Wie sich der Mensch an eine Berührung erinnert

 

Berlin (10. Mai 2011) – Neurowissenschaftlern der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist es erstmals gelungen, die bewusste Kontrolle von Berührungsempfindungen im menschlichen Arbeitsgedächtnis zu dokumentieren. Dabei konnte gezeigt werden, dass der Mensch mehrere Berührungsempfindungen gleichzeitig erinnern und abrufen kann, wenn er seine Konzentration auf diese Berührungen ausgerichtet hatte. „Eine neue Berührung löscht die Erinnerung an eine vorangegangene Berührung im Arbeitsgedächtnis nicht aus, sondern neue und alte Berührungserinnerungen bleiben unabhängig voneinander erhalten, wenn der Mensch die Berührungen aufmerksam registriert hatte“, so die Studienleiter, deren Arbeit nun in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift PNAS* publiziert wurde.

 

Die Wissenschaftler der Abteilung für Neurologie und dem Bernstein Center for Computational Neuroscience an der Charité gingen der Frage nach, in welcher Form Berührungsempfindungen im menschlichen Arbeitsgedächtnis abrufbar sind. Das Arbeitsgedächtnis ist Teil des menschlichen Erinnerungsvermögens. Es ist beispielsweise zuständig für die vorübergehende Speicherung von Informationen, welche wichtig sind, um die uns gegenwärtig umgebende Umwelt zu verstehen. Im vorliegenden Versuch wurde den Probandinnen und Probanden über taktile (d.h. den Tastsinn ansprechende) Stimulationsgeräte, wie sie für das Lesen von Blindenschrift verwendet werden, Vibrationen mit zwei unterschiedlichen Frequenzen auf den Zeigefinger übertragen. Erst danach wurde ihnen mitgeteilt, welche der beiden Frequenzen sie mit einer folgenden Testfrequenz vergleichen sollten.

 

Zum einen zeigte sich in frühen Gehirnregionen des „Fühlzentrums“, also dort, wo die Informationen der Tastsinnesorgane zuerst hingeleitet und verarbeitet werden, eine systematische Veränderung der Hirnaktivität, wenn die Probanden sich an eine Berührung erinnerten. Diese veränderte Aktivität, die in den sogenannten Alpha-Wellen der Gehirnschwingungen zu sehen war, war in diesen frühen Hirnregionen jedoch noch unspezifisch in Bezug zur gestellten Aufgabe.

 

Die Erinnerung an unterschiedliche Berührungen, also die Differenzierung zwischen den beiden Frequenzen mit denen die Probanden stimuliert wurden, findet dann in den höheren Gehirnregionen, im sogenannten Frontallappen, statt. Hier konnten die Forscher Hirnschwingungen (Oszillationen) einer bestimmten Wellenlänge, die sogenannten Beta-Schwingungen, identifizieren, die systematisch durch die Erinnerung an die beiden unterschiedlichen Frequenzen der Vibration moduliert wurden. Von besonderem Interesse war dabei die Tatsache, dass die frontale Beta-Aktivität nicht auf die zuletzt präsentierte Frequenz beschränkt bleiben muss. Die Probandinnen und Probanden konnten auch eine vorhergehende Frequenz abbilden, wenn sie aufgefordert wurden, sich daran zu erinnern. Diese Ergebnisse weisen auf die Existenz einer quantitativen taktilen Gedächtnisrepräsentation im menschlichen Frontallappen hin. Diese Gedächtnisrepräsentation kann bewusst angesteuert werden; sie unterliegt so der aktiven Kontrolle des Einzelnen über seinen gegenwärtigen Gedächtnisinhalt.

 

 

Literatur

 

  • * Spitzer B, Blankenburg F: Stimulus-dependent EEG activity reflects internal updating of tactile working memory in humans. Proc Natl Acad Sci U S A. 2011 May 2. [Epub ahead of print]

 

 


Quelle: Charité-Universitätsmedizin Berlin, 10.05.11 (tB).

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