IQWiG

Kein Anhaltspunkt für einen Nutzen von EMDR bei Angststörungen

 

  • Schwache Studien zu Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) bieten keinen Anhaltspunkt für die Ableitung eines Nutzens

 

Köln (21. Februar 2020) — Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) wird in Deutschland seit den 1990er Jahren bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt und nur für diese Indikation auch seit 2015 von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Bei Angststörungen gilt vor allem die kognitive Verhaltenstherapie als wirksame Methode zur Bewältigung von Ängsten. Angewendet wird bei dieser Erkrankung aber auch EMDR. Anders als bei posttraumatischen Belastungsstörungen ist EMDR bei Angststörungen aber nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar, sondern muss von der Patientin / dem Patienten selbst bezahlt werden.

Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat nun eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Universität Witten/Herdecke und der Fernuniversität Hagen im Rahmen des ThemenCheck Medizin untersucht, ob eine EMDR-Behandlung bei Angststörungen hilft.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden zwar Studien zur EMDR-Therapie bei Angststörungen. Diese lassen aber keine Aussagen zum Nutzen und Schaden von EMDR bei Angststörungen zu. Geeignete Studien zur gesundheitsökonomischen Bewertung fehlen ebenfalls. Notwendig sind nach Ansicht der Arbeitsgruppe angemessen konzipierte und gut durchgeführte Studien mit hinreichender Darstellungsqualität der Ergebnisse und mit ausreichend langer Nachbeobachtungsdauer, um die Fragen in Zukunft besser beantworten zu können.

 

Angststörungen eine der häufigsten psychischen Störungen

Angststörungen sind in Deutschland mit rund 15 Prozent in der Bevölkerung häufiger als alle anderen psychischen Störungen. Frauen sind dabei mit rund 21 % deutlich häufiger betroffen als Männer mit etwa 9 %.

Von Angststörungen wird dann gesprochen, wenn Patientinnen und Patienten wiederholt starke Angstzustände erleben, ohne dass sie sich in einer objektiv bedrohlichen Situation befinden. Dabei kann es je nach Ausprägung der Symptome zu starken Einschränkungen im Leben der Betroffenen kommen: Angstbesetzte Situationen werden oft vermieden, sodass der soziale Kontakt beeinträchtigt sein kann. Auch das Ausüben eines Berufs oder sogar Alltagsaktivitäten sind bei schwerwiegenden Ausprägungen unmöglich.

Nach Darstellung der Befürworter der EMDR-Methode sollen bei dieser Therapie (angstbesetzte) Ereignisse oder Situationen aus der Vergangenheit vergegenwärtigt und mit Hilfe der wechselseitigen Aktivierung beider Gehirnhälften aufgearbeitet werden – z. B. durch das Folgen eines sich hin und her bewegenden Fingers mit den Augen oder alternativ durch wechselseitige Töne oder auch das wechselseitige Berühren der Patientenhände. Nach mehreren Wiederholungen der EMDR-Behandlung soll die negative Reaktion auf die Erinnerung immer schwächer und so die Angststörung gemildert werden.

 

Studien ohne Aussagekraft zum Nutzen

Die Indikationen, die in den berücksichtigten Studien des HTA-Berichts untersucht wurden, waren: Prüfungsangst, Angst vor öffentlichem Reden / Auftritten, Panikstörungen, Angst vor Spinnen oder zahnärztlichen Behandlungen und Flugangst. Die Studien verglichen eine EMDR-Therapie mit den Alternativen „keine Behandlung“, Verhaltenstherapie, EMDR ohne Augenbewegung, EMDR mit einem anderen Stimulus, Hypnose / Biofeedback und (imaginäre) Expositionstherapie.

Allerdings konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den insgesamt 22 in diesen HTA-Bericht (HTA = Health-Technology-Assessment) eingeschlossenen Studien keine Aussagen zum Nutzen von EMDR ableiten. Dies hatte folgende Gründe: Ein hohes Verzerrungspotenzial und eine mangelhafte Berichtsqualität erschwerten die Interpretation der Daten. Zudem war die Studiendauer vielfach zu kurz, um zu Langzeiteffekten Aussagen treffen zu können. Somit bleibe unklar, ob ein möglicher Therapieerfolg auch anhält, heißt es in dem HTA-Bericht. Dies gelte für alle patientenrelevanten Endpunkte, die in den Studien berichtet wurden: Angst, Depression, angstspezifische Effekte wie Vermeidungsverhalten oder körperliche Symptome, gesundheitsbezogene Lebensqualität und psychosoziale Aspekte.

Im Ergebnis gibt es keine Evidenz dafür, dass EMDR gleich gut oder womöglich besser wirkt als die kognitive Verhaltenstherapie, die zur Behandlung von Angststörungen längst etabliert und anerkannt ist.

 

Zum Hintergrund dieses HTA-Berichts

Seit 2016 können alle Interessierten online ihre Fragen an die Wissenschaft stellen (www.themencheck-medizin.iqwig.de). Nach der Auswahl von bis zu fünf Themen pro Jahr geben vom IQWiG beauftragte Wissenschaftlerteams die Antworten darauf in Form eines Health-Technology-Assessments (kurz: HTA): Darin wird nicht nur der medizinische Nutzen eines medizinischen Verfahrens bewertet, sondern auch seine wirtschaftlichen, ethischen, sozialen, rechtlichen und organisatorischen Auswirkungen.

Für die ThemenCheck-Auswahlrunde des Jahres 2020 können noch bis zum 31. Juli 2020 unter www.themencheck-medizin.iqwig.de neue Themenvorschläge eingereicht werden. Das Thema für den vorliegenden HTA-Bericht geht auf den Vorschlag eines Bürgers beim ThemenCheck Medizin des IQWiG im Jahr 2018 zurück.

 

Weiterführende Informationen

 


Quelle: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 21.02.2020 (tB).

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