Vom Minuten-  zum Sekundentakt

Die neue Begutachtungsrichtlinie 2009 – eine Verhöhnung  für die Pflegebedürftigen durch Leistungskürzungen?

 

Hamburg (11. August 2009) – Am 8.6.2009 sind die neuen Begutachtungsrichtlien in Kraft getreten. Entgegen der Darstellung des MDS haben sich wesentliche Änderungen ergeben. Mit der am 8.6.2009 in kraft getretenen Überarbeitung der Begutachtungsrichtlinien ist es dem GKV-Spitzenverband  gelungen, eine Sparmaßnahme zu verwirklichen.
Die Richtlinien sollen bundesweit für eine Begutachtung nach einheitlichen Kriterien sorgen und so die Qualität der Gutachten des MDK, durch die Pflegebedürftigkeit festgestellt wird, sicherstellen. Diese Regeln werden in Abständen an Erkenntnisse der Pflegewissenschaft, der Medizin und der Rechtsprechung angepasst, in der aktuellen Fassung ist es gelungen, durch eine kleine Änderung grosse Einsparungen zu bewirken.

In der bisher gültige Fassung der BRi 2006 ist festgehalten:
Der Hilfebedarf ist für jede Verrichtung der Grundpflege stets in vollen Minuten anzugeben.
Der kleinste Zeitwert einer Hilfeleistung ist also 1 Minute. Zur Verdeutlichung: Einem Pflegebedürftigen mit rechtsseitiger Hemiplegie, der einen täglichen Bedarf von 20 Transfers hatte, dem wegen Dehydrationsgefahr auch ausserhalb der Mahlzeiten pro Tag 4x Getränke eingeschenkt werden mussten und der beim Gehen in der Wohnung im Verlauf des Tages 20x Unterstützung bekam, wurden bei der Feststellung nach den alten BRi 2006 für 44 Verrichtungen je 1 Minute, insgesamt also ein Hilfebedarf von 44 Minuten zuerkannt.

Die aktuellen Richtlinien 2009 ergänzen den obigen Absatz folgendermaßen: der Zeitaufwand für die jeweilige Verrichtung der Grundpflege ist pro Tag, gerundet auf volle Minuten anzugeben. Dabei erfolgt die Rundung nur im Zusammenhang mit der Ermittlung des Gesamtzeitaufwands pro Tag und nicht für jede Hilfeleistung, deren Zeitaufwand weniger als eine Minute beträgt (z. B. Schließen des Hosenknopfes nach dem Toilettengang 6 mal täglich zusammen 1 Minute).

 

Die einzelne Hilfeleistung wird nun in Sekunden erfasst. Für den oben genannten Pflegebedürftigen bedeutet dies, dass sein Hilfebedarf um ca. 20 Minuten geringer bewertet wird. In der Praxis kann dies bedeuten, dass er als nicht erheblich pflegebedürftig eingestuft wird und ihm damit Leistungen der Pflegeversicherung versagt werden.

Das gewählte Beispiel "Schließen des Hosenknopfes" enthüllt ein mechanistisches Menschenbild, dem ein reduktionistischer Ansatz zugrunde liegt. Dieses Beispiel kaschiert den Klartext: Die Pflege wird jetzt in Sekunden bemessen.

Bei jeder Verrichtung muss die Vor- und Nachbereitung berücksichtigt werden. Um bei dem unsäglichen Beispiel zu bleiben: Bevor die Pflegeperson den Knopf öffnen kann, muss sie sich zum Pflegebedürftigen begeben, nachdem die Hose wieder zugeknöpft ist, kehrt die Pflegeperson in ihre Ausgangsposition zurück. Der Zeitaufwand für diese Vor- und Nachbereitungen ist natürlich sehr unterschiedlich, in der bisherigen Regelung, Hilfeleistungen dieser Kategorie quasi zu pauschalisieren, wurde diesem Umstand Rechnung getragen.

In §28 Abs. 4 des SGB XI findet sich der Passus: Um der Gefahr einer Vereinsamung des Pflegebedürftigen entgegenzuwirken, sollen bei der Leistungserbringung auch die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen nach Kommunikation berücksichtigt werden.
Genau zu Lasten dieses Bereiches geht die genannte Regelung. Bedauerlich ist, dass kostensparende Maßnahmen dieser Art die Pflegebedürftigen treffen, deren Zeit und Mittel, sich dagegen zu wehren, beschränkt sind.

Diese zeitreduzierende Anordnung in der neuen Fassung der BRi 2009 ist nicht auf Grund neuer Erkenntnisse der Pflegewissenschaft, der Medizin oder der Rechtsprechung eingeführt worden, sondern als kostensparende Maßnahme.

Die Ankündigung auf der Website des MDS vom 10.8.2009, es habe sich im Kern wenig geändert und die Überarbeitung bringe nur Veränderungen in Details, ist, wenn nicht irreführend, zumindest unverständlich.

 


 

Quelle: Pressemitteilung von Maria Penzlien und Christine Schmidt, ISP- Institut für Sachverständige in der Pflege in Hamburg (11.08.2009), www.ISP-Hamburg.com (tB).

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