PFLEGE
AWARDS
Forschergeist gefragt: 14. Novartis Oppenheim-Förderpreis für MS-Forschung ausgelobt
FernstudiumCheck Award: Deutschlands beliebteste Fernhochschule bleibt die SRH Fernhochschule
Vergabe der Wissenschaftspreise der Deutschen Hochdruckliga und der Deutschen Hypertoniestiftung
Den Patientenwillen auf der Intensivstation im Blick: Dr. Anna-Henrikje Seidlein…
Wissenschaft mit Auszeichnung: Herausragende Nachwuchsforscher auf der Jahrestagung der Deutschen…
VERANSTALTUNGEN
Wichtigster Kongress für Lungen- und Beatmungsmedizin ist erfolgreich gestartet
Virtuelle DGHO-Frühjahrstagungsreihe am 22.03. / 29.03. / 26.04.2023: Herausforderungen in…
Pneumologie-Kongress vom 29. März bis 1. April im Congress Center…
Die Hot Topics der Hirnforschung auf dem DGKN-Kongress für Klinische…
Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2023 startet am 14.3.
DOC-CHECK LOGIN
Nutzen und Strategie der Insulintherapie ‑ mehr als nur Blutzuckerkontrolle
Von Prof. Dr. Petra-Maria Schumm-Draeger, München
Eltville-Erbach (9. August 2006) – Während in der Behandlung des Typ-1-Diabetes mellitus eindeutig belegt und akzeptiert ist, dass zur Vermeidung akuter und langfristiger Komplikationen des Diabetes zwingend eine normnahe Blutzuckereinstellung mit der Insulintherapie erreicht werden muss, hat sich in der Behandlung des Typ-2-Diabetes mellitus auf Grund der aktuellen Datenlage eindeutig ein Paradigmenwechsel zugunsten einer frühzeitigen Diagnostik und Therapie und insbesondere auch einer Insulinbehandlung ergeben.
Mindestens 8 Prozent der Menschen in Deutschland haben einen Typ-2-Diabetes mellitus. Eine frühzeitige und effektive Behandlung ist von größter gesundheitspolitischer Bedeutung: Sowohl im Hinblick auf die hohe und voraussichtlich mit den nächsten Jahren stetig weiter zunehmende Diabetesprävalenz in Deutschland und weltweit, als auch im Hinblick auf die Erkenntnisse aus zahlreichen Prävalenz- und Interventionsstudien, ist klar abzuleiten, dass nur bei optimaler Stoffwechselkontrolle eine Reduktion diabetischer makro- und mikrovaskulärer Folgeschäden erreicht werden kann. Im Mittelpunkt der Pathogenese des Typ-2-Diabetes mellitus stehen ein Sekretionsdefizit für Insulin und die Insulinresistenz. Bereits vor Manifestation des Vollbildes des Typ-2-Diabetes mellitus steigt das Risiko vor allem für makrovaskuläre Folgeschäden signifikant an.
