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Medizintechnologie
Nutzenbewertung gewinnt an Bedeutung
Berlin/Köln (8. März 2012) – Die Unternehmen der Medizintechnologie müssen sich bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden stärker dem Thema "Nutzenbewertung" stellen. Die Industrie sollte dabei frühzeitig eine Reimbursement-Strategie für Innovationen entwickeln und strategisch angehen. Das Thema Nutzenbewertung werde dabei zunächst auf die Medizinprodukte mit höherem Risiko der Klassen IIb und III beschränkt sein. Diese machen knapp 10 Prozent aller Medizinprodukte aus. Das war das Fazit der MedInform-Konferenz "Innovationszugang für Medizintechnologien in der GKV" am 7. März 2012 in Köln mit rund 50 Teilnehmern. MedInform ist der Informations- und Seminarservice des BVMed.
Zur Evidenzstufe der Nutzenbewertung betonte Dr. Matthias Perleth vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dass der G-BA auch ohne randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) positive Beschlüsse gefasst hat. Beim Nutzen geht es dem G-BA um "eine mehr als geringfügige patientenrelevante positive Wirkung einer medizinischen Maßnahme unter Abwägung des Risikos". Die Kosten der Methode würden bislang bei den G-BA-Entscheidungen keine Rolle spielen. Dr. Stefan Sauerland meinte, der Preis spiele aber bei der Priorisierung der Themen eine Rolle. "Die Vielfalt der Medizinprodukte erfordert letztendlich auch eine Differenzierung im Hinblick auf die anzuwendenden Methoden der Bewertung", betonte Rechtsanwalt Dr. Christian Rybak. Für BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt stellt eine Innovationen einen medizinischen und ökonomischen Fortschritt dar, beispielsweise wenn der Nutzenzuwachs höher ist als der Kostenzuwachs. Sein Fazit: "Innovative Medizintechnologien werden dann erfolgreich sein, wenn im Vergleich zu existierenden Methoden ein höherer medizinischer Nutzen vorliegt und dieser zu gleichen oder zu geringeren Kosten erreicht wird oder der Nutzenzuwachs größer ist als der Kostenzuwachs."
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Einführung von Innovationen in die Gesetzliche Krankenversicherung stellte Rechtsanwalt Dr. Christian Rybak von der Rechtsanwaltssocietät Ehlers, Ehlers & Partner dar. Die MedTech-Branche habe eine hohe Innovationskraft, die rechtlich geregelt werden müsse. Allerdings gebe es in den Sozialgesetzen keine Definition von "Innovation". Die Regelungen zur Innovationseinführung im SGB V seien sehr komplex und schwer zu überblicken. Grundsätzlich müsse man zwischen den Marktzugangsregelungen und den Regelungen für die Erstattung des Medizinprodukts differenzieren . Das Zulassungsverfahren mit der CE-Kennzeichnung gibt Auskunft über Funktionstauglichkeit, Wirkprinzip und grundsätzliche Sicherheit, "erlaubt in der Regel aber keine Beurteilung des medizinischen Nutzens", so Rybak. Im Erstattungsrecht sei das oberste Prinzip das Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Bei der Erstattung muss zwischen dem ambulanten und stationären Bereich unterschieden werden. Eine neue Unterschuchungs- Behandlungsmethode ist im ambulanten Bereich erst einmal von der Erstattung ausgeschlossen ("Verbot mit Erlaubnisvorbehalt"). Etwas andere Regelungen gibt es für den Hilfsmittelbereich. Erster Ansprechpartner ist hier nicht der G-BA, sondern der GKV-Spitzenverband, der die Hilfsmittel in einem Verzeichnis listet. Bewertet werden der therapeutische Nutzen, die Funktionstauglichkeit und die Qualität. Weitere Möglichkeiten der Innovationseinführung im ambulanten Bereich gibt es beispielsweise durch Modellvorhaben, Intergrierte Versorgungsverträge oder Disease Management Programme (DMP).
