Nekrotisierende Pankreatitis. Photo: Uniklinik UlmErhöhtes Risiko für Bauchspeicheldrüsenentzündung durch neuere Diabetes-Medikamente ?

 

Aktuelle Zahlen von der Datenbank der Amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA weisen auf ein gesteigertes Risiko für Pankreatitis und Pankreaskarzinom mit „Inkretin-basierten“ Therapieformen hin

 

Regenstauf (7. März 2011) – Seit einigen Jahren setzen Ärzte zur Behandlung des Typ-2-Diabetes vermehrt Medikamente ein, die auf einem körpereigenen Hormon, einem im Darm gebildeten „Inkretin“ basieren. Dieses „Glukagon-ähnliche Peptid“ GLP-1 kann entweder in abgewandelter Form unter die Haut injiziert werden. Es gibt aber auch Hemmstoffe in Tablettenform, die den Abbau des im eigenen Körper gebildeten GLP-1 unterdrücken, was die Wirkung des körpereigenen GLP-1 verlängert. GLP-1 setzt noch vorhandenes, körpereigenes Insulin frei und unterdrückt gleichzeitig das blutzuckersteigernde Glukagon.

Dadurch senkt es den Blutzuckerspiegel in den Normbereich. „Das Besondere bei den GLP-1-basierten Therapieformen ist, dass diese für sich nicht zu den vielfach gefürchteten Unterzuckerungen, den Hypoglykämien führen und es zu keiner Zunahme, mit den GLP-1-Analoga sogar zu einer Gewichtsabnahme kommt“, erklärt Professor Helmut Schatz, Bochum, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Eine aktuelle Analyse der Datenbank der Amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA weist jetzt auf die Möglichkeit zwar seltener, aber ernstzunehmender Nebenwirkungen dieser neuen Medikamentengruppe hin.

 

Als GLP-1-Analoga sind in Deutschland Exenatid (Byetta®) und Liraglutid (Victoza®) zugelassen, als Hemmstoffe des Enzyms Dipeptidylpeptidase-4, als „DPP-4-Inhibitoren“ das Sitagliptin (enthalten in den Präparaten Januvia®, Xelevia®, Janumet®, Velmetia®), Vildagliptin (Galvus®, Jalra®, Eucreas®, Icandra®) und Saxagliptin (Onglyza®).

 

Wie jedes wirksame Medikament weisen diese Substanzen auch Nebenwirkungen auf: So wurden vereinzelt Entzündungen der Bauchspeicheldrüse gesehen. Darauf wird auch in den Packungsbeilagen von Medikamenten aus dieser Gruppe hingewiesen. In einem Kommentar im Organ der Europäischen Diabetesgesellschaft „Diabetologia“ im Januar-Heft 2010 besprachen Peter Butler und seine Gruppe die Möglichkeit von Pankreatitiden, das sind Entzündungen der Bauchspeicheldrüse, durch GLP-1-basierte Therapien. Sie gaben zu bedenken, dass eine symptomlose, unbemerkte chronische Pankreatitis längerfristig zu ernsten Schädigungen dieser Drüse einschließlich Krebs führen könnte. Jetzt liegt eine Analyse der Nebenwirkungsdatenbank der FDA, der amerikanischen „Food and Drug Administration“, von der gleichen Gruppe (Elashoff et al.2011) vor, publiziert im Februarheft 2011 der Zeitschrift „Gastroenterology“ (online am 17.2.2011). Retrospektiv wurden die bei der zuständigen Behörde (FDA) eingegangenen Nebenwirkungsmeldungen unter Exenatid und Sitagliptin von 2004 bis 2009 ausgewertet. Als Vergleichsgruppe dienten Patienten mit Typ-2-Diabetes unter vier anderen Diabetesmedikamenten: Rosiglitazon, Nateglinid, Repaglinid und Glipizid (ein Sulfonylharnstoff, der in Deutschland nicht im Handel ist). Unter Exenatid und Sitagliptin wurde ein sechsfach erhöhtes Risiko beobachtet, eine Bauchspeicheldrüsenentzündung zu erleiden. Die Wahrscheinlichkeit für ein Pankreaskarzinom, für Schilddrüsenkrebs oder andere Krebsformen wurde ebenfalls gesteigert gefunden.

 

Die Aussagekraft retrospektiver Analysen aus Datenbanken ist begrenzt, worauf die Autoren selbst hinweisen. Solche Daten beruhen auf freiwilligen Berichten an die Behörden und können somit ein verzerrtes Bild ergeben („reporting bias“). Auch kann man dabei weitere Risikofaktoren für Pankreatitis und Krebs wie zum Beispiel Güte der Stoffwechseleinstellung (HbA1c) oder Übergewicht (body mass index BMI) nicht berücksichtigen. Zufolge dieser Einschränkungen lassen sich bei derartigen Studien zwar Assoziationen aufzeigen, grundsätzlich aber keine ursächlichen Zusammenhänge beweisen. „Die neuen Studienergebnisse der Gruppe um Peter Butler stehen auch im Gegensatz zu anderen Analysen, so einer Datenauswertung von über 780.000 Patienten (Garg et al. 2010), die weder für Exenatid noch für Sitagliptin ein höheres Pankreatitis-Risiko ergeben hatte als unter anderen Diabetesmedikamenten“, so Schatz.

 

Zusammenfassend muss ein möglicher Zusammenhang zwischen inkretinbasierten Therapieformen und Pankreatitis sowie Krebs sorgfältig beachtet, überwacht und weiter untersucht werden. Eine Therapie mit GLP-1-Analoga oder DPP-4-Hemmern soll nicht ungezielt und breit, sondern immer nur entsprechend der Zulassung und leitliniengerecht erfolgen. Patienten sollen diese Therapie keinesfalls selbst absetzen, sondern sich mit ihrem Arzt besprechen.

 

 

Quellen

 

  • Elashoff M, Matveyenko AV, Gier B, Elashoff R, Butler, PC: Increased incidence of pancreatitis and cancer among patients given glucagon like peptide- based therapy.
    Gastroenterology, online 17 Feb 2011.

 

  • Butler PC, Matveyenko AV, Dry S, Bhushan A, Elashoff : Glucagon-like peptide-1 therapy and exocrine pancreas: innocent bystander or friendly fire?
    Diabetologia 2010. 53:1 – 6

 

  • Garg R, Chen W, Pendergrass M: Acute pancreatitis in type 2 diabetes treated with exenatide or sitagliptin: a retrospective observational pharmacy claim analysis.
    Diabetes Care, 2010. 33: 2349-2354. online 3 Aug 2010

 

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), 07.03.2011 (tB).

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…