Um die neu festgelegten Ziele der Blutzuckerkontrolle dieser Patientengruppe zu erreichen (Europäischer Zielwert: HbA1c: 6,5 Prozent, Nüchtern-Blutglucose: <110 mg/dl), muss das Behandlungskonzept für Typ-2-Diabetes mellitus optimiert werden. Neben kontinuierlichen Schulungsmaßnahmen mit Umstellung der Lebensführung (Ernährungs- und Bewegungsverhalten) ist es sinnvoll, einen Stufenplan für orale Antidiabetika und/oder Insulin zu entwickeln und die Dosierungsstrategien einzelner Substanzgruppen in der Mono- und Kombinationstherapie zu verbessern, um frühzeitig und dauerhaft die Blutzucker-Zielwerte zu erreichen. Gleichzeitig ist eine normnahe Einstellung von Fettstoffwechselbefunden und Blutdruck notwendig, um das Risiko dieser Patientengruppe für diabetische Folgeschäden nachhaltig zu mindern. Die Behandlung muss daher aggressiver vorangetrieben werden, was eine frühe Kombination von oralen Antidiabetika, aber auch eine frühe Kombination oraler Antidiabetika mit Insulin bedeutet und schließlich in einem Therapiestufenschema die frühe Umstellung auf eine intensivierte InsulinMonotherapie bedeuten kann. Eine frühzeitige Initiierung der Insulintherapie, vor dem Auftreten einer ausgeprägten Dekompensation des Glukosestoffwechsels mit deutlich erhöhten HbA1c-Werten und ausgeprägter Insulinresistenz, hat zudem den Vorteil eines häufig geringeren Insulinbedarfs. Die jeweilige Auswahl der Medikamente muss immer individuelle Gesichtspunkte berücksichtigen und im Hinblick auf eine optimale Gestaltung des Nutzen‑Risiko‑Verhältnisses eine effektive Stabilisierung der Stoffwechsellage mit einem HbA1c-Zielwert von 6,5 Prozent zwingend anstreben.
Ist die Entscheidung für eine Insulintherapie gefallen, bestimmen die Nüchtern‑ und postprandialen Blutzuckerwerte den Einsatz des Insulins. Erhöhte Nüchternblutzucker sind Folge eines basalen Insulindefizits und einer hierdurch gesteigerten hepatischen Glukoseproduktion. In dieser Situation ist der erste Ansatz einer Insulintherapie die Gabe eines langwirksamen Insulins mit ausreichender Insulinwirkung am Morgen (Basal unterstützte orale Therapie = BOT). Eine BOT sollte mit 8‑10 Einheiten beginnen, die Dosis alle 3‑8 Tage gesteigert werden. Der zu erwartende Gesamt‑Insulinbedarf liegt abhängig vom Körpergewicht in der Regel zwischen 0,2 bis 0,4 E/kg Körpergewicht. Bei der Gabe von NPH-Insulin besteht ein erhöhtes Risiko für nächtliche Hypoglykämien, im Gegensatz zu Basalinsulin-Analoga (z.B. Insulin glargin). Diese Therapieform ist dann am erfolgreichsten, wenn der Nüchternzucker in den Zielbereich gebracht wird.
Bei guten Nüchternblutzuckern, jedoch erhöhten postprandialen Blutzuckerwerten liegt ein Mangel an schnell sezernierbarem Insulin vor. Hier ist Gabe eines kurzwirksamen Insulins zum Frühstück und ggf. zu den anderen Mahlzeiten Mittel der Wahl (prandiale/supplementäre Insulintherapie (SIT)). Bei weiter fortgeschrittener Erkrankung oder schlechterer Stoffwechsellage wird das kurzwirksame Insulin zu allen Mahlzeiten gegeben. Es empfehlen sich hier Insulindosen von 4‑8 E pro Mahlzeit, wobei die Insulindosis zum Frühstück in der Regel doppelt bis dreifach höher zu wählen ist.
Die Vorteile einer Kombinationstherapie von oralen Antidiabetika mit Insulin sind eine meist bessere Stoffwechseleinstellung, geringere Gewichtszunahme, weniger Hypoglykämien, Einsparung an Insulin und oftmals ein für den Patienten besser nachvollziehbares Therapiekonzept. Der Bedarf an Insulin ist ein Resultat von Insulinresistenz und hepatischer Glukoseproduktion. Die Insulindosis muss langsam angehoben werden, um eine Überinsulinisierung, die oftmals mit einer Gewichtszunahme einhergeht, zu vermeiden. Andererseits ist jedoch ein konsequentes Steigern des Insulins (zumindest wöchentlich) solange notwendig, bis die Zielwerte erreicht sind.