Im stationären Bereich dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durchgeführt werden so lange sie nicht untersagt sind ("Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt"). Die Prüfung der eingesetzten Methode erfolgt grundsätzlich präventiv durch das Krankenhaus selbst. Eine Überprüfung wird erst bei Beanstandungen und Antragstellung durch den G-BA vorgenommen. Diese innovationsfreundliche Regelung bedeutet aber nicht, dass sich das neue Verfahren für die Krankenhäuser auch lohnt. In der Praxis müssen deshalb die OPS-Schlüssel, die DRG-Modifikationen und die Möglichkeit der Zusatzentgelte beachtet werden. Außerdem können Behandlungsverfahren, bei denen die Abbildung im DRG-System ungenügend erscheint, beim DRG-Institut InEK als neue Untersuchungs-und Behandlungsmethode (NUB-Verfahren) angefragt werden. Eine Änderung gibt es durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz mit der so genannten Erprobungsregelung (§ 137e SGB V). Wenn eine Methode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist, kann der G-BA eine Richtlinie zur Erprobung beschließen, um die notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode zu gewinnen. Der Gesetzgeber verwende aber beispielsweise mit "Potenzial" unbestimmte Rechtsbegriffe. Hier müsse nun dieG-BA-Verfahrensordnung abgewartet werden.
Dr. Matthias Perleth vom Gemeinsamen Bundesausschuss beleuchtete die Rolle und Aufgabe des G-BA bei der Bewertung von Innovationen. Der G-BA konkretisiert den Leistungskatalog der GKV und berät generell nur auf Antrag. Eine Aufgabe des G-BA ist die Methodenbewertung im Bereich der diagnostischen und therapeutischen Methoden. Eine Nutzenbewertung sei nicht angezeigt, wenn das Produkt Teil einer Methode ist, deren Nutzen bereits nachgewiesen ist, beispielsweise ein neues Hämodialysegerät, wenn es sich um eine niedrige Risikoklasse oder um eine Produktmodifikation ohne relevante Änderung der Performance handele. Der G-BA berate nur einen kleinen Teil aller Medtech‐Innovationen ─ und ambulant anders als stationär. Er habe die Möglichkeit der Aussetzung und der Beschaffung weiterer Evidenz in Studien sowie die Möglichkeit des Ausschlusses, der aber immer problematisch sei. Die Anzahl der sozialrechtlich relevanten MedTech‐Innovationen hält Perleth für "überschaubar". Eine Beschlussanalyse des G-BA zeige zudem: auch ohne RCTs (randomisiert-kontrollierte Studien) seien positive Beschlüsse möglich. Die Erprobungsregelung nach §137e SGB V erweitere den Handlungsspielraum des G‐BA, aber auch der Hersteller. Die Umsetzung der neuen Regelung erfolge durch eine Anpassung der Verfahrensordnung des G‐BA. Man wolle Vorgaben für Herstelleranträge erarbeiten und die „angemessene finanzielle Beteiligung“ von Herstellern klären. "Nutzen" ist nach Perleth definiert "eine mehr als geringfügige patientenrelevante positive Wirkung einer medizinischen Maßnahme unter Abwägung des Risikos". Als "patientenrelevant" wird ein Effekt bezeichnet, wenn er sich auf den Krankheitsverlauf inklusive Mortalität, Symptomatik sowie die Lebensqualität bezieht und für Patienten wichtig ist. "Zusatznutzen" ist das Ergebnis eines positiven Nutzenvergleichs mit dem bisherigen etablierten Standard. Hürden und Probleme bei der Nutzenbewertung sieht Perleth in der unzureichenden Studienlage, in unterschiedlichen Zeithorizonten und in Informationsdefiziten bei kleinen und mittleren Unternehmen über die Anforderungen und die Methodik der Nutzenbewertung.
Das Thema Nutzenbewertung stellte Jürgen Malzahn, Abteilungsleiter Stationäre Versorgung beim AOK-Bundesverband, aus Sicht der Kostenträger vor. Sein klares Bekenntnis zu Beginn: "Innovationen in der Medizin sind notwendig und werden von den Kassen unterstützt." Allerdings sei nicht jede Innovation sinnvoll. Daher seien aussagefähige Daten über Nutzen, Wirtschaftlichkeit und medizinische Notwendigkeit unbedingt erfoderlich. Malzahn: "Die angemessene Messlatte für Innovationen ist der Abstand zum Spontanverlauf oder zur etablierten Standardtherapie bei angemessenem Verhältnis von Nutzen zu Schaden." Nach Ansicht Malzahns ist die weitere Evaluierung von Behandlungsmethoden nach der Markteinführung unzureichend. Man benötige mehr valide Informationen über Nutzen und Risiken. Wünschenswerte Eckpfeiler zur Nutzenbewertung sind aus AOK-Sicht die Anforderungen des IQWiG und die Verfahrensordnungs des G-BA, die Vorfahrt für vergleichende Studien, die Publikationspflicht der Untersuchungsergebnisse und eine Begründung, wenn keine randomisierte Studie durchführbar ist. Gut konzipierte prospektive Kohortenstudien könnten ebenfalls zur Evidenzgewinnung herangezogen werden. Eine dauerhafte Finanzierbarkeit von Innovationen sei möglich, wenn man eine begrenzte Einführung von Innovationen unter Studienbedingungen bei nicht ausreichend bekanntem Nutzen einführen würde. Das würde den Patientenschutz erhöhen, Erkenntnisse über den Nutzen gewinnen lassen und Deutschland als Wissenschaftsstandort fördern. Erfolgreiche Innovationen würden dann schneller eingeführt und besser exportiert werden. Dafür sei allerdings der Abschied vom Verbotsvorbehalt und die sanfte Einführung eines Leistungskatalogs für die stationäre Versorgung erforderlich.
