Bei Rheumaschmerzen ein NSAR oder ein Coxib?

Diclofenac und Co.: Alles andere als harmlos

 

Frankfurt am Main (19. März 2010) – Für Menschen mit Arthrose oder rheumatoider Arthritis stehen die Schmerzen als zentrales Problem ganz im Vordergrund. Als Mittel der Wahl zur raschen Schmerzlinderung erhalten Betroffene in aller Regel ein traditionelles nichtsteroidales Antirheumatikum (tNSAR) oder ein Coxib. Um aber durch die Behandlung nicht potenziell letale Komplikationen zu provozieren, sollte man gerade bei den tNSAR sehr genau auf therapieassoziierte Nebenwirkungen achten, forderten Experten auf einem Symposium aus Anlass des 21. deutschen interdisziplinären Schmerz- und Palliativtages1.

 

Die gute Nachricht ist, dass COX-2-selektive Antiphlogistika (Coxibe) und traditionelle NSAR gleich gut wirksam sind, erklärte der Frankfurter Rheumatologe Prof. Dr. med. Rainer Wigand. In den unerwünschten Wirkungen, vor allem im Gastrointestinaltrakt, unterscheiden sie sich aber erheblich. So gilt das Alter per se als Risikofaktor für ein tNSAR, denn spätestens ab dem 65. Lebensjahr steigt nicht nur die Ulkusempfindlichkeit, sondern auch die tNSAR-Empfindlichkeit2 rapide an. Hier ist ein Coxib wie Celecoxib (Celebrex®) die sicherere Wahl. Vor allem zu Beginn einer tNSAR-Therapie laufen Patienten Gefahr, eine gastrointestinale Blutung oder Perforation zu erleiden3.

 

 

„Vergessen Sie das kardiovaskuläre Risiko?“

 

„Seit 40 Jahren behandeln wir die Menschen mit Diclofenac, und nie ist uns ein kardiovaskuläres Risiko aufgefallen“, äußerte Wigand. Dabei ist dieses tNSAR mit einem relativen Risiko für tödliche oder nichttödliche Myokardinfarkte von 40 % problematischer als Celecoxib, das sich mit 6 % im Bereich von Naproxen und Ibuprofen bewegt. Ernst nehmen sollte man die Effekte aller NSAR auf den Blutdruck als dem Hauptrisiko für einen Infarkt. Celecoxib ist mit seiner kurzen Halbwertszeit als günstiger zu bewerten im Vergleich zu Etoricoxib und Rofecoxib, die beide eine lange Halbwertszeit aufweisen.

 

Auf die Niere wirkt sich die Schmerztherapie mit allen NSAR grundsätzlich gleich aus. Die tNSAR inhibieren zusätzlich zu COX-2 auch COX-1 und drosseln so die Durchblutung. Dies kann gerade bei älteren Patienten ein akutes Nierenversagen hervorrufen, sei es, weil sie zu wenig getrunken haben oder mit Diuretika behandelt werden. Generell besteht bei allen NSAR und Coxiben auf Grund von Natrium- und Wasserretention die Gefahr einer gewissen peripheren Ödembildung. Deshalb gilt für Wigand die Maßgabe, NSAR möglichst niedrig zu dosieren.

 

 

Cave bei tNSAR plus SSRI

 

Ein Problem, das seit den letzten Jahren zunehmend Beachtung findet, ist die Komedikation von tNSAR und SSRI. In retrospektiven Kohortenstudien4 hat sich herausgestellt, dass SSRI alleine bereits das Blutungsrisiko um das 3,6-Fache erhöhen. In Kombination mit Low-dose-ASS oder einem tNSAR steigt das relative Risiko auf 7,2 beziehungsweise 15,6 an. Aus Sicht von Wigand „bewegen wir uns hier in einer ganz anderen Welt als bei dem kardiovaskulären Risiko“.

 

 

Komplikationen im oberen GI-Trakt nur ein Teil des Problems

 

COX-2-Hemmer schneiden in allen Vergleichsstudien mit tNSAR, bei denen es um die gastrointestinale Sicherheit geht, besser ab. Entsprechend haben etwa die schweren gastrointestinalen Komplikationen mit Einführung der Coxibe Ende der 1990er-Jahre deutlich abgenommen. Ab 2004 gingen die Zahlen im Zuge der VIOXX-Krise aber wieder nach oben. Der Versuch, durch vermehrten Einsatz von Protonenpumpenhemmern gegenzusteuern, funktionierte nur bedingt, denn: „PPI entfalten ihre Schutzfunktion im oberen, aber nicht im unteren GI-Trakt“, erläuterte Prof. Dr. med. Markus Gaubitz, Münster. Dort aber bleibt eine tNSAR-Behandlung  auch nicht folgenlos. Lanas et al.5 haben in einer Beobachtungsstudie zu Todesfällen durch GI-Ereignisse gefunden, dass die Rate der Todesfälle durch Blutungen im unteren GI-Trakt der weiter oben praktisch gleichkommt (5,7 versus 5,3 %).

