Unstatistik des Monats

Microsofts Suchmaschine erhöht Überlebensrate bei Bauchspeicheldrüsenkrebs

Essen (30. Juni 2016) – Die Unstatistik des Monats Juni 2016 ist die Meldung, dass Microsoft-Wissenschaftler mittels der Suchmaschine „Bing“ Bauchspeicheldrüsenkrebs erkennen können und dies Leben rettet. Diese Früherkennung kann „die 5-Jahres-Überlebensrate der Patienten von 3% auf 5 bis 7% erhöhen“, schreibt die New York Times. Ein Anstieg von 5-Jahres-Überlebensraten sagt jedoch nichts darüber aus, ob Früherkennung Leben rettet. Der Krebs wird zwar früher erkannt, Studien zeigen aber, dass höhere Überlebensraten nach einem Screening nicht mit niedrigerer Sterblichkeit einhergehen. Die Patienten leben also nicht länger, sondern nur länger mit der Diagnose.

Die Unstatistik des Monats Juni 2016 ist die Meldung, dass Microsoft-Wissenschaftler mittels der Suchmaschine „Bing“ Bauchspeicheldrüsenkrebs erkennen können und dies Leben rettet. Diese Früherkennung kann „die 5-Jahres-Überlebensrate der Patienten von 3% auf 5 bis 7% erhöhen“, schreibt die New York Times. Die Microsoft-Wissenschaftler (Journal of Oncology Practice) hatten die Suchanfragen von 6,4 Millionen Nutzern nach Symptomen wie unerklärlichem Gewichtsverlust und nach Risikofaktoren wie Alkoholabhängigkeit durchsucht. Aus dem Muster der Anfragen versuchte man dann jene Nutzer vorherzusagen, die später anscheinend Krebs bekamen, was man aus Anfragen wie „Warum bekam ich Bauchspeicheldrüsenkrebs?“ erschloss. Die Süddeutsche Zeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe am 9. Juni unter dem Titel „Krebsdiagnose aus der Suchmaschine“: „In 5 bis 15 Prozent der Fälle gelang ihnen die Früherkennung. Beeindruckender ist die sehr niedrige Zahl von Fehlalarmen. Von 10.000 Nutzern wurde weniger als einer fälschlicherweise als krebskrank eingestuft.“

Die Menschen wurden – wie inzwischen üblich – nicht gefragt, ob ihre persönlichen Daten analysiert werden dürfen. Aber was soll’s, wenn sich die Überlebensrate verdoppelt? Schließlich ist gezeigt worden, dass Bing Leben rettet. Wirklich?

Nein. Denn ein Anstieg von 5-Jahres-Überlebensraten sagt nichts darüber aus, ob Früherkennung Leben rettet. Das ist nicht schwer zu verstehen. Denken Sie an 100 Menschen, die alle im Alter von 70 Jahren an invasivem Krebs sterben. Wenn diese nicht zum Screening gehen, dann wird der Krebs spät entdeckt und die 5-Jahres-Überlebensrate ist klein. Gehen sie zum Screening, wird der Krebs früher entdeckt und die 5-Jahres-Überlebensrate steigt an. In diesem Beispiel lebt also niemand länger, sondern nur länger mit der Diagnose. Studien zeigen entsprechend, dass höhere Überlebensraten nach einem Screening nicht mit niedrigerer Sterblichkeit einhergehen. Der Trick mit den Überlebensraten ist nicht neu. In der Unstatistik vom Oktober 2014 haben wir gezeigt, wie man Frauen damit über den Nutzen des Brustkrebs-Screenings hinters Licht führt. Jetzt versucht man uns damit vom Nutzen von Big Data zu überzeugen.

Aber was ist mit der von den Medien hervorgehobenen kleinen Falsch-Positiv-Rate von 1 in 10.000? Heißt das, dass unter den Nutzern, welche der Algorithmus als positiv einschätzt, Fehler so gut wie nie vorkommen? Nein. Auch das kann man einfach erklären. Nehmen wir 100.000 Nutzer von denen 10 unerkannt Bauchspeicheldrüsenkrebs haben. Bei einer Erkennungsrate von 10% (das Mittel aus 5 und 15%) erwarten wir, dass von diesen 10 nur einer als positiv klassifiziert wird, die anderen 9 Krebse werden übersehen. Von den 99.990 Nutzern, die keinen Krebs haben, erwarten wir, dass 10 dennoch positiv eingeschätzt werden (die Falsch-Positiv-Rate von 1 in 10.000). Das heißt, von den insgesamt 11 Personen mit positivem Ergebnis hat einer Bauchspeicheldrüsenkrebs und 10 haben keinen. Die meisten, die positiv getestet werden, werden also fälschlicherweise als krebskrank eingestuft. Also, selbst wenn die Falsch-Positiv-Rate klein ist, kann bei seltenen Erkrankungen wie dem Bauchspeicheldrüsenkrebs der Anteil der Falsch-Positiven an allen Positiven dennoch hoch sein.

Erinnern Sie sich noch an Google Flu Trends? Dieses Programm sollte, ganz ähnlich wie Bing, aufgrund von Suchanfragen die Verbreitung von Influenza vorhersagen. Es wurde 2009 mit Fanfare als Paradebeispiel für den Erfolg von Big Data verkündet. Inzwischen hat man es ohne Fanfare beerdigt, nachdem es über Jahre hinweg zu hohe Vorhersagen lieferte. Ob Dr. Google oder Dr. Bing: Big Data ist in erster Linie Big Business und nicht notwendigerweise bessere medizinische Versorgung.
———-

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de.


Weitere Informationen


Quelle: Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. , 30.06.2016 (tB).

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…