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Pflege-TÜV und die Schulnoten für Pflegeeinrichtungen
Kritische Anmerkungen von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk
Neuss (25. Mai 2010) – Die Suche nach einer geeigneten (ambulanten oder stationären) Pflegeeinrichtung gestaltet sich oftmals schwierig. Eine solche Einrichtung soll einmal den konkreten Wünschen entsprechen und dann selbstverständlich gute, der Menschenwürde gerecht werdende Pflege, Betreuung und sonstige Versorgung gewährleisten. Verkürzt gesagt geht es um die Suche nach dem sogenannten guten Pflegedienst oder Heim. Und jetzt beginnen die Probleme. Insoweit nimmt Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk wie folgt Stellung:
Eine wirklich uneingeschränkt gute Pflegeinrichtung zu finden, ist eigentlich nicht möglich. Denn das SGB XI und die sonstigen die Pflege betreffenden bundes- und landesrechtlichen Vorschriften lassen es überhaupt nicht zu, umfassend eine gute / angemessene Pflege zu gewährleisten. Es gibt vielerlei systemische Mängel, vor allem völlig unzureichende Personalausstattungen (Stellenschlüssel), so dass auch bei kompletter Besetzung aller Planstellen nie genügend Personal vorhanden sein kann. Im Volksmund hat sich insoweit bereits die Bezeichnung „Minutenpflege“ durchgesetzt.
Die fachärztliche Versorgung wird in den Heimen seit Jahren als klar mangelhaft bezeichnet. Bundesweit greifende Konzepte für Verbesserungen auf diesem Gebiet kommen, trotz vielfältiger Modellprojekte und Reformankündigungen, nicht voran. Es hapert letztlich an der Honorierung der Ärzte. Insoweit zeigt die Ökonomisierung des Gesundheitswesens volle Wirkung.
Die vor Jahren durchgeführte Föderalismusreform hat die Probleme im Pflegesystem zusätzlich vergrößert, weil es nunmehr ein Durcheinander von bundes- und landesrechtlichen Vorschriften gibt, versehen mit immer größer werdenden bürokratischen Hürden, die kaum nachvollziehbar erscheinen. Die Doppelprüfungen von Heimaufsichten und MDK können als überflüssig angesehen werden. Eine einzige – mit den notwendigen Kompetenzen ausgestatte – Prüfinstanz wäre kostengünstiger und effektiver wirksam. Eingesparte Mittel könnten der direkten Versorgung pflegebedürftiger Menschen zugute kommen.
Bis heute haben es im Übrigen weder der Bund noch die Länder vermocht, die Grundsätze der „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ verbindlich zu machen, d.h. zu subjektiv-öffentlichen Rechten mit Anspruchscharakter auszuformen. Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hat wiederholt angesprochen und bemängelt, dass es nicht ausreichend sei, diese Chartagrundsätze in „Sonntagsreden“ als Fortschritt zu preisen. Bezüglich der Chartagrundsätze kann folgerichtig nur von einem "Papiertiger" gesprochen werden.
Bei der Suche nach einer sogenannten guten Einrichtung kann es also im Zweifel nur darum gehen, solche Anbieter ausfindig zu machen, die sich unter den gegebenen schlechten Pflege-Rahmenbedingungen bestmöglich bemühen, den pflegebedürftigen Menschen mit entsprechend gestalteten Pflege-, Betreuungs- und sonstigen Versorgungsangeboten zu unterstützen und beizustehen. Insoweit scheinen gute Führungskräfte (z.B. Heimleitung, Pflegedienstleitung) Schlüsselpositionen zu sein. Wo es insoweit nicht stimmt, gilt möglicherweise der Grundsatz „Der Fisch stinkt vom Kopf“.
Bemühungen, den Pflegebedürftigen bestmögliche Dienstleistungen zu bieten, können sehr unterschiedlich ausfallen, so dass die Ergebnisse solcher Aktivitäten durchaus mit einem Notensystem bewertet werden können. Gelänge dies in nachvollziehbarer Weise, könnte man die „Spreu vom Weizen“ trennen.
Begrüßenswert ist daher, dass der Gesetzgeber bei der Pflegereform 2008 mehr Transparenz und Bewertungen der Pflegeeinrichtungen vorgeschrieben hat, zumal dabei nach dem Gesetzeswortlaut im Wesentlichen auf die Ergebnisqualität der pflegebedürftigen Menschen abgestellt werden soll.
