Bad Boller Reanimationsgespräche 2016

Reanimation geht jeden etwas an!

Bad Boll (8. April 2016) – Das Überleben nach Herz-Kreislauf-Stillstand wird von vier Faktoren bestimmt: dem Zeitfenster ohne Herzdruckmassage, dem reibungslosen Funktionieren der Rettungskette, der bestmöglichen Behandlung nach Wiederbelebung und der stetigen Verbesserung der Reanimationsmaßnahmen. Daran beteiligt sind nicht nur Rettungsdienste, Feuerwehr und Ärzte. Dazu gehören auch Laien, Politiker, Juristen, Arbeitgeber, Kostenträger, Schulen oder Städte und Landkreise. Denn eine Verbesserung des gesamten Systems, weit über die Grenzen der „klassischen“ Rettungskette hinaus, erhöht die Überlebensrate nach plötzlichem Herztod deutlich.

An der Entwicklung und vor allem der Umsetzung solcher Maßnahmen für Deutschland arbeitete bereits zum dritten Mal ein interprofessionelles 60-köpfiges Expertenteam im Rahmen der Bad Boller Reanimationsgespräche vom 12. bis 13. Februar 2016. Ihr Ziel: Nicht nur fordern, sondern handeln und damit mehr Leben retten. Die in Bad Boll entstanden Konzepte und Ideen finden bundesweit ihren Niederschlag in zahlreichen Projekten und Initiativen. Dreh- und Angelpunkt der entwickelten Maßnahmen sind die „10 Thesen für 10.000 Leben“.
Um sofortige Hilfe zu gewährleisten, lernen Laien seit Jahrzehnten in Erste-Hilfe-Kursen, wie man nach dem Absetzen des Notrufs eine Herzdruckmassage durchführt. Die meisten von ihnen jedoch nur einmal in ihrem Leben, anlässlich der Führerscheinprüfung. Dabei kann ein Herz-Kreislauf-Stillstand scheinbar gesunde Menschen jeden Alters treffen. Zu jeder Zeit, an jedem Ort, oft ohne Vorwarnung. Gut, wenn dann Hilfe rasch verfügbar ist. Rund acht bis zwölf Minuten dauert es im Durchschnitt, bis nach Absetzen des Notrufs Rettungskräfte vor Ort sind. Das dauert für Patienten, deren Herz nicht mehr schlägt, aber zu lange: Schon nach drei bis fünf Minuten trägt das Gehirn schwere Schäden davon. „Mit einer einfachen Herzdruckmassage kann der Restsauerstoff im Blut zirkulieren und so bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes die Überlebenswahrscheinlichkeit entscheidend erhöhen“, erklärt Professor Dr. med. Thea Koch, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und Direktorin der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des Dresdner Uniklinikums. Leider traut sich nur eine Minderheit, einen Menschen zu reanimieren. Dabei wird in mehr als 50 Prozent der Fälle der Kollaps durch Laien beobachtet. In rund 70 Prozent sogar im häuslichen Umfeld. Das zeigen Daten des Deutschen Reanimationsregisters. „Erste Hilfe ist ein Auftrag, der uns alle angeht. Sie kann nicht nur von medizinischen Personal getragen werden. „Alle Bürgerinnen und Bürger, ob alt oder jung, müssen über Maßnahmen der Laienreanimation Bescheid wissen“, sagt die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach, MdB, Bundesministerium für Gesundheit, Berlin.

Laien ausbilden und aktivieren

Mit Beginn des Kampagnenstarts „Ein Leben retten. 100 Pro Reanimation“ in 2012 durch deutsche Anästhesisten, unter Schirmherrschaft des Bundesgesundheitsministeriums, stieg die Laienreanimationsquote von 20 auf 31 Prozent. „Es gibt also noch viel zu tun. Denn im Vergleich zu Deutschland liegt die Ersthelferquote in Norwegen bereits bei 73 Prozent“, sagt Privat-Dozent Dr. med. Jan-Thorsten Gräsner, Sprecher des Deutschen Reanimationsregis ters und Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin (IRuN) am Universitätsklini kum Schleswig-Holstein. Ein Themenschwerpunkt der 3. Bad Boller Reanimationsgespräche war deshalb unter anderem auch die Aktivierung und Ausbildung von Laien. Eine Idee der Bad Boller Experten: maximal einstündige niederschwellige Angebote am Arbeitsplatz, die als Teil der betrieblichen Gesundheitsförderung durchgeführt werden könnten. Schwerpunkt der Schulung sind ausschließlich Wiederbelebungsmaßnahmen. Angehörige von Risikogruppen beispielsweise könnten über die jeweiligen ambulanten und stationären Rehabilitationseinrichtungen erreicht werden. Auch hier würde eine kurze Schulung, die sich auf Wiederbelebungsmaßnahmen konzentriert, im ersten Schritt ausreichen. „Eine gut funktionierende Rettungskette braucht auch die Unterstützung durch medizinische Laien. Alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten müssen für die Laienreanimation sensibilisiert und darin unterrichtet werden“, sagt die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach, MdB, Bundesministerium für Gesundheit, Berlin.

