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Frühdiagnose Alzheimer Demenz
Konsequenzen für Patient und Versorgung
Dr. med. Ingo Füsgen
„Demenz ist vielleicht die schrecklichste Manifestation des Alterns, sie löst unerbittlich all das aus, was uns als Individuum und Mensch ausmacht", so das Titelthema der 372. Ausgabe der Zeitschrift Lancet 2008. Als Kehrseite der steigernden Lebenserwartung nimmt die Demenz als typisch altersabhängige Krankheit zu. Es handelt sich dabei um die für unsere Gesellschaft bedeutendste altersabhängige Krankheit des demographischen Wandels, da es eine progrediente Erkrankung mit negativem Krankheitsimage und erheblichen sozialen und ökonomischen Konsequenzen ist. Dabei ist festzustellen, dass die endgültige Ursache, z.B. der Alzheimerdemenz, unbekannt ist.
Der Diagnostik kommt wie bei allen schwerwiegenden Krankheiten eine besondere Bedeutung zu. Einig ist man sich auch: je früher die Diagnose gestellt wird, desto erfolgreicher kann die Therapie erfolgen. In diesem Sinne wurde gerade die S3‑Leitlinie „Demenzen" von den medizinischen Fachgesellschaften verabschiedet, die zur Diagnostik exakt und ausführlich Stellung nimmt. Angesprochen wird auch der Ausdruck „Frühdiagnostik". Allerdings ist in diesen Ausführungen nicht deutlich, ob die Frühdiagnostik auch die vorklinische Phase mit einbezieht.
Vorklinische Phase
Unter vorklinischer Phase verstehen wir die Vorlaufzeiten bis zum Auftreten klinischer Symptome, ein Zeitraum bei der Alzheimer‑Demenz von ca. 30 Jahren. Die vorklinische Phase betrifft die primäre Prävention, die durch die direkte Beeinflussung der pathogenetischen Mechanismen, z.B. Blockade der alzheimertypischen Amyloid‑Kaskade und der neurofibrillären Degeneration (z.B. „Alzheimer‑Impfung" medikamentöse Neuroprotektion) gekennzeichnet sein könnte (Abb.1). Dies wäre der einfachste und erfolgreichste Weg, das Auftreten einer Demenz zu verhindern und dadurch ihre Inzidenz zu reduzieren. Von einer Reihe von Substanzen haben wir zumindest im Tierversuch Hinweise, dass eine Neuroprotektion vielleicht möglich ist. Beispielhaft sei hier die Substanz Memantine angeführt. Im Tiermodell schützt Memantine vor Exzitotoxizität und Beta‑Amyloid induzierten Veränderungen, verringert die TauPhosphorylierung, steht der Abnahme der Acetylcholinspiegels entgegen, verhindert mitochondriale Funktionsstörungen und ist antientzündlich. Es handelt sich wie angesprochen um Ergebnisse aus Tierversuchen, aber sie bedeuten Hoffnung, vielleicht doch in absehbarer Zeit einen Einstieg in die Neuroprotektion zu finden (Abb 1).
Für die rasche Umsetzung in der Prävention bzw. Verzögerung der Erstmanifestation wird es möglicherweise wichtig sein, Risikofaktoren gezielt zu modifizieren. Dazu zählen eine gesunde Lebensweise und damit verbundene mögliche Einflüsse auf Stoffwechselvorgänge des Körpers. Epidemiolgische Studien haben zu Erkenntnissen über eine ganze Reihe von Risikofaktoren für die Demenz geführt. Neben seit langem bekannten Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes mellitus, Arteriosklerose,
Nikotinabusus, Hyperlipidämie oder ein voraus gegangenes Schädel‑Hirn‑Trauma werden immer wieder neue Risikofaktoren diskutiert (z.B. abdominale Adipositas). Die Erfahrungen bei anderen chronischen Erkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus lassen aber manche geforderte Lebensstiländerung bezüglich eines Erfolges hinterfragen. So bleibt wahrscheinlich nur die medizinische Möglichkeit übrig, auch wenn diese vermutlich nur von einem Teil der Betroffenen in Anspruch genommen werden dürfte.
Wenn man also erfolgreich in der vorklinischen Phase präventiv tätig werden will, dann müssen alle gefährdeten Menschen in Form einer „Frühdiagnose" erfaßt werden, denn unser Gesundheitssystem wird eine notwendige lang dauernde medikamentöse Therapie bzw. Maßnahme nicht leisten können. Klinische Auffälligkeiten wird es in der vorklinischen Phase nicht geben; es stellt sich hier die Frage, ob strukturelle und funktionelle Bildgebung bzw. biochemische Messungen im Liquor vielleicht diagnostisch in dieser vorklinischen Phase der Demenzkrankheit helfen können.
Isolierte kognitive Störungen
Seit ca. 15 Jahren wird über isolierte kognitive Defizite als Vorstufe einer Demenz diskutiert. Sicher ist, dass ein Teil der mit leichten kognitiven Defiziten Betroffenen in den kommenden Jahren zum Krankheitsbild der Demenz wird. Als Prädiktor für eine zukünftige Konversion einer leichten kognitiven Störung in eine Alzheimer‑Demenz wird eine Diskrepanz zwischen Eigen‑ und Fremdbewertung funktioneller Defizite (ADL) angenommen. Dies bedeutet, dass man diese Patientengruppe einer frühzeitigen Diagnostik zuführen könnte, wobei man die derzeitigen Erkenntnisse in der strukturellen und funktionellen Bildgebung, sowie die möglichen biochemischen Messungen im Liquor mit einbeziehen könnte. Dabei ergeben sich aber eine Reihe von offenen Fragen.