 

 

Dünndarm ist nicht mehr Terra incognita

 

Sehr verdächtig erschien Gaubitz eine 75jährige Patientin mit rheumatoider Arthritis, die mit der Diagnose Colitis ulcerosa in seine Praxis kam und auf Nachfrage zugab, zusätzlich zu ihrer Basismedikation Diclofenac genommen zu haben. „Eine Ursache für ulzeröse Veränderungen im unteren Darmtrakt ist sehr häufig die tNSAR-Gabe.“ Die Zeiten, in denen Gastroenterologen über das Geschehen zwischen Treitzschem Band und Bauhinscher Klappe nur spekulieren konnten, sind vorbei. Zu verdanken haben sie das zum einen der Kapselendoskopie. Dabei schluckt der Patient eine Kapsel mit einer Minikamera, die auf dem Weg durch Magen und Darm zigtausende Bilder schießt und nach draußen sendet. Alternativ lässt sich der Dünndarm mit der Doppelballonendoskopie komplett erkunden. Dabei wird das lange Endoskop mit Hilfe zweier wechselseitig aufgeblasener Ballons schrittweise vorgeschoben. Goldstein et al.6 haben beim Blick in den Dünndarm von Probanden in einer zweiwöchigen Studie gefunden, dass dort unter Naproxen plus Omeprazol signifikant mehr Läsionen entstanden als bei Einnahme von Celecoxib alleine.

 

Noch mehr wichtige Informationen zu Verträglichkeit und Sicherheit von Celecoxib im gesamten GI-Trakt werden von der kürzlich abgeschlossenen CONDOR-Studie8 erwartet. Unter dem Akronym CSULGIE (Clinically Significant Upper and Lower Gastrointestinal Events) werden in dieser Studie verschiedene klinisch signifikante Ereignisse im oberen und/oder unteren GI-Trakt zusammengefasst.  

 

 

tNSAR in Deutschland als Todesursache offenbar unterschätzt

 

In den USA sind 1997 nachweislich 16.500 Menschen therapiebedingt an einer NSAR-induzierten GI-Schädigung verstorben. Dies entspricht ziemlich genau der Rate von 16.685 Todesfällen, die bei HIV-Patienten registriert wurden. Experten vermuten, dass auch auf manchem deutschen Totenschein, der als Todesursache „katecholaminresistentes Multiorganversagen“ angibt, eher „tNSAR-induzierter Tod“ stehen müsste. Dr. med. Uwe Junker, Remscheid, schätzt, dass 30 % der Todesfälle gerade bei jüngeren Patienten aus sozialen Randgruppen zumindest mit auf die Einnahme von NSAR zurückzuführen sind. In diese Richtung deutet auch eine Studie von Tsokos et al.,7 die Dr. med. Sarah Heinze, Berlin, präsentierte. Die Studie soll zeigen, ob sich tNSAR-abhängige Gastropathien postmortal nachweisen lassen. Von 1.139 Obduktionen innerhalb eines Jahres erfüllten zwölf die Studienkriterien. Todesursachen waren gastrointestinale Blutungen (n=7), Peritonitis (n=4) und eine Perforation. Prädisponierende Einflüsse ließen sich nicht nachweisen. Bei sieben der Obduzierten, bei denen es sich um relativ junge Personen zwischen 43 und 60 Jahren handelte, konnte ein NSAR nachgewiesen werden (Ibuprofen 4, Diclofenac 2 und Ketoprofen 1). Die Studie wird derzeit in erweiteter Form fortgesetzt. 

 

 

Quellen

 

  • 1 Symposium „Morbidität und Mortalität: gastrointestinale Risiken unverändert unterschätzt! Fakten statt Fiktionen zu NSAR und Coxiben!“, veranstaltet von Pfizer Pharma GmbH am 19. März 2010 in Frankfurt/Main
  • 2 Pérez Guthann S et al. Individual nonsteroidal antiinflammatory drugs and other risk factors for upper gastrointestinal bleeding and perforation. Epidemiology 1997; 8: 18-24 
  • 3 Hernandez-Diaz und Garcia Rodriguez. Arch Intern Med. 2000; 160: 2093-2099
  • 4 Dalton OS et al. Arch Intern Med 2003; 1663: 59-64
  • 5 Lanas A et al. Am. Gastroenterol 2005; 100: 1685-1693
  • 6 Goldstein JL et al. Video capsule endoscopy to prospectively assess small bowel injury with celecoxib, naproxen plus omeprazole, and placebo. Clinical Gastroenterology & Hepatology 2005, 3(2): 133-141Seite: 1
  • 7 Tsokos M, Schmoldt A Contribution of nonsteroidal antiinflammatory drugs to deaths associated with peptic ulcer disease. A prospective toxicological analysis of autopsy blood symples. Arch Pathol Lab Med 2001; 125: 1572-1574 
  • 8 Celecoxib versus Omeprazol und Diclofenac bei Risikopatienten für rheumatoide Arthritis und Arthrose

 


 

Quelle: Satellitensymposium der Firma Pfizer beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag 2010 zum Thema „Fakten statt Fiktionen zu NSAR und Coxiben!“ am 19. März 2010 in Frankfurt am Main (MCG-Medical Consulting Group) (tb).

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