Mixed-Pain

Gibt es das wirklich und was machen wir damit?

 

Prof. Dr. med. Ralf Baron, Kiel

 

Berlin (21. Oktober 2009) – Chronische Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Schmerzsyndromen. Sehr oft ist bei den Patienten die Schmerzsymptomatik allerdings nicht auf den Rückenbereich begrenzt, sondern es wird über eine mehr oder weniger gut lokalisierbare Ausstrahlung der Beschwerden in die Extremität geklagt. Werden die Schmerzen im Ausbreitungsgebiet einer oder mehrerer Nervenwurzeln wahrgenommen oder bestehen Sensibilitätsstörungen, Reflexabschwächungen oder motorische Ausfälle der entsprechenden Kennmuskeln, bezeichnet man die Schmerzen als radikulär (Tab. 1), sind die Grenzen unscharf ohne dass neurologische Ausfälle vorliegen, als pseudoradikular.

 

Die lokalisierten Schmerzen im Rückenbereich werden bisher zu den nozizeptiven Schmerzen gezählt. Allgemein wird angenommen, dass die Ausbreitung der Schmerzen auf die Extremitäten auf eine Beteiligung neuronaler Strukturen schließen lässt (neuropathische Komponente). Das Nebeneinander von nozizeptiven und neuropathischen Schmerzanteilen bezeichnet man als Mixed-Pain-Syndrom. Das Konzept der mechanischen Kompression einer Nervenwurzel wird für die Pathogenese der radikulär ausstrahlenden Rückenschmerzen postuliert. Klassische diskogene Ursachen, wie der Bandscheibenprolaps oder –sequester, aber auch knöcherne oder postoperative fibrotische Verwachsungen (Postdiskektomiesyndrom) stehen im Verdacht, für die Schmerzen verantwortlich zu sein. Man spricht dann von einer sogenannten neuropathischen Komponente der Rückenschmerzen.

 

Hierfür sprechen die Erfolge der operativen Dekompression bei einem Großteil der behandelten Patienten. Dennoch kann häufig in bildgebenden Verfahren ein entsprechendes strukturelles Korrelat, das die Nervenwurzel komprimiert, nicht gefunden werden, obwohl der Patient klinisch alle Symptome der Radikulopathie präsentiert. Dies gilt insbesondere für die Patientengruppe mit chronischen Lumboischialgien. Somit gibt es Hinweise, dass auch andere neuropathische Schmerzmechanismen neben einer mechanischen Kompression an der Entstehung der Symptome einer Radikulopathie beteiligt sein müssen. Das Ausmaß der neuropathischen Komponenten am Schmerzgeschehen ist individuell sehr verschieden. Eine quantitative Abschätzung der beteiligten Schmerzmechanismen ist allerdings wesentlich, da die neuropathische Schmerzkomponente im Gegensatz zu den nozizeptiven Schmerzen einer völlig anderen Therapie bedarf.

 

Mit painDETECT® ist ein validierter Fragebogen erhältlich, der ein einfaches und zuverlässiges Screening-Tool zur Aussage der Wahrscheinlichkeit einer neuropathischen Schmerzkomponente  bei chronischen Rückenschmerzen darstellt. Die Sensivität und Spezifität liegt bei über 80%. Dieser Fragebogen wird vom Patienten ausgefüllt und erfasst Schmerzintensität, -muster und -qualität. Eine klinische Untersuchung ist für dieses Screening nicht notwendig, muss aber im Anschluss erfolgen [1,2]. Eine kürzlich publizierte painDETECT® Studie an 8000 Rückenschmerzpatienten konnte bei mehr als einem Drittel der Patienten eine signifikante neuropathische Komponente nachweisen.

 

Die medikamentöse Therapie der chronischen Rückenschmerzen wird heutzutage nahezu ausschließlich gegen die nozizeptive Komponente gerichtet. Als first-line Medikation werden nicht-steroidale Antiphlogistika und in schweren Fällen Opioide eingesetzt. Die neuropathische Komponente der Rückenschmerzen können jedoch insbesondere durch die nicht-steroidalen Antiphlogistika nicht entscheidend beeinflusst werden. Für diese Schmerzkomponenten stellen die sogenannten Co-Analgetika, zu denen die Antiepileptika und die Antidepressiva gezählt werden, das wesentliche Indikationsgebiet dar.

 

 

Tabelle 1. Typische Diagnosen, die häufig mit neuropathischen Schmerzkomponenten vergesellschaftet sind:

 

            4            Bandscheibenvorfall

            4            Postdiskektomiesyndrom (failed back surgery)

            4            Stenose des Spinalkanals oder der Neuroforamina

            4            Spondylosis deformans

            4            Spondylolisthesis / Spondylodisziitis

            4            Radikulitis

            4            Tumoren und Metastasen der Wirbelsäule

            4            Wirbelsäulentrauma

            4            Andere Wurzelkompressionssyndrome

 

 

Literatur

 

  1. Freynhagen R, Baron R, Gockel U, Tolle TR. painDETECT: a new screening questionnaire to identify neuropathic components in patients with back pain. Curr Med Res Opin 2006;22:1911-1920
  2. Bennett MI, Attal N, Backonja MM, et al. Using screening tools to identify neuropathic pain. Pain 2007;127:199-203

 


 

Quelle: Pressekonferenz der Firma Pfizer zum Thema “Schmerzen kosten nicht nur Nerven – Neueste Daten zur differenzierten und ökonomischen Bewertung und Therapie von chronischen Schmerzpatienten” am 21.10.2009 in Berlin (MCG-Medical Consulting Group) (tB).

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