Ein möglicher Hinweis auf Konversion in eine Alzheimerkrankheit sagt noch nichts über den Zeitpunkt des Auftretens und des Verlaufes aus. Es würden sich erhebliche Kosten aufgrund der großen Zahl von Betroffenen für das Gesundheitswesen ergeben. Nicht vergessen darf man dabei die Stigmatisierung des Betroffenen und die vorliegenden Studien zeigen, dass die Demenz‑Diagnostik (unabhängig davon, ob sie den eigenen Verdacht bestätigt oder nicht) ein Gefühl der existenziellen Bedrohung auslöst und die Identität in Frage stellen kann. Es werden Gefühle wie Schock, Ärger, Angst, Horror, Depression und Unglaube berichtet. Die Frühdiagnose kann auch das Bewusstsein für persönliche Beschränkungen steigern mit der Folge, dass die bisherigen Altersaktivitäten eingeschränkt und das Selbstvertrauen gemindert wird. In der postdiagnostischen Phase kommen die gegenwärtig erlebten und die künftig erwarteten Verluste deutlich zum Vorschein. In den vorliegenden Studien werden sehr viele Verlusterfahrungen, insbesondere im kognitiven Bereich, berichtet. Verlusterfahrungen sind bei Demenzkranken sehr zentral und wirken sich auf die Befindlichkeit (Depression) und auf das Verhalten (Aggression, Rückzug) aus. Sowohl Diagnostik als auch die daran anschließende Aufklärung sind also im Einzelfall zu überlegen und sehr sorgfältig zu prüfen.
Auftreten – klinische Diagnosekriterien nach ICD‑10
In den S3‑Leitlinien „Demenzen" (2009) wurde noch einmal verdeutlicht, dass „eine frühzeitige syndromale und ätiologische Diagnostik Grundlage der Behandlung und Versorgung von Patienten mit Demenzerkrankungen und deshalb allen Betroffenen zu ermöglichen ist". Ohne eine entsprechende Diagnostik ist es unmöglich den von Demenz Betroffenen und seine Angehörigen im Krankheitsverlauf zu begleiten und therapeutische Maßnahmen umzusetzen. Natürlich sind die Therapiemöglichkeit in erster Linie auf den Verlauf und die Symptomatik ausgerichtet und nicht ‑ wie es wünschenswert wäre ‑ auf die ursächliche Behandlung. Bei der Therapie muss es sich auch immer um ein sehr komplexes Angebot handeln, dass aus psychosozialen und medikamentösen Maßnahmen besteht. Die S3‑Leitlinie hat hier für die medikamentöse Therapie eindeutig Stellung genommen und Memantine und die Acetylcholinesterase‑Hemmer empfohlen.
Für den Bereich der allgemeinen Medizin ergeben sich allerdings viele Gründe, einem Demenzverdacht nicht nachzugehen. Dies kann daran liegen, dass Patienten und Angehörigen die kognitiven Defizite als altersgegeben ansehen und von vornherein jede therapeutische Maßnahme ablehnen. Auch eine bestehende Multimorbidität mit einer Polymedikation kann eine Ursache sein, auf eine Demenzabklärung zu verzichten. Nicht vergessen darf man, dass eine Demenzdiagnose auch eine Stigmatisierung des Patienten und im ländlichen Bereich vielleicht auch der Familie bedeuten kann. Viele Patienten können schlecht mit der Diagnose Demenz umgehen und lehnen sich gegen das „Erfahren der Wahrheit" auf. Aus größeren Studien wissen wir, dass eine Demenzdiagnose zu einem längeren Verarbeitungsprozess führt, der mit Verleugnung beginnen und mit der Akzeptanz einer schmerzlichen Wahrheit enden kann. Auch an dieser Stelle ist zu betonen, dass Demenzdiagnostik und auch die postdiagnostische Phase für den Demenzkranken nicht unbedingt immer förderlich ist.
Besonderheiten des Demenz‑Dialoges
Wie bei allen fortschreitenden Krankheitsbildern stellt die Vermittlung der Diagnose Demenz für den behandelnden Arzt eine herausfordernde Situation dar. Dem Patienten muss die Problematik der Demenzerkrankung vermittelt werden, ohne dass ihm die Hoffnung auf noch lebenswerte Tage genommen wird und man ihm in seinen Gefühlen und Verhalten mehr schadet als nützt. Bei Bedarf werden hier Weiterbildungen angeboten, z.B. vom Demenz‑Servicezentrum NRW.
Die Gesprächsvorbereitung, die eigene Einstellung, die Informationen, die man vermittelt, sowie der Verlauf des Gespräches bedeuten für den Patienten viel. Für den Arzt erhöht sich dabei die Kompetenz gegenüber dem Demenzpatienten und den Angehörigen und dies erleichtert auch zukünftig die Betreuung. In der Vorbereitung erscheint es sinnvoll, sich eine Art Checkliste zu erstellen, welche medizinischen Therapieoptionen und welche unterstützenden Begleitmaßnahmen den Betroffenen bzw. seinen Angehörigen vorgeschlagen werden können. Mit einer solchen Checkliste kann der Arzt das Gespräch besser strukturieren und dadurch zeitlich straffen. Durch das „Abhaken" der Checkliste verdeutlicht der Arzt auch Sicherheit gegenüber dem Patienten und den Angehörigen, seine Klarheit wird viele Nachfragen überflüssig machen. Insofern werden alle an dem Gespräch Beteiligten mehr Zufriedenheit spüren.
Abbildungen
Abb. 1: Pathophysiologische Mechanismen der Alzheimer-Demenz.
Abb. 2: Wirkprinzip Memantine – Glutamaterge Neuroprotektion.
Quelle: 32. Workshop des Zukunftsforums Demenz (Merz Pharmaceuticals) am 22.02.2010 in Mainz.