die pointierte Feststellung, es sei leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme. Das ist eine paradoxe Zuspitzung; sie beschreibt die Schwierigkeit in ihrer ganzen Härte: Kamel und Nadelöhr, das größte Tier und die kleinste Öffnung werden einander gegenübergestellt. Eine ermäßigte Deutung dieses Bildworts sagt, mit dem Nadelöhr sei ein niedriges Tor in Jerusalem gemeint; wenn das Kamel auf seinen Knien hindurchrutsche, könne es das Tor überlisten. Doch ein Tor namens „Nadelöhr" hat es in Jerusalem nie gegeben; es ist erfunden worden, um dem Wort Jesu seine Schärfe zu nehmen. Die Zuspitzung hat aber einen guten Sinn: Geld dient dem Zweck, sich das Nötige kaufen zu können. Viel Geld verführt zu der Vorstellung, sich alles kaufen zu können. Lebenslustige verführt viel Geld zu der Idee, sich sogar das Glück kaufen zu können. Fromme verführt viel Geld zu der Meinung, sich auch noch das Heil kaufen zu können. Dem hält Jesus entgegen: Geld hilft zum Lebensunterhalt, dem Tagelöhner im Weinberg wie dem Reichen. Eigentum verpflichtet; der Reiche hat deshalb eine Pflicht zu teilen. Aber Geld macht nicht glücklich; und es verhilft niemandem zum Heil. Der Zugang zum Reich Gottes muss allen von innen geöffnet werden; keiner kann ihn von außen aufstoßen – mag er viel Geld haben oder wenig.
„Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein!" Der Kirchentag in Dresden enthält in seiner Losung einen Aufruf zur Freiheit. Sie ruft zur Freiheit von der Gier nach Geld. Sie befreit von der Vorstellung, dass Geld ein Heilsbringer sei. Sie widerspricht deshalb dem Finanzglauben unserer Zeit.
Dem Glauben an das Geld wollte Jesus auch mit dem Satz widersprechen: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon". Geld ist ein Mittel, kein Selbstzweck; es ist zu nutzen, aber nicht zu verehren. Trotz aller Verführungskraft kann Geld auch zum Guten eingesetzt werden; das verdeutlicht Jesus im gleichen Zusammenhang mit der Aufforderung, sich mit dem ungerechten Mammon Freunde zu machen, nämlich dieses Geld zum Schuldenerlass einzusetzen.
Wie Jesus den Umgang mit dem Geld sieht, kann man am leichtesten aus seinem Kommentar zu der Steuermünze ablesen, die ihm vorgehalten wird. Dieser Kommentar heißt: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" Eine Unterscheidung wird eingefordert, die sich ohne Umschweife auch auf andere Funktionen des Gelds übertragen lässt. Die Konsequenz heißt: „Gebt der Wirtschaft, was der Wirtschaft ist, und Gott, was Gottes ist." Oder eben auch in dieser Hinsicht: „Man muss Gott mehr gehorchen als dem Geld."
Die Kommentare Jesu zum Geld stehen in einer prophetischen Tradition. Sie wehren der Vergötzung des Geldes und protestieren gegen die Ungerechtigkeit, die aus der Gier nach Geld erwächst. Auch für Christen, die nicht wie die Jünger Jesu oder wie Franz von Assisi ganz auf Geld verzichten, ist die Religionskritik am vergötzten Geld unentbehrlich. Doch die Gegenwehr gegen eine solche Vergötzung besteht nicht darin, das Geld zu verteufeln. Es gibt keinen Grund zu seiner kultischen Verehrung; es gibt keinen Anlass, den Kapitalismus zur Religion zu machen. Aber es gibt auch keinen Anlass dazu, eine „Religion des Antikapitalismus" zu entwickeln (Joachim von Soosten). Der Abschied vom Heilsversprechen des Geldes erfordert keine antikapitalistische Gegenreligion, sondern den nüchternen Umgang mit dem Geld als dem, was es ist: ein wirtschaftliches Mittel. Gute Haushalterschaft ist die richtige Haltung, im Kleinen wie im Großen. Die christliche Kritik am Umgang mit Geld braucht als Basis gute Ökonomik.
III. Das Geld der Schuldner
Geld ist nicht nur wichtig, wenn man es hat; es ist noch viel wichtiger, wenn es fehlt. Im Geld drücken sich nicht nur Vermögenswerte aus, sondern auch Schulden. Dieser Aspekt findet sogar ins Vaterunser Eingang, wo das Verhältnis zu Gott wie zu den Mitmenschen in der Sprache von Schuldnern und Gläubigern beschrieben wird. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass der christliche Glaube von Anfang an in nichtreligiöser Sprache ausgelegt wird. Schuld, Vergebung und Erlösung sind Begriffe aus der Ökonomie. Sie kreisen um die materielle Abhängigkeit, in die Menschen dadurch geraten, dass ihnen das Notwendigste zum Leben fehlt. „Vergebung" ist ursprünglich der Schuldenerlass, „Erlösung" ist der Freikauf aus Schuldknechtschaft.