Die Zeitspanne, in der die isolierte Gabe eines langwirksamen Insulins oder ausschließlich prandialen Insulins alleine ausreichend ist, ist begrenzt. So ist sehr häufig bei der prandialen Therapie ein Basalinsulin hinzuzugeben, um Nüchternblutzuckerwerte im Zielbereich zu erreichen, bzw. bei der Insulintherapie mit langwirksamen Insulinen werden zusätzlich prandiale Gaben eines kurzwirksamen Insulins notwendig. Eine derartige intensivierte insulintherapie (ICT) bei Typ-2-Diabetes mittels eines langwirksamen Basalinsulins ist geeignet, die gesteigerte hepatische Gluconeogenese zu hemmen und den mittleren Blutglukosewert zu senken sowie durch das kurzwirksame Insulin die gestörte erste lnsulinsekretionsphase so physiologisch wie möglich zu ersetzen und die hepatische Glukoseproduktion zu den Mahlzeiten zu hemmen. Bei fortschreitender Abnahme der Betazellfunktion ergibt sich nicht nur ein früherer Bedarf an Basalinsulin, sondern auch an kurzwirksamem Insulin. Die intensivierte Insulintherapie hat im Vergleich zur konventionellen Insulintherapie bei Menschen mit Typ-2-Diabetes eindeutig Vorteile, da sie Therapieziele bei hoher Flexibilität der Behandlung zuverlässig erreichen lässt. Die konventionelle Insulintherapie (CT) hingegen, charakterisiert durch die ein- oder zweimalige Gabe eines Mischinsulins, ist eine häufig nicht ausreichend effektive Therapieform und kann allenfalls bei Patienten mit einem weniger strengen Therapieziel (HbA1c < 8 Prozent) Einsatz finden. Hier sind häufig Zwischenmahlzeiten notwendig, um die Gefahr von Hypoglykämien zu reduzieren.
Mit den neuen kurz- sowie langwirksamen Insulin-Analoga lassen sich bei signifikant besserer Stoffwechselkontrolle mit normnaher Einstellung der Blutzuckerwerte die Risiken von Hypoglykämien sowie einer ungünstigen Gewichtsentwicklung signifikant vermindern. Dies konnte für alle Analoginsuline in zahlreichen Studien und bei BasalinsulinAnaloga im Hinblick auf die Hypoglykämiehäufigkeit auch durch Metaanalysen (mit Evidenzgrad 1 a oder 1 b) nachgewiesen werden, und deckt sich zudem mit den praktischen Erfahrungen in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2.
Neben der indirekten Wirkung des Insulins auf die Vermeidung kardiovaskulärer Folgeschäden durch Senkung des zu hohen Blutzuckers und Besserung des Lipidstatus hat exogen zugeführtes Insulin auch direkte positive Auswirkungen auf die Gefäßwände. So konnte für Insulin nachgewiesen werden, dass es antiinflammatorisch und antithrombotisch wirkt und, wie auch Insulin glargin, die endothelabhängige Vasodilatation stimuliert, sowie die Ausreifung endothelialer Vorläuferzellen fördert, die eine wichtige Rolle für die Gefäßregeneration bei koronarer Herzkrankheit spielen. Für Insulin glargin konnte zudem ein Langzeiteffekt auf die Endothelfunktion bei Diabetes mellitus nachgewiesen werden. Ob durch eine frühzeitige Gabe von Insulin (Insulin glargin) bei kardiovaskulären Risikopersonen über 50 Jahre eine Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte bewirkt werden kann, soll eine Langzeitstudie an über 12.000 Patienten zeigen. Erste Ergebnisse dieser Studie werden im Jahr 2009 erwartet.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass in der Behandlung des Typ-2-Diabetes auf Grund der aktuellen Datenlage ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Unter Berücksichtigung einer optimalen Nutzen-Risiko-Analyse im Hinblick auf mikro- und vor allem makrovaskuläre Komplikationen des Typ-2-Diabetes müssen Behandlungs-maßnahmen früher und aggressiver etabliert werden und der Einsatz einer Insulintherapie, additiv zu oralen Antidiabetika bis hin zur intensivierten Insulintherapie möglichst frühzeitig geplant werden.