„Schlaf-Wach-Rhythmus“

 

Interview mit Prof. Eckart Rüther, Göttingen

 

Prof. Eckart RütherHerr Professor Rüther, die Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus im Körper ist ein ausgefeiltes System. Wie funktioniert dieses System?
Kassel (17. Oktober 2008) – Der Zeitpunkt des Schlafes und seine Dauer werden durch einen homöostatischen und einen zirkadianen Prozess reguliert. Der homöostatische Prozess, der „Schlafdruck“, baut sich tagsüber auf, um ab einer bestimmten „Druckstärke“ durch Schlaf abgebaut zu werden. Sein organisches Korrelat ist noch nicht geklärt, vermutet wird aber ein Zusammenhang mit der Aminosäure Adenosin, die sich während der Wachperioden im Gehirn anreichert. Der zirkadiane Prozess oszilliert in einem Rhythmus von ca. 24 Stunden, getaktet durch den Nucleus suprachiasmaticus (SCN), unsere sogenannte „innere Uhr“, im Hypothalamus. Zu den Wachzeiten „funkt“ der SCN „Wachsignale“ und drosselt währ­end der Schlafphasen seine Aktivität stark. Seine Abstimmung auf den äußeren Tag-Nacht-Wechsel erfolgt mittels Auswertung der Lichtreize und durch das Neurohor­mon Melatonin: Das Signal „Dunkelheit“ wird ihm von der Netzhaut zugeleitet,  worauf er im Corpus pineale die Melatoninproduktion  und -ausschüttung anregt. So wird das Signal „Dunkelheit“ an alle Körperzellen weitergegeben. Umgekehrt unterdrückt Melatonin im Sinne einer Rückkopplung zusätzlich die „Wachsignale“ des SCN. Melatonin vermittelt außerdem zwischen dem homöostatischen Schlafdruck und dem zirkadianen Rhythmus, indem es dem Schlafdruck erlaubt, sich durchzusetzen.

 

Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus – wie stellen sich diese dar und wie entstehen sie?

Betroffene zeigen ein Verhalten, das mit dem äußeren 24-h-Rhythmus nicht übereinstimmt: Sie schlafen, wenn sie wach sein sollen, aber zu den üblichen Zeiten schlafen sie ungenügend oder gar nicht. Diese Störungen entstehen durch eine mangelnde Synchronisation der inneren Uhr mit den äußeren Lebensbedingungen. Eine unzureichende Empfindlichkeit für synchronisierende äußere Reize kann die Ursache sein, aber auch einfach zu wenig Reizeinwirkung, wie beim Schichtarbeiter-Syndrom oder beim „Jetlag“ nach Langstreckenflügen. Bei chronischer Insomnie kann eine gestörte Schlaf-Wach-Regulation auf neuroendokriner Ebene als störungserhaltender Mechanismus angenommen werden. Die Melatoninsekretion ist dabei ein Maß für die Rhythmik des SCN, der inneren Uhr. Im Alter steigt zudem das Risiko für Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen, da die körpereigene Produktion von Melatonin nachlässt. Studienergebnisse zeigen, dass ältere Menschen mit Schlafstörungen tatsächlich noch stärker erniedrigte Melatonin­spiegel aufwiesen als Gesunde gleichen Alters.

 

Welche biochemischen Marker finden sich bei chronischen Schlafstörungen?
Eine chronische Schlafstörung, die nicht Folge einer definierten Krankheit ist, wird als primäre Schlafstörung oder auch „psychophysiologische Insomnie“ bezeichnet. Dabei kommt es zu einem „Circulus vitiosus“ aus einer Übererregtheit, dem „Hyperarousal“, sowie aus der Schlaf­störung und der Tagesbeeinträchtigung. Zwei endogene Hormone spielen hier eine Rolle: Kortisol und Melatonin.

 

Zur Rolle von Kortisol:
Bei schweren Insomnien