Dr. Stefan Sauerland vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) schilderte die Methodenbewertung und Arbeitsweise bei nichtmedikamentösen Verfahren. Das IQWiG bewertet den aktuellen Stand zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren bei ausgewählten Krankheiten, bewertet aber auch evidenzbasierte Leitlinien und gibt allgemeinverständliche Patienteninformationen heraus. Neue medizintechnische Verfahren müssten sich nach Auskunft Sauerlands dem Thema Nutzenbewertung stärker stellen. Das gilt vor allem für Medizinprodukte der Klassen IIb und III. Eine neue Aufgabe kommt dem IQWiG mit der Erprobungsregelung zu. Wenn der G-BA einen Auftrag an das IQWiG erteilt, hat das Institut drei Monate Zeit, das "Potenzial" der zu bewertenden Methode zu beurteilen und Eckpunkte für eine geeignete Studie zur Nutzenbewertung zu erarbeiten. Bei den Evidenzstufen orientiert sich das IQWiG an der bestmöglichen Evidenz. Wann immer möglich, sollten randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) durchgeführt werden. Wichtig bei den Studien sei eine verdeckte Randomisierung und der Vergleich mit der besten verfügbaren und klinisch üblichen konventionellen Behandlungsmethode. Bei der Auswahl der Endpunkte sollte die Verblindung soweit möglich und sinnvoll vorgenommen werden, beispielsweise bei subjektiven Kriterien wie Lebensqualität. Wichtig sei zudem die Transparenz der Studiendurchführung und die vollständige Publikation aller Ergebnisse. Keine Rolle spiele, wer die Studie finanziert hat. Es komme einzig auf die Methode an. Sauerlands Schlussappell: "Besser wenig, aber dafür gute Forschung fördern".
Das "Innovations-Reimbursement der Zukunft" stellte aus Beratersicht Dr. Hubertus Rosery, Geschäftsführer von AiM Assessment-in-Medicine, Research and Consulting, vor. Er sieht in Europa vor allem in Deutschland, Frankreich und England zuverlässige Rahmenbedingungen für die Erstattung von Innovationen. Dezentraler und unzuverlässiger seien Spanien und Italien. Die Unternehmen müssten früh mit einem strategischen Herangehen an das Thema "Reimbursement für Innovationen" beginnen. Wichtig sei es, die vorhandenen Studienergebnisse auch in die Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften hineinzubekommen. Bei den NUB-Anträgen sei es wichtig, die Krankenhausseite gut auf die Verhandlung mit den Krankenkassen vorzubereiten. Negativ sei, dass es keine Begründungen gebe, warum keine Entgelte vereinbart wurden. Auch seien die MDS-Gutachten, die die Krankenkassen in die Verhandlungen einbringen, nicht einsehbar. Roserys Fazit: "Ein NUB‐Antrag ist ein gangbarer, aber steiniger Weg für den Markteinstieg von Innovationen über den stationären Sektor." Ein "Muss" sei ein OPS-Antrag. Ein NUB-Antrage schade nicht, da er mit wenig Aufwand verbunden sei und gute Kommunikationsmöglichkeiten mit den Ärzten und Kliniken biete. Als einen gangbaren Weg bewertet Rosery die OPS-Zuordnung in eine hochwertige DRG-Fallpauschale. Ein Zusatzentgelt sei ebenfalls eine Möglichkeit, aber erst nach zwei bis drei Jahren. Bei der Erprobungsregelung empfiehlt der Berater derzeit Zurückhaltung, so lange die Bedingungen und Chancen nicht klar sind.