MDS: Gewalt gegen alte Menschen aus der Tabuzone holen

Projekt MILCEA liefert Vorschläge für Gewaltprävention auf europäischer Ebene

 

Essen (12. Oktober 2011) – Gewalt gegen alte und pflegebedürftige Menschen ist ein soziales Problem. Dennoch gibt es in den meisten Ländern der Europäischen Union bisher keine Strategie, um Gewalt zu verhindern. „Wichtig ist, dass wir das Thema Gewalt gegen Ältere nicht länger tabuisieren oder verharmlosen“, sagt Uwe Brucker, Leiter des Projekts „Monitoring in Long-Term-Care – Pilot Project on Elder Abuse“ (MILCEA), das unter Leitung des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes (MDS) durchgeführt wurde. Am 11.Oktober 2011 haben Experten aus Europa und Kanada gemeinsame Empfehlungen für ein europäisches Monitoringsystem vorgestellt.

 

Viele ältere Menschen sind aufgrund von physischen oder psychischen Einschränkungen auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Mit zunehmender Abhängigkeit von der Pflege und Zuwendung anderer steigt für sie das Risiko, Opfer von Gewalt (elder abuse) zu werden. Dies gilt besonders, wenn Pflegebedürftigkeit eingetreten ist – und zwar sowohl in der Familie wie auch in professionellen Pflegeeinrichtungen.

 

In dem Projekt MILCEA arbeiten fünf europäische Länder – Deutschland, Luxemburg, die Niederlande, Österreich und Spanien – zusammen, um Gewalt in Pflegesituationen erkennen und verhindern zu können. Im Mittelpunkt stehen die Rechte und Bedürfnisse der älteren Pflegebedürftigen. Da Gewalthandlungen an Pflegebedürftigen aber immer im sozialen Nahumfeld – z. B. der Familie oder der Pflegeeinrichtung – müssen auch die Pflegepersonen in Präventionsstrategien einbezogen werden. Das Ergebnis des Projekts ist eine Rahmenempfehlung zum Aufbau eines Monitoringsystems in den Staaten der Europäischen Union.

 

„Während Kindesmisshandlung zu Recht ein großes gesellschaftliches Thema ist, ist dies bei Gewalt gegen Pflegebedürftige, aber auch gegen Senioren allgemein noch längst nicht der Fall. Dieses Problem wird tabuisiert, verharmlost oder sogar geleugnet“, so Brucker. Deshalb sei es ein erster wichtiger Schritt zur Gewaltprävention, dass Personen, die mit möglichen Opfern von Gewalt in der Pflege in Kontakt kommen – Professionelle oder Ehrenamtliche –für das Thema sensibilisiert werden. „Sie müssen das Vorkommen von Gewalt in ihrem Umfeld für möglich halten. Solange man nicht glaubt, dass Gewalt gegen alte und pflegebedürftige Personen möglich ist, wird man Gewalt und Hinweise darauf auch nicht sehen“, so Brucker. Dafür bedürfe es umfassender Informations- und Fortbildungskampagnen, insbesondere in den medizinischen, sozialen und pflegerischen Berufen.

 

 

Zuständigkeiten bündeln

Ist es bereits zu Gewalthandlungen gekommen, geht es zunächst vor allem darum, die Gewaltsituation zu beenden, so die Experten. Dazu sollten einstweilige Wohn-, Schlaf- und Pflegemöglichkeiten vorgehalten werden, wie dies in den Niederlanden bereits der Fall ist. Opfer und Täter brauchen Beratung, die ihnen Alternativen aufzeigt. Fruchtet alles nicht, muss es auch – ähnlich wie bei misshandelten Frauen – rechtliche Möglichkeiten geben, den Täter vom Opfer fernzuhalten. Dafür sollten bei den Familiengerichten spezielle richterliche Zuständigkeiten für häusliche Gewalt geschaffen werden, damit zügig Abhilfe geschaffen werden kann.


Unabdingbar ist nach Einschätzung der Experten die Festlegung von Verantwortlichkeiten zur Prävention von Gewalt gegen Pflegebedürftige, um die zersplitterten Zuständigkeiten zu bündeln. Ehrenamtliche, Angehörige und Nachbarn, aber auch alle, die beruflich mit pflegebedürftigen alten Menschen arbeiten und die Pflegebedürftigen selbst müssen in Zukunft wissen, wer Ansprechpartner für Gewalt in der Pflege ist. In Deutschland wäre bei der zuständigen Stelle auch ein Notruftelefon einzurichten. „Vieles spricht dafür, die gerade neu geschaffenen Pflegestützpunkte mit dieser Aufgabe zu betrauen oder sie direkt bei den Kommunen anzusiedeln“, so Brucker.

 

 

Hintergrund

Gewalt gegen ältere Menschen kann unterschiedliche Formen annehmen und von körperlicher und emotionaler Misshandlung bis zur finanziellen Ausbeutung älterer Menschen reichen. Die meisten Fachleute unterschieden vier Erscheinungsformenvon Gewalt gegen Ältere:

 

  • physische Gewalt (körperlicher Schaden durch z.B. Treten oder Schlagen)
  • psychische Gewalt (z. B. durch Aggressivität)
  • finanzielle Ausbeutung (z.B. Diebstahl)
  • sexueller Missbrauch
  • Vernachlässigung

 

Nicht nur aktive Handlungen sind Ausdruck von Gewalt. In der Langzeitpflege ist besonders die Vernachlässigung (neglect) als eine Form von Gewalt relevant. Vernachlässigung bedeutet in diesem Zusammenhang die Unterlassung einer gebotenen Handlung, die zur Aufrechterhaltung des Wohlbefindens eines älteren Menschen dient.

 

MILCEA (Monitoring in Long-Term-Care – Pilot Project on Elder Abuse, deutsch: Pilotprojekt zur Vermeidung von Gewalt gegen ältere und pflegebedürftige Menschen – Monitoring-System in der Langzeitpflege) wird vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. – MDS – koordiniert und mit Mitteln der Europäischen Kommission gefördert. Beteiligt sind die Niederlande, Luxemburg, Österreich und Spanien. Anhand von Indikatoren und Risikofaktoren analysieren die Projektpartner die jeweiligen Strukturen in ihrem Land zum Erkennen und Erfassen von Gewalt. Leitfragen sind: Welche Akteure gibt es in der Langzeitpflege? Welchen Zugang haben diese zu den pflegebedürftigen älteren Menschen? Welche Möglichkeiten und Grenzen haben sie zur Erkennung und Erfassung von Gewalt gegen Ältere? Welchen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen sie? Welche Anforderungen sind an eine systematische Erfassung von Gewalt gegen ältere Menschen zu stellen?

 

Auf der Basis dieser Bestandsaufnahmen und ausgehend von den Anforderungen an ein Monitoring-System gibt jedes Partnerland Empfehlungen für eine nationale routinemäßige Erfassung von Gewalt gegen ältere Menschen in der Langzeitpflege.

 


 

Quelle: MDS – Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V., 12.10.2011 (tB).

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