Offener Brief an Bundesgesundheitsminister Bahr

Eine große Enttäuschung für die Pflege!

 

Ihre Rede im Rahmen des Kongresses Vernetzte Gesundheit

am 19.Januar 2012 in Kiel

 

Sehr geehrter Herr Minister Bahr,

 

da wir gemeinsam an genanntem Kongress als Referenten mitgewirkt und ich mit Spannung bei Ihrer Rede zum Thema Vernetzte Gesundheit zugehört habe, ist es mir nun im Nachgang zu dieser Veranstaltung ein großes Anliegen, Ihnen nicht nur als Verbandsvertreter, sondern im Wesentlichen aus meiner ganz persönlichen Enttäuschung als Kongressteilnehmer und Berufsangehöriger der Pflege, zu schreiben.

 

Zum Thema Vernetzte Versorgung haben Sie in Ihrer gut 40-minütigen Rede, die durchaus grundsätzliche Anerkennung verdient, ausführlich die Maßnahmen der Bundesregierung zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung, insbesondere in ländlichen Strukturen dargestellt und alle geplanten Veränderungen zur Verbesserung der Facharztversorgung erläutert. Viele der vorgetragenen Positionen kann ich sehr gut nachvollziehen und teilen. Wir teilen Ihre Ansicht im Hinblick darauf, dass der mangelnden ärztlichen Versorgung, gerade in den strukturschwächeren Regionen entgegen gewirkt werden muss. In dieser Veranstaltung ging es aber im Wesentlichen um das Thema Vernetzte Gesundheit. Zu einem Netzwerk in unserem Gesundheitssystem gehören sehr viele Berufsgruppen. In Ihrer Rede jedoch haben Sie fast ausschließlich über die Berufsgruppe der Ärzte gesprochen. Einzig noch die Berufsgruppe der beruflich Pflegenden haben Sie hier und da erwähnt. Zwar habe ich nicht genau mitgezählt, aber aus meiner Erinnerung heraus haben Sie etwa fünfmal das Wort Pflege oder Pflegeberufe verwendet. Völlig enttäuscht war ich darüber, dass Sie in keinem Satz Ihrer Ausführungen irgendeine Position zur Verbesserung der Situation der Pflege in unserem Land gesagt haben. An einer Stelle Ihrer Rede haben Sie etwas zur Pflege gesagt, was ich aus dem Gedächtnis her, sicher etwas ungenau, von der Sache aber richtig zitieren möchte: „Es muss etwas für die Pflege getan werden. Wir hören immer wieder, dass die medizinische Versorgung in den Altenheimen schlecht ist und werden es daher ermöglichen, dass hier Ärzte ansässig werden, die auch entsprechend als Kassenärzte tätig werden können.“ …

 

An einer weiteren, späteren Stelle Ihrer Rede haben Sie dargestellt, dass die Pflegeberufe zusätzliche Möglichkeiten erhalten sollen, im Rahmen der Delegation Leistungen zu erbringen, die bisher durch Ärzte erbracht werden. Eine entsprechende Liste delegationsfähiger Leistungen des Bundesministeriums würde in Kürze kommen. Dieses war nur in dem Kontext der arztentlastenden Maßnahmen zu verstehen.

 

Ich habe Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört und im Zusammenhang des Kongresses, dessen Programm Ihnen ganz sicher bekannt ist, darauf gewartet, dass Sie als Bundesgesundheitsminister auch Aussagen zur Zukunftssituation der Pflege machen würden. Denn brennende Themen gibt es wohl mehr als genug:

 

  • Akuter und zukünftiger Fachkraftmangel. Reform der Ausbildungen.
  • Finanzierung der Pflege in den Krankenhäusern: Das Förderprogramm läuft aus und Stellen werden wieder abgebaut.
  • Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe.
  • Einrichtung von Pflegekammern.

 

Das sind beispielhaft aufgeführt einige der Aufgaben, die dringend bearbeitet werden müssen, um nicht unsere Bevölkerung in den nächsten Jahren in ein völliges Pflegechaos zu steuern. In Ihrer Rede jedoch waren nicht eine Aussage und kein einziger Ansatz dazu zu hören! Dabei ging es ja um das Thema Vernetzte Gesundheit aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums! Sie sprachen ausschließlich nur über die Situation der Berufsgruppe der Ärzte. Unbestritten ist, dass Ärzte ein unverzichtbarer Bestandteil und ein zentraler Dreh- und Angelpunkt unseres Gesundheitswesens sind. Aber wenn Sie nur eine Minute Ihrer Zeit der Vorstellung widmen würden, was denn wäre, wenn es die berufliche Pflege in Deutschland nur einmal für ein paar Stunden oder einen Tag nicht geben würde. Sie wür-den unzweifelhaft und ganz deutlich erkennen, welche wichtige Rolle unsere Berufsgruppe spielt. Nehmen wir das von Ihnen angeführte Beispiel der medizinischen Versorgung in den Altenheimen. Sicher ist es ein guter Weg, dass Ärzte sich hier niederlassen können, um vor Ort die Gesundheitsversorgung der alten Menschen zu verbessern. Das wird aber nichts nützen, wenn die Pflege in den Einrichtungen nicht mehr funktioniert. Jeder Ansatz der ärztlichen Versorgung würde völlig wirkungslos werden. Denn Tatsache ist, dass über 50% der Einrichtungen immer häufiger darauf hinweisen, nicht genügend Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Sie würden sehr schnell erkennen, dass diese Probleme schon jetzt sehr real sind. Die Zukunftsprognosen kennen Sie sicher zur Genüge.

