Schlafstörung IRBD

Vorbote von Parkinson-Krankheit und Lewy-Körper-Demenz

 

Berlin (3. Juni 2013) – Die Langzeitbeobachtung von 44 Patienten mit der seltenen Traum-Schlafverhaltensstörung IRBD (Idiopathic Rapid-Eye-Movement Sleep Behaviour Disorder) hat ergeben, dass mehr als 90 Prozent dieser Personen binnen 14 Jahren nach der Diagnose eine Lewy-Körper-Krankheit (Parkinson-Erkrankung oder die seltenere Lewy-Körper-Demenz) entwickeln.

 

Auch bei den wenigen IRBD-Patienten, die nach 14 Jahren noch nicht erkrankt waren, fanden sich sehr diskrete neurodegenerative Anzeichen. „Dies bestätigt unsere Empfehlung, IRBD-Patienten auf Anzeichen neurodegenerativer Erkrankungen zu untersuchen, damit eine Beratung und Unterstützung möglichst frühzeitig erfolgen kann. Denn bisher gibt es keine Behandlung, die das Auftreten der Parkinson-Krankheit verhindert“, bemerkt Professor Wolfgang Oertel vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der dieses Phänomen schon seit Jahren im Rahmen einer IRBD-Studiengruppe mit Sitz in Marburg untersucht. Für die Patienten kann der Umgang mit dem Wissen einer bevorstehenden schweren Erkrankung jedoch problematisch sein, warnt der Direktor der Klinik für Neurologie an der Philipps Universität Marburg. Er plädiert daher für eine umfassende, gegebenenfalls auch psychologische Unterstützung der Betroffenen.

Gewaltträume, bei denen die Patienten sich verfolgt fühlen und im Schlaf um sich schlagen, können Vorboten für eine sogenannte Lewy-Körper-Erkrankung sein, beispielsweise für die Parkinson-Krankheit oder die seltene Lewy-Körper-Demenz. Schon früh hatte dies eine Arbeitsgruppe um Dr. Carlos Schenck, USA, postuliert. Diese These wurde von Dr. Alex Iranzo am Hospital Clinic de Barcelona aufgegriffen und nun mit neuen Daten bestätigt. Bereits zwischen 1991 und 2003 hatten die Forscher 44 Patienten mit der REM-Schlaf-Verhaltensstörung IRBD in eine Studie eingeschlossen und deren Entwicklung zuletzt im Jahr 2005 evaluiert. Damals konnte man bereits auf einen Anteil von 60 bis 70 Prozent der Patienten schließen, die eine Lewy-Körper-Erkrankung entwickeln würden. Mit einer zusätzlichen Beobachtungszeit von weiteren sieben Jahren hat sich dieser Prozentsatz nun erhöht.


Mehr Erkrankungen mit längerer Beobachtungsdauer

Wie Iranzo und Kollegen in der Fachzeitschrift The Lancet Neurology berichten, sind von 44 IRBD-Patienten inzwischen 16 Patienten an der Parkinson-Krankheit erkrankt, weitere 14 an einer Lewy-Körper-Demenz und einer an Multisystematrophie, einer seltenen Variante der Parkinson-Krankheit. Fünf Studienteilnehmer zeigen eine leichte kognitive Beeinträchtigung, die oftmals die Vorstufe einer Demenz darstellt. Die Statistik offenbart, dass fünf Jahre nach der Diagnose der IRBD noch bei 65,2 Prozent der Patienten keine neurologische Erkrankung festgestellt worden war, nach zehn Jahren nur noch bei 26,6 Prozent und nach 14 Jahren lediglich bei 7,5 Prozent. Auch bei den verbliebenen vier Patienten fanden die Wissenschaftler erste Hinweise auf neurodegenerative Prozesse: Bei ihnen war die Aufnahme des Botenstoffes Dopamin im Striatum – einem Teil der Basalganglien unterhalb der Großhirnrinde – gemäß einem nuklearmedizinischen Nachweisverfahren vermindert. Bei zweien war zudem der Geruchssinn beeinträchtigt und einer zeigte in einer Ultraschalluntersuchung Auffälligkeiten in der Substantia nigra. Beides sind mögliche Hinweise auf eine beginnende Parkinson-Erkrankung.


Spuren im Hirnstamm

„Die sorgfältige Studie der Kollegen bestätigt, was auch wir seit vielen Jahren beobachten“, so Professor Oertel. Die Marburger Arbeitsgruppe hat in Kooperation mit Professor Geert Mayer (Treysa/Marburg) im Jahre 2005 erstmals nachgewiesen, dass ein und dieselbe Person an einer Geruchsempfindungsstörung (Hyposmie) sowie der REM-Schlafverhaltensstörung leidet und gleichzeitig bereits im Gehirn eine Erkrankung des dopaminergen Systems aufweist, wie Iranzo und Mitarbeiter jetzt in ihrer Langzeitstudie untermauern. „Zwar sind die therapeutischen Möglichkeiten derzeit noch begrenzt und eine Heilung ist nicht möglich. Je mehr wir aber über diese Krankheit wissen, desto eher können wir neue Methoden entwickeln, die den frühen Verlauf darstellen und nach Behandlungen suchen, die das Fortschreiten der Erkrankung möglicherweise verzögern und das Gehirn schützen“, erklärt Oertel.

An drei bereits verstorbenen Patienten konnten die spanischen Neurologen zusätzlich detaillierte neuropathologische Untersuchungen durchführen, die den Verlust von Nervenzellen und die Ansammlung bestimmter Proteinablagerungen (α-Synuklein) in jenen Kernen des Hirnstammes demonstrierten, die beim REM-Schlaf normalerweise Bewegungen unterdrücken. Auch bei typischen Parkinson-Erkrankungen sammeln sich diese Ablagerungen an. Eine zentrale Frage der Wissenschaft ist derzeit, wo dieser Prozess beginnt und nach welchem Muster er abläuft. Deshalb sei es auch besonders wichtig, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen Leiden zu erkennen und zuverlässige Erkennungsmerkmale zu identifizieren, die so genannten Biomarker, betont Oertel: „Mit der nationalen und einer internationalen IRBD-Studiengruppe, die wir mit Sitz in Marburg gegründet haben, sowie mit mehreren Biomarker-Studien an deutschen Zentren, erarbeiten wir Neurologen neue wissenschaftliche Erkenntnisse, um die Versorgung unserer Patienten weiter zu verbessern.“


Quellen

 

  • Iranzo A et al: Neurodegenerative disease status and post-mortem pathology in idiopathic rapid-eye-movement sleep behaviour disorder: an observational cohort study. Lancet Neurol. 2013 May;12(5):443-53. doi: 10.1016/S1474-4422(13)70056-5.
  • Stiasny-Kolster K et al: Combination of ‘idiopathic’ REM sleep behaviour disorder and olfactory dysfunction as possible indicator for α-synucleinopathy demonstrated by dopamine transporter FP-CIT-SPECT. Brain 2005; 128: 126-137.
  • Mahowald MW, Schenck CH. REM sleep behaviour disorder: a marker of synucleinopathy. Lancet Neurol. 2013 May;12(5):417-9.
  • Boeve BF. Idiopathic REM sleep behaviour disorder in the development of Parkinson’s disease. Lancet Neurol. 2013 May;12(5):469-82.

 

 

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 7500 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist die Bundeshauptstadt Berlin.
http://www.dgn.org

 

Weitere Informationen

 

 


 

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), 03.06.2013 (tB).

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