DGP

Frühzeitige Integration der Palliativmedizin schützt vor Übertherapie am Lebensende
 

  • Unbegründete Hoffnung auf Heilung oder Lebensverlängerung macht es auch Ärzten schwer, auf Therapiemaßnahmen zu ve rzichten oder diese zu beenden
  • Gegen den Willen des Patienten zu handeln, kann eine Körperverletzung darstellen

Berlin (4. Oktober 2016) – Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) begrüßt, dass das Thema Überversorgung am Lebensende aktuell von medizinischen Fachgesellschaften und den Medien aufgegriffen und intensiv diskutiert wird. Übertherapie am Lebensende kann nicht nur zu falscher Ressourcenverteilung, sondern auch zu inhaltlicher Unterversorgung führen. „Die thematische Einengung der medizinischen Behandlung auf Krankheitsbekämpfung lenkt die Aufmerksamkeit der Betroffenen von der wichtigen Auseinandersetzung mit den grundlegenden Fragen eines schicksalhaft auf das Sterben zu gerichteten Krankheitsverlaufes ab.“ so DGP-Vizepräsident Dr. Bernd-Oliver Maier: „Die palliativmedizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten darf nicht zu kurz kommen.“

Denn: „Trotz aller medizinischen Fortschritte verstirbt weiterhin etwa die Hälfte der Krebspatienten an den Folgen ihrer Erkrankung“, heißt es in einer aktuellen Presseerklärung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V., mit der die DGHO die Veröffentlichung ihrer Empfehlungen zur Vermeidung von Unter- und Überversorgung in Diagnostik und Therapie von Blutkrebserkrankungen und soliden Tumoren begleitet. Die DGP begrüßt die Empfehlungen der DGHO ausdrücklich und ist im Austausch mit der onkologischen Fachgesellschaft seit langem darum bemüht, das frühzeitige Miteinander von tumorspezifischen Therapien und palliativmedizinischer Behandlung, wie es dem Stand der Wissenschaft entspricht, in der klinischen Praxis umzusetzen. Dieser frühintegrative Ansatz gilt entsprechend für die palliativmedizinische Mitbehandlung und Versorgung von pulmologischen, neurologischen, kardiologischen, geriatrischen und multimorbiden Patientinnen und Patienten.

Die Diskussion berührt die Frage, wie schwerkranke Patientinnen und Patienten unterstützt werden können, ihre Bedürfnisse und Wünsche auch in einer sehr geschwächten Lebenssituation zum Ausdruck zu bringen, in der sie bzw. Betreuer oder Bevollmächtigte über möglicherweise folgenschwere Therapieoptionen entscheiden müssen. Auch Ärztinnen und Ärzte müssen sich damit auseinandersetzen, an welchem Punkt der Behandlung sie bei der Indikationsstellung für Therapiemaßnahmen „umschalten“: von der Hoffnung auf Heilung oder Lebensverlängerung – mittels Anwendung eines komplexen und sich rasant entwickelnden Systems an diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten – auf die palliativmedizinische Behandlung und Begleitung des lebensbegrenzend erkrankten Menschen, die sich allein auf die Linderung seiner Beschwerden, sein subjektives Wohlbefinden und seine spezifischen Bedürfnisse im jeweiligen sozialen Umfeld konzentriert.

“Wir benötigen dringend einen Wandel im Verständnis sowohl bei Ärzten wie in der breiten Öffentlichkeit, dass das Hinzuziehen eines Palliativmediziners nicht gleichbedeutend ist mit dem Ende aller Hoffnungen! Im Gegenteil: Unsere klinische Erfahrung zeigt, dass die frühe Verknüpfung von kausaler und symptombezogener Behandlung es Patienten viel eher ermöglicht, das ganze Spektrum der relevanten Fragen zu stellen und so allmählich einen für sie angemessenen Umgang mit ihrer Lebenssituation zu finden.“ betont Dr. Bernd-Oliver Maier, Chefarzt einer Klinik für Palliativmedizin und interdisziplinäre Onkologie in Wiesbaden.