 

Sehr geehrter Herr Minister Bahr, nicht nur mich haben Sie maßlos enttäuscht. In der anschließenden Pause habe ich von sehr vielen Fachkollegen, übrigens nicht nur aus der Berufsgruppe Pflege, sehr deutliche Enttäuschungen über Ihren Vor-trag gespürt. 2011 ist als das Jahr der Pflege von Ihrem Amtsvorgänger und jetzigem Wirtschaftsminister ausgerufen worden. Nun ist Zeit vergangen – ohne, dass irgendetwas Wesentliches geschehen ist. Zu Beginn des Jahres 2012 hätte ich an dieser Stelle, insbesondere vor solch einem kundigen Fachpublikum wirkliche Aussagen zu Gesundheitsnetzwerken aus Sicht verschiedener und wichtiger Akteure in unserem Gesundheitswesen hören wollen. Mit Ihrer Rede haben Sie allerdings viele Teilnehmer enttäuscht!

 

Ich schreibe Ihnen dieses, weil ich es für wichtig halte, dass Sie eine solche Rückmeldung erfahren. Ich hoffe auch sehr, dass Sie persönlich Gelegenheit haben, diesen Brief zu lesen. Ich persönlich glaube nicht, dass Sie hier Klientelpolitik für die Ärzte, welche sicherlich viele FDP-Wähler sind, betreiben. Dennoch glaube ich, dass gerade Sie als FDP-Minister diesem Eindruck deutlich stärker entgegenwirken müssten. Ich will nicht verhehlen, dass ich persönlich den Regierungs-wechsel auch für das Gesundheitswesen mit einigen Hoffnungen verknüpft habe. Daraus sind bislang allerdings nur Enttäuschungen für die Berufsgruppe Pflege geworden. Was völlig fehlt, sind Konzepte zu den uns allen unter den Nägeln brennenden Themen. Beispielsweise, wie werden wir die pflegerische und medizinische Gesundheitsversorgung insgesamt und im Hinblick auf die Fachkraftsituation im Jahr 2020/2025 und in den Folgejahren sicher stellen können? Auch hierzu gab es von Ihnen kein einziges Wort. Aber gerade das ist die zentrale Aufgabe, die das Bundesgesundheitsministerium gemeinsam mit den Länderministerien, den Kammern und Berufsverbänden anzugehen hat. Mit Konzepten wie Delegati-on ärztlicher Aufgaben oder auch der vieldiskutierten Entbürokratisierung allein werden wir diesen Anforderungen nicht gerecht werden können. Das sind Konzepte von gestern, die nicht helfen werden die Herausforderungen von morgen, auch nur ansatzweise, zu lindern.

 

Als Person Ludger Risse und in meiner Funktion als ein Vertreter der Pflegeberufe, appelliere ich daher dringlich an Sie, sich den beispielhaft aufgeführten Anliegen der Pflege zu widmen! Bei den Pflegeprofis werden Sie viele Ansätze zur Zukunftsbewältigung finden. Gerne stehe ich Ihnen auch jenseits aller offiziellen Protokolle gemeinsam mit ausgewählten Vertretern meiner Berufsgruppe für ein offenes Gespräch zur Verfügung.

 

So bleibt mir zum Schluss folgende Bitte: In der Podiumsdiskussion hat Ihr Ministerkollege Dr. Heiner Garg an vielen Stellen sehr gute Positionen zur Pflege vertreten und gezeigt, dass er sich als Landesgesundheitsminister auch für diese Berufsgruppe einsetzen kann. Bitte zeigen Sie als Bundesminister für Gesundheit, dass Sie ebenso Bundesminister für Pflege sind, auch wenn ich durchaus weiß, dass natürlich Pflege nicht allein in Ihrem Ressort vorkommt.

 

Gesundheit ohne Pflege ist in Deutschland allerdings überhaupt nicht vorstellbar.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Ludger Risse

Gesundheits- und Krankenpfleger

Dipl. Pflegewirt

Stellv. Vorsitzender

Bundesverband Pflegemanagement

 

 

Anmerkung:

Zudem bin ich der Pflegedirektor im St. Christophorus-Krankenhauses in Werne. Vorsitzender des Landespflegerates Nordrhein-Westfalen und der Landesgruppe NRW des Bundesverbandes Pflegemanagement.

 


 

Quelle: Bundesverband Pflegemanagement e.V., Berlin 26.01.2012 (tB).

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