Die daraufhin unter Federführung des GKV-Spitzenverband Bund erarbeiteten Transparenzvereinbarungen und Bewertungskriterien als Grundlage für die Bewertung von Pflegeeinrichtungen mit Schulnoten genügen aber in keiner Weise den gesetzlichen Anforderungen. Dies vor allem deshalb nicht, weil die Ergebnis- und Lebensqualität nicht in der gebotenen Weise entscheidend ausschlaggebend für die Notengebung gemacht wurde. Die Schulnoten werden nach den augenblicklichen Vorschriften aus einer Gemengelage von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität ermittelt.
Dies ist aber nicht das, was diejenigen, die sich im Wesentlichen ergebnisorientiert informieren wollen, erfahren wollen. So kann es z.B. sein, dass eine gut geführte Dokumentation oder eine gerade durchgeführte Fortbildung für MitarbeiterInnen einen handfesten Mangel in der Pflege (z.B. Durchliegegeschwür, Verbrühung, Sturz, mangelnde Mobilisation, keine Unterstützung bei der Nahrungseinnahme, „pflegeerleichternde Maßnahmen“) per Notenquerschnitt ausgleichen kann. Pflegerische Mängel können also letztlich im Notendschungel untergehen und somit wichtige Botschaften klar verfälschen.
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk ist der Meinung, dass für die Bewertung einer Einrichtung allein die Ergebnisqualität ausschlaggebend sein muss. Struktur- und Prozessqualität können allenfalls am Rande interessant und vor allem für die innerbetriebliche Managementarbeit von Bedeutung sein.
Die Notengebung auf der Grundlage einer Angehörigenbefragung zu ergänzen kann in der jetzigen Form als kontraproduktiv angesehen werden. Wenn überhaupt, muss auf die Befragung der Betroffenen selbst oder ihrer Rechtsvertreter abgestellt werden. Entscheidend muss aber insoweit auf jeden Fall sein, dass bei der Befragung Abhängigkeitserwägungen auf jeden Fall ausgeschlossen werden können. Welcher Betroffene wird seinen Vertragspartner ohne Not kritisieren, wenn er befürchten muss, dass ihm solche Bekundungen heimgezahlt werden können? Bislang bekannt gewordene Ergebnisse über Angehörigenbefragungen bestätigen die Zweifel.
Die Verbände der zu prüfenden Einrichtungen sind bei der Erarbeitung der maßgeblichen Prüfkriterien beteiligt worden, konnten also gezielt Einfluss nehmen. Bereits Anfang 2009 wurde in diesem Zusammenhang von einem führenden Vertreter des MDS kritisiert, dass hier der „Bock zum Gärtner“ gemacht worden sei. Wenn sich demnach heute Träger von Pflegeeinrichtungen gegen schlechte Benotungen zur Wehr setzen, sogar die Sozialgerichte anrufen, scheint das auch ein wenig widersprüchlich.
Nicht beteiligt wurden bei der Abfassung von Transparenzvereinbarungen und Bewertungskriterien die insoweit kompetenten Selbsthilfevertreter. Damit ist in eklatanter Weise gegen die Vorschriften des SGB XI verstoßen worden. So gesehen sind die berechtigten Belange der Betroffenenseite weder in den Prüfkriterien ausreichend gewahrt, noch konnten sie im Rahmen der Vorbereitung der Prüfkriterien vorgetragen und diskutiert werden. Zu beklagen ist, dass sich der GKV-Spitzenverband Bund bislang weigert, Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk an der gebotenen Überarbeitung der Prüfvorschriften zu beteiligen.
Im Übrigen geht Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk davon aus, dass eine wirkliche und nachhaltige Verbesserung der Pflege, Betreuung und Versorgung in den Pflegeeinrichtungen nur durch eine umfassende Reform der Pflege-Rahmenbedingungen erreicht werden kann. Dabei müsste vor allem durch eine auskömmliche Ausstattung der Pflegeeinrichtungen mit (Fach)personal gewährleistet werden, dass für die vielfach gewünschte bzw. geforderte Zuwendung deutlich mehr Zeit zur Verfügung steht. Solche Personalausstattungen sollten mittels bundeseinheitlicher Personalbemessungssysteme ermittelt werden.
Mit einem Pflege-TÜV und Schulnoten auf der jetzigen Vorschriftenbasis erhöht man nur den Druck auf die ohnehin durch personelle und organisatorische Unzulänglichkeiten gebeutelten Pflegekräfte und schafft zusammen mit den viel beklagten Arbeitsverdichtungen nur weiteren Frust. Und dies wird die Pflegequalität nicht verbessern, sondern eher verschlechtern!
Autor
Werner Schell, Dozent für Pflegerecht, Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk
Quelle: Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk, 25.05.2010 (tB).