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Sturz als Zeichen von Gebrechlichkeit
Von Dr. M. Runge, Aerpah-Klinik Esslingen-Kennenburg
Altersmedizinischer Hintergrund
Stürze sind alterskorrelierte Ereignisse von großer Häufigkeit und mit schwerwiegenden Folgen. Ca. 30 % aller Älteren über 65 Jahren stürzen einmal oder mehrmals pro Jahr, unter Hochaltrigen und Pflegeheimbewohnern liegt die Sturzquote über 50 %. Mehr als 90 % der proximalen Femurfrakturen (> 120.000 pro Jahr in Deutschland) entstehen bei einem Sturz, ebenso wie ein entsprechender Anteil proximaler Humerus-, Becken- und Radiusfrakturen.
Der alterstypische Sturz ereignet sich bei alltagsüblichen Aktivitäten, in gewohnter Umgebung, ohne Bewusstseinsverlust oder Bewusstseinsveränderung und ohne überwältigende Krafteinwirkung von außen (intrinsischer lokomotorischer Sturz). Stürze im Alter sind keine Unfälle, also keine von außen auf den Menschen einwirkenden Ereignisse, sondern durch strukturelle und funktionelle Veränderungen im Menschen bedingt. Sturzursache ist in der Regel nicht eine einzelne Krankheit, sondern ein interagierendes Bündel von Faktoren. Stürze sind multifaktoriell bedingt. Stürze müssen in den Gesamtkontext des Alterns eingeordnet werden. Sie sind Zeichen dafür, dass neuromuskuläre Fähigkeiten eine kritische Schwelle unterschritten haben. Die Geh- und Balancestörungen der Sturzpatienten könnten bereits vor dem Sturz diagnostiziert werden.
Die neuromuskuläre Defizite entstehen dabei aus drei pathogenetischen Wurzeln: dem physiologischem Alternsprozess, der Multimorbidität und verminderter körperlicher Aktivität. Dabei wirken sich nicht nur Veränderungen des Bewegungsapparates auf Gehen, Balance und Sturzgefahr aus, sondern auch kardiovaskuläre, pulmonale und metabolische Erkrankungen. Die Sturzgefahr ist damit gemeinsame Endstrecke und diagnostisches Spiegelbild des altersassoziierten Gesamtzustandes. Dieser Zustand kritisch verminderter physiologischer Reserven mit erkennbarer Gefahr multipler Dekompensationen wird Frailty-Syndrom genannt.
Sturzrisikoassessment und Diagnostik des frailty-Syndroms (Gebrechlichkeit):
Stürze sind korreliert mit einer definierten Reihe von pathophysiologischen Merkmalen. Ältere Sturzpatienten unterscheiden sich von Älteren ohne erhöhte Sturzgefahr durch eine individuelle Anhäufung dieser Faktoren:
-
verminderte muskuläre Leistung beim Aufstehen aus dem Sitzen (Aufstehtest)
-
verminderte Kontrolle der Körperhaltung zur Seite (Tandemmanöver)
-
klinisch grob veränderter Visus
-
Multimedikation (> 4 verordnete Medikamente)
-
spezifisch sturzkorrelierte Medikamente (Benzodiazepine, Antidepressiva/Tricyclica/SSRIs, Neuroleptica, Antikonvulsiva)
-
dementielle Entwicklungen
(Cummings et al 95, Tinetti et al. 1986, 1988, 1989, 1994; Rubenstein et al 1992, Nevitt et al. 1989, Robbins et al 1989)
Als geeignete neuromuskuläre Untersuchungsverfahren haben sich der Aufstehtest und die Tandemmanöver herausgestellt. Sturzkorrelierte lokomotorische Testverfahren haben sich gleichzeitig als prädiktiv für einen Verlust von Mobilität und Selbstpflegefähigkeit in den kommenden vier Jahren erwiesen.
(Guralnik et al 1995)
Die hohe Bedeutung des lokomotorischen bzw. neuromuskulären Status für die Diagnostik der Gebrechlichkeit zeigt auch die vielfach diskutierte Liste der Frailty-Merkmale, wie sie von Fried und Kollegen zusammengestellt wurden (Fried et al 2001). Danach wird Gebrechlichkeit an folgenden Merkmalen erkannt:
-
unfreiwilliger Gewichtsverlust
-
Erschöpfung
-
Muskelschwäche (Griffstärke)
-
verlangsamte Gehgeschwindigkeit
-
verminderte körperliche Aktivität
Therapeutische Schlussfolgerungen
Die Identifizierung und Quantifizierung von Sturzrisikofaktoren und Gebrechlichkeitsmerkmalen ist Basis für gezielte Interventionen, die auf das individuelle Risikoprofil abgestimmt sind. Mit multifaktoriellen Interventionen ist es gelungen, die Sturzhäufigkeit signifikant zu senken (Tinetti et al 1994, Close et al 1999). Motorisch-funktionelle Trainingsverfahren, die neuromuskuläre Leistungen verbessern (z. B. Tai Chi, Muskeltraining, Balancetraining, vibratorische Muskelstimulation mit dem Galileo-System) sind deshalb präventiv und rehabilitativ von zentraler Bedeutung für die Selbständigkeit im Alltag, die Lebensqualität, sowie die Belastung der Familien und des Gesundheitssystems insgesamt.
Zunehmend in den Fokus von Forschung und klinischer Praxis rückt die Frage, ob Muskelfunktionen durch pharmakologische Interventionen verbessert werden können. Hier liegen verheißungsvolle Daten zu den D-Hormonanaloga (Alfacalcidol, Calcitriol) vor, die auf der einen Seite die Knochenfestigkeit, sowie andererseits neuromuskuläre Funktionen verbessern und Sturzgefahr vermindern können (Gallagher et al. 2001, Dukas et al 2004 und 2005, Schacht et al 2005).
Bei den Bewegungsprogrammen zur Verbesserung von Muskelfunktionen und Sturzgefahr ergibt sich das Problem der anhaltenden Compliance. Wie ist es möglich, größeren Bevölkerungsgruppen nachhaltig geeignete Bewegungsprogramme zu vermitteln? In der Aerpah-Klinik Esslingen wurden in den vergangenen Monaten mehr als 50 Freiwillige zu Übungsleitern geschult und dazu qualifiziert, in Eigenregie, meist in Anbindung an Vereine und Gemeinden, Übungsgruppen für osteoanabole und sturzpräventive Bewegungsprogramme aufzubauen (Senior-fit-Netzwerk als Initiative des Fördervereins pro Quarto, Esslingen). Sie schulen und begleiten ein Bewegungsprogramm („Fünf Esslinger“), das sich in prospektiven Studien als wirkungsvoll zur Verbesserung von Sturzrisikofaktoren erwiesen hat, und das in ein lokomotorisches Assessment eingebettet ist, mit dem der individuelle Verlauf der Muskelfunktionen und Lokomotion kontrolliert werden kann.
Korrespondenzadresse
Dr. M. Runge
Aerpah-Klinik Esslingen
Kennenburger Str. 63
73732 Esslingen
Tel. 07113905326
Fax 07113701643
E-Mail: mrunge@udfm.de