In dem Moment, in dem die Chancen und Risiken einer krankheitsspezifischen Therapie ehrlich, verständlich und ohne suggestive „falsche Hoffnungen“, sondern mit all ihren potentiellen Widersprüchen kommuniziert werden, sollte gleichzeitig ein Team bereit sein, die Konsequenzen von Entscheidungen für oder gegen eine Therapie mitzutragen, den alternativen Weg ohne krankheitsspezifische Therapie kompetent zu erklären und bei vorliegendem Einverständnis auch zu begleiten und zu gestalten. Das kann Freiräume für den Patienten und seine Familie schaffen, um zur Ruhe zu kommen, die eigenen Bedürfnisse in den Blick zu nehmen und die noch verbleibende – häufig in jeder Hinsicht intensive – Zeit so gut wie möglich gemeinsam zu nutzen, so Maier.

Die unzutreffende Angst vor rechtlichen Konsequenzen führt nicht selten zu einer Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen wie der künstlichen Flüssigkeitsgabe, ohne dass diese hinterfragt werden. Oft sind diese Maßnahmen aber nicht mehr medizinisch indiziert, weil sie dem Therapieziel nicht mehr dienlich sind oder für den Behandelten sogar eine Belastung darstellen können. Sollte der Patient das Unterlassen oder Abbrechen lebensverlängernder Therapien – und dazu kann auch das Abschalten der Beatmung gehören – einfordern, so stellt die Fortführung dieser von der Einwilligung nicht mehr gedeckten Behandlung eine Körperverletzung dar, betont Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein, Vorstandsmitglied der DGP. Richtschnur für die Durchführung jeder Therapiemaßnahme ist die medizinische Indikation, d.h. der Arzt oder die Ärztin hält eine Maßnahme für geboten, um ein Therapieziel im Sinne des Patienten zu erreichen. Dies gilt für eine Chemo- oder Strahlentherapie genau wie für die Linderung begleitender Symptome wie Schmerzen, Atemnot oder Angst.

„Aus unserer Sicht sollten belastende onkologische Therapien am Lebensende ohne wesentliche Chance auf klinischen Nutzen unterlassen werden.“ – diese Aussage der DGHO kann die DGP nur unterstreichen, sofern Patienten in diese Abwägungsprozesse soweit notwendig einbezogen und mit den Folgen der Entscheidung nicht allein gelassen werden. Die beiden medizinischen Fachgesellschaften sind sich einig darin, dass die Gewichtung tumorspezifischer und symptomorientierter Therapiemaßnahmen entsprechend den Wünschen und dem Willen des Patienten und in enger Absprache z.B. zwischen Onkologie und Palliativmedizin erfolgen sollte.

Um eine frühe Integration der Palliativversorgung in die onkologische Behandlung umsetzen zu können, müssen klare Strukturen geschaffen werden, betont die in der DGP tätige AG Interdisziplinäre Onkologie in der Palliativmedizin: Bei Diagnosestellung eines nicht-heilbaren Tumorstadiums sollte ein verpflichtendes Beratungsgespräch zu Angeboten der Palliativversorgung stattfinden. Die Einbindung palliativmedizinischen Sachverstands in Tumorkonferenzen sowie zur Beratung bei Symptomen sollte das therapeutische Angebot erweitern. Im Tätigkeitsfeld der niedergelassenen onkologisch tätigen Ärzte ist eine Kooperation mit weiteren ambulanten Anbietern der Hospiz- und Palliativversorgung anzustreben – nicht zuletzt unter Einbeziehung der Hausärzte, welche die Patienten und ihr Umfeld schon lange und unabhängig von der Krebserkrankung kennen.

Zusammenfassend begrüßt die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin ausdrücklich den konstruktiven Dialog, der schon mit vielen Fachgesellschaften geführt wird, um das gemeinsame Anliegen einer bestmöglichen patientenzentrierten Palliativversorgung weiterzuentwickeln. In diesem Kontext hat die DGP sich auch im „Klug-Entscheiden“-Prozess der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) engagiert und entsprechende Empfehlungen formuliert, welche in Kürze erscheinen werden. Das Anliegen einer patientenzentrierten Palliativversorgung ist auch über die „S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ und über das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) strukturprägend und unmittelbar für Patienten wirksam. Einer reflexartigen Überversorgung kann am besten durch Aufklärung begegnet werden, die ohne Schuldzuweisungen und Polemik im Austausch auf Augenhöhe um realitätsnahe Umsetzungskonzepte einer integrierten Palliativversorgung ringt – diesen Weg konsequent fortzusetzen, entspricht dem Selbstverständnis der DGP.


Literaturverweise


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin , 04.10.2016 (tB).

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