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Gesundheitscoaching durch die Industrie – Nutzen für den Patienten?
Die Rolle der Pharmaindustrie in der Patientenversorgung muss definiert werden
Berlin (6. Oktober 2011) – Patienten haben das Recht, umfassende Informationen über ihre Erkrankung und deren bestmögliche Behandlung zu erhalten. Ziel dabei muss es sein, die Patienten in ein ganzheitliches Versorgungsmanagement einzubeziehen und sie nicht einer weitgehend unkoordinierten Informationsflut zu überlassen. Hierüber waren sich die Experten einer Presseveranstaltung der UCB Pharma GmbH, Monheim am Rhein, einig. Ausgehend davon wurde die Frage diskutiert, welche Rolle hierbei der pharmazeutischen Industrie zufällt.
Durch allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen und die Umbrüche im deutschen Gesundheitssystem hat sich auch das Verhalten der Patienten gravierend verändert. Der Trend zu mehr Dialog und Information erfasst nicht nur die Jüngeren, sondern auch die ältere Generation, die im Internet mittlerweile als „Silver Surfer“ gelten. Auch werden die Patienten zunehmend mit zusätzlichen Zahlungen konfrontiert und fragen deswegen kritisch nach der Notwendigkeit der dahinterstehenden therapeutischen Maßnahmen. Zudem haben sie einen Anspruch darauf, von ihrem behandelnden Arzt verständliche Informationen zu erhalten und von diesem in die therapeutischen Entscheidungen einbezogen zu werden.
„Patient Centricity“ ist mehr als Informationsvermittlung
Für das forschende Biopharma-Unternehmen UCB, Monheim, machte Steffen Fritzsche, Leiter der Unternehmenskommunikation, deutlich, dass die „Patient Centricity“, die sich das Unternehmen auf die Fahnen geschrieben hat, weit mehr bedeutet als das Zusammenstellen von Informationsmaterial: „Wir wollen ein ganzheitliches Versorgungsmanagement für die Patienten erreichen, das den Patientennutzen in den Mittelpunkt des Handelns stellt. Für uns als forschendes Biopharma-Unternehmen der pharmazeutischen Industrie heißt dies, dass wir uns vom Arzneimittelhersteller hin zu einem umfassenden Versorgungsdienstleister entwickeln wollen.“ Dabei bleibe die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Arzneimittel die Kernleistung. Hinzu komme eine Angebotspalette, die sich im Sinne eines Gesundheitscoachings ganz auf die Bedürfnisse der Patienten ausrichtet. Ziel sei es, durch Information und Networking eine optimierte Compliance durch eine bessere Krankheitswahrnehmung, ein optimiertes Krankheitsmanagement sowie eine Verbesserung der Krankheitssymptomatik zu erreichen. „Ein solches Patient Relationship Management kann jedoch nicht losgelöst von den übrigen Playern des Gesundheitswesens funktionieren“, betonte Fritzsche.
Als Beispiel skizzierte er das Angebot, das UCB in der Indikation Epilepsie vorhält. Basis sind verschiedene Tools der Informationsvermittlung, wie Broschüren und Websites. Zusätzlich wird den Patienten ein Service-Programm angeboten, das auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten ist. Hier kann er Checklisten erhalten und Erfahrungsberichte anderer Patienten einsehen. Ein Epilepsie-Tagebuch steht ebenso zur Verfügung wie ein Leitfaden für ein effektives Arztgespräch. Auch der richtige Umgang mit Arzneimitteln ist ein wichtiger Baustein in einer Indikation, in der die Compliance einen besonders hohen Stellenwert hat. Die Zahl der Teilnehmer am Patienten-Programm – 1.325 innerhalb eines Jahres – unterstreicht den hohen Bedarf. Darüber hinaus konnte bei den Teilnehmern nach sechs Monaten eine Verbesserung der Compliance um 38 % ermittelt werden, 46 % berichteten sogar von einer Reduktion der Anfälle.
Schließlich setzt UCB auf „Patienten-Botschafter“, die auf ehrenamtlicher Basis anderen Betroffenen aus ihrem Leben berichten und ihnen so Mut bei der Bewältigung ihrer Erkrankung machen, und sogenannte „Scouts“, die sich bereit erklärt haben, bestimmte Artikel für Patienten, Aktionen und Themen, zum Beispiel für Patientenzeitschriften, zu bewerten. „Wir sind hier auf einem guten Weg, sehen aber vor allem ein sektorenübergreifendes Denken bei der Fokussierung auf den Patientennutzen als große, noch zu bewältigende Aufgabe an“, resümierte Fritzsche.
Glaubwürdigkeit und Qualität der Information als Grundbedingungen
Dass gutes Hintergrundwissen bei Patienten zu besseren Therapieergebnissen beiträgt, bestätigte auch Wolfram-Arnim Candidus, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten. Er betonte den starken Wunsch der Patienten nach umfassenden Informationen. Gleichzeitig zeige eine Studie des Prognos-Instituts, dass knapp drei Viertel des im Internet vorhandenen Informationsangebots zu verschreibungspflichtigen Wirkstoffen und Produkten Qualitätsdefizite aufweisen.