Kredite sind für erfolgreiches Wirtschaften unentbehrlich. Schuldenmachen kann aber auch Ausdruck äußerster Not sein. Weit über solche Notsituationen hinaus ist das gegenwärtige Wirtschaftssystem darauf ausgerichtet, Menschen zum Schuldenmachen zu veranlassen. Oft sind der wirtschaftliche Ruin oder die Zerstörung von Familien die Folge; dass Menschen sich – bis hin zum Suizid – zu Grunde richten können, ist ein eindrücklicher Beleg für die allgegenwärtige Macht des Geldes. Überschuldung ist zu einem zentralen Thema von Beratung, Seelsorge und Sozialarbeit geworden. Weil das Geld auch auf diese Weise die Herrschaft über die Seelen antritt, brauchen wir eine armutsorientierte Diakonie – im eigenen Land wie weltweit.
Im Blick auf den Umgang mit dem Geld ist die Kirche ein Anwalt der Armen. Und sie ist ein Anwalt kommender Generationen. Denn der Teufelskreis der Verschuldung beherrscht inzwischen auch die Politik. Sie bietet ein besonders eindrucksvolles Beispiel für den Pumpkapitalismus unserer Zeit. Man verlässt sich auf die Zwangsmitgliedschaft auch der nächsten Generation im Staat und leitet daraus das Recht ab, diese Generation in eine Kollektivhaftung für den heutigen Lebensstil zu nehmen. Denen, die nach uns kommen, hinterlassen wir durch Staatsausgaben und Rettungsschirme Schulden in Billionenhöhe. Oder besteht die unausgesprochene Spekulation darin, dass eine allgemeine Geldentwertung diese Schulden zum Verschwinden bringen wird? Nachhaltigkeit sieht anders aus. Unser kollektiver Umgang mit Geld ist genauso wenig nachhaltig wie unser kollektiver Umgang mit Energie. Den nach uns Kommenden einen Schuldenberg zu hinterlassen, lässt sich genauso wenig verantworten wie eine Energieversorgung, die sich auch künftig auf Atomenergie oder fossile Energieträger stützt. In beiden Fällen müssen Christen weiterdenken. In beiden Richtungen kann der Dresdener Kirchentag ein klares Signal sein.
Prophetische Kritik hat immer wieder die Schuldknechtschaft aufs Korn genommen. Und unter den innovativen Rechtsinstituten der Hebräischen Bibel kommt dem allgemeinen Erlassjahr nach siebenmal sieben Sabbatjahren ein besonderer Rang zu. Im Zusammenhang des Schuldenerlasses für die ärmsten Länder der Erde hat das Modell des Erlassjahrs sogar praktische Anwendung gefunden. Doch insgesamt hat das biblische Motiv, Schuldabhängigkeit in bestimmten Perioden zu durchbrechen, nicht Schule gemacht. Denn das könnte nur gelingen, wenn eine gerechte Verteilung des verfügbaren Geldes sich mit einer Ethik des „Genug" verbinden würde. Von einer solchen Ethik des „Genug" sind wir jedoch weit entfernt. Können wir als Kirche einen Beitrag dazu leisten, dem etwas näher zu kommen?
IV. Das Geld der Kirche
Die Kirche kann ihr Herz nicht an das Geld hängen, das wäre gottlos. Sie kann auch nicht auf Kosten der nächsten Generation Kirche bauen; denn es gibt in der Kirche keine Zwangsmitgliedschaft. Kirche muss gebaut und gestaltet werden mit den finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit. Sie muss mit diesen Möglichkeiten so weitsichtig umgehen, dass auch eine nächste Generation, vermutlich mit weniger finanziellen Mitteln, Kirche bauen, das Evangelium verkündigen, Menschen für Gott gewinnen, aber auch für Besoldung und Versorgung aufkommen kann.
Das alles ist wichtig. Dennoch ist das Ausmaß, in dem unsere Kirche bisweilen auf das fehlende Geld fixiert ist, ein Ärgernis. Ärgerlich ist auch die Art und Weise, in der unserer Kirche – wie im Staat – von „Sparen" die Rede ist. „Sparen" bedeutet doch: Geld, das man hat, für spätere Aufgaben aufzuheben. Gegenwärtig wird gekürzt, nicht gespart. Darum geht es, wenn man versucht, Geld, das man nicht hat, auch nicht auszugeben.
Die Alternative zu der Geldfixiertheit, die es auch in der Kirche gibt, besteht nun freilich nicht in einer Gleichgültigkeit in Finanzfragen, sondern in verantwortlichem Haushalten. Geld muss benutzt werden, es darf uns nicht beherrschen. Das Rechnen in der Kirche muss im Dienst eines Glaubens stehen, der selbst nicht rechnet. Die Freiheit des Glaubens muss auch, ja gerade im Umgang mit dem Geld erkennbar sein. Ich halte es für falsch, wenn kirchliche Veränderungsprozesse vom Geld her gedacht werden; die Kirche darf sich nicht dem Finanzialismus unterwerfen. Aber auch in der Kirche darf man die Finanzierbarkeit der eigenen Vorhaben nicht außer Acht lassen. Die Kirche lebt in der Welt.
Was soll mit dem Geld der Kirche geschehen? Zwei Antworten tragen in der Geschichte der Christenheit immer wieder in den Vordergrund. Das Kirchengut gehört den Armen – so heißt die erste Antwort. Die zweite Antwort aber heißt, dass der Arbeiter – auch in der Kirche -seines Lohnes wert ist. Der Umgang der Kirche mit dem Geld ergibt sich klar aus dem Auftrag der Kirche. Die Kirche rechnet, um den Glauben zu mehren, der selbst nicht rechnet. Die Kirche rechnet, um Liebe zu üben; auch die rechnet nicht.
Vortrag von Wolfgang Huber auf dem 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden.
Quelle: Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), 03.06.2011 (tB).