Leitstelle + Laie = höhere Überlebenschancen

„Auch am Telefon müssen Laien bei der Reanimation unterstützt werden und zwar durch die im Notfall angerufene Leitstelle. Und das bundesweit“, sagt Privat-Dozent Dr. med. Andreas Bohn, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes Münster. Führt die Leitstelle den Ersthelfer telefonisch durch die Herzdruckmassage, steigen die Überlebenschancen des Betroffenen deutlich an. „Der einzige Fehler, den Laien dabei machen können, ist nichts zu machen.“ Bayern ist das erste Bundesland, das die Telefonreanimation bereits flächendeckend umgesetzt hat. Auch in anderen Bundesländern finden telefonisch angeleitete Reanimationen durch Leitstellenpersonal immer mehr Anwendung.

Wiederbelebung ist kinderleicht – ab dem 12. Lebensjahr soll es jeder lernen

Ein zentraler Baustein für eine höhere Ersthelferquote ist die Integration des Reanimationstrainings in den Schulunterricht. In Norwegen geschieht dies seit 1961. „Damit Laienreanimation auch bei uns eine Selbstverständlichkeit wird, müssen Schülerinnen und Schüler ab der siebten Klasse bundesweit zwei Schulstunden pro Jahr in Wiederbelebung unterrichtet werden“, sagt Professor Dr. med. Bernd W. Böttiger, Vorsitzender des Deutschen Rates für Wiederbelebung und Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin an der Uniklinik Köln. Das empfehlen auf unsere Initiative hin auch die Kultusministerkonferenz und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), so der Experte weiter. „Und ich freue mich sehr, dass in verschiedenen Bundesländern mit großem Engagement daran gearbeitet wird“, sagt Böttiger. Der im September 2015 gestarteten baden-württembergischen Aktion "Löwen retten Leben“ gelang es, beispielsweise bereits 345 Lehrkräfte zu auszubilden und 218 Schulen zu qualifizieren. Unterstützung für alles interessierten Schulen bietet die Plattform www.SchülerrettenLeben.de. Sie finden dort neben vielen Hintergrundinformationen zum Thema auch konkrete Materialien für die Vorbereitung des Unterrichtes zum Thema Wiederbelebung und das Mustercurriculum "Reanimationsunterricht in Schulen".

10 Thesen für 10.000 Leben

Neben Maßnahmen zum weiteren Ausbau der Laienreanimation, beschäftigen sich die Experten während der Bald Boller Reanimationsgespräche auch mit zahlreichen Fachthemen: Welche Maßnahmen nach Wiederbelebung sind in der Klinik objektiv messbar und besonders wirksam (mit evidenzbasierten Postreanimationsstandards) und wie kann die sogenannte Telefon-Reanimation (T-CPR) flächendeckend eingeführt werden? Sie beschäftigten sich auch damit, wie die bestmögliche Zusammenarbeit aller am Versorgungsprozess beteiligten Partner und Disziplinen gelingen kann. Im Fokus standen ferner auch die Qualität der Reanimationsmaßnahmen, Gesetze und Normen sowie medizinische Regularien. „Reanimation geht jeden an. Wollen wir 10.000 Leben retten, müssen die Anstrengungen dafür als gesamtgesellschaftliche und hoheitliche Aufgabe betrachtet werden. Denn nur gemeinsam können wir etwas ändern“, fasst Professor Dr. med. Götz Geldner, Präsident des Berufsverbandes der deutschen Anästhesisten (BDA) und Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie im Klinikum Ludwigsburg, das Selbstverständnis der beteiligten Experten zusammen.

Über die Bad Boller Reanimationsgespräche

Jährlich treffen sich auf Einladung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten, dem Deutschen Reanimationsregister und des Deutschen Rates für Wiederbelebung in Bad Boll ausgewiesene Experten mit Ziel die Versorgung von Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand zu verbessern. In zwei Arbeitstagen wird in Workshops diskutiert sowie Maßnahmen und Konzepte erarbeitet. Die beteiligten Experten, Fach- und Interessengruppen bestehen nicht nur aus den am Versorgungsprozess beteiligten Partnern und Disziplinen. Unter ihnen finden sich auch beispielsweise Juristen, Ökonomen, Kostenträger, Schule n und Kommunikationsexperten.

Weitere Informationen

http://www.reanimationsregister.de


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und lntensivmedizin e.V. , 08.04.2016 (tB).

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