Informationen an Patienten über verschreibungspflichtige Medikamente durch den Arzneimittelhersteller sind aber aufgrund des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig. Laut Candidus ein unhaltbarer Zustand: „Dies ist für die Versorgung schädlich und auch für die Patienten.“ Letztendlich seien die Patienten immer noch von den Informationen seitens der behandelnden Mediziner abhängig, die aber aufgrund des eigenen Zeitmangels oft nicht in die von den Patienten gewünschte Tiefe gehen. Hier sieht Candidus die Arzneimittelhersteller in der Pflicht, vollständige und nutzerfreundliche Informationen zur Verfügung zu stellen: „Ausgeschlossen werden muss jedoch dabei, dass diese Information als verdeckte Werbung genutzt wird.“ Candidus schlägt daher die Gründung eines unabhängigen Prüfinstituts vor.
Auch der GKV-Experte Rolf Stuppardt sieht einen notwendigen Beitrag der Pharmaindustrie bei der Information von Patienten. Dieser müsse die maßgeblichen Partner im Gesundheitswesen einbeziehen und sich an Qualitätskriterien orientieren, die aber für alle Beteiligten im Gesundheitswesen gleichermaßen gälten: „Verständlich und patientenfreundlich, objektiv, nicht verzerrend und werbefrei, evidenzbasiert, aktuell, verlässlich, tatsächlich korrekt und nicht irreführend.“ Und er bringt es auf einen entscheidenden Begriff, indem er Glaubwürdigkeit für alle Maßnahmen der Patientenaufklärung einfordert.
Wenn diese Grundvoraussetzungen gewährleistet sind, spricht auch aus Sicht der niedergelassenen Internistin Dr. Martina Henrich, Berlin, Vieles für gut informierte Patienten: „Zusätzliche kompetente und seriöse Informations- und Leistungsangebote können den Arzt entlasten und das ärztliche Wirken sinnvoll ergänzen, wenn sie in Übereinstimmung mit der ärztlichen Behandlung erfolgen.“ Aus ihrer Sicht liegt es nahe, dabei auch die Pharmaindustrie mit einzubeziehen, zumal dort aufgrund der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ein großer Informationspool zu dem jeweils behandelten Krankheitsbild vorliege. Wichtig ist ihr vor allem, dass keinerlei Einmischungen in die Behandlungshoheit des Arztes erfolgen und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht berührt wird.
Das Mitbestimmungsrecht der Patienten muss gestärkt werden
Wird die Rolle der Patienten neu definiert und gestärkt, bezieht dies automatisch auch die Patienten-Selbsthilfegruppen und Patientenverbände mit ein. Daher liegt es auch in deren Interesse, ihre Beziehung zu den anderen Akteuren des Gesundheitswesens klar zu definieren. Mit Blick auf die pharmazeutische Industrie erfolgt dies vor dem Hintergrund, „dass es in vielen Bereichen gemeinsame Interessen der Patienten und der forschenden Arzneimittelhersteller gibt“, betont Lilo Habersack, Vorsitzende des RLS e. V. – Deutsche Restless-Legs-Vereinigung. Für sie sind daher feste Grundlagen und hohe Transparenz bei der Zusammenarbeit unabdingbar: „Für die Zusammenarbeit von Patienten-Selbsthilfegruppen gibt es klare Regeln, die sich an den Leitlinien des FSA-Kodex (Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.) orientieren.“ Aus der Sicht von Frau Habersack ist die 2004 eingeführte Beteiligung der Patienten ein Teilerfolg, geht aber noch nicht weit genug. Die politischen Einflussmöglichkeiten der Patienten sieht sie als gering an und fordert daher ein „volles Mitbestimmungsrecht bei Beschlussfassungen in den Gremien des Gesundheitswesens.“
Aufbruch zu neuer Verantwortung auf allen Seiten
In der intensiven Diskussion wurde deutlich, dass sich die Akteure im deutschen Gesundheitswesen in einem Lern- und Umbruchsprozess befinden, der jeweils unterschiedlich weit gediehen ist. Als wenig hilfreich wurden dabei in der öffentlichen Diskussion oft verwendete Stereotype angesehen. Gerade für die pharmazeutische Industrie besteht nach Meinung der Diskutanten die Chance darin, ihre Position neu zu definieren und ihr Know-How auch verstärkt in die Patientenarbeit einzubringen. Als Voraussetzung hierfür sind Neutralität und Transparenz ebenso wichtig, wie ein Schulterschluss aller Beteiligten am Gesundheitssystem. Rolf Stuppardt skizzierte als Zukunftsvision eine vertraglich geregelte gemeinsame Patientenberatung durch Ärzteschaft, pharmazeutische und medizintechnische Industrie sowie Krankenkassen als mögliche „Win-Win-Win“-Situation auf der Seite der Informationsabsender. Und auch die Patienten als Informationsempfänger könnten von dieser Wissensallianz im höchsten Maße profitieren.
Über UCB
UCB, Brüssel, Belgien (www.ucb.com) ist ein weltweit tätiges biopharmazeutisches Unternehmen, das sich der Erforschung und Entwicklung von innovativer Medizin und Behandlungsmöglichkeiten in den Bereichen Zentrales Nervensystem, Immun- und Entzündungserkrankungen widmet, um Menschen mit schweren Krankheiten eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen. UCB erreichte 2010 ein Umsatzvolumen von 3,2 Mrd. € und beschäftigt mehr als 8.500 Mitarbeiter in über 40 Ländern.
Quelle: Pressekonferenz der Firma UCB Pharma am 06.10.2011 in Berlin (medical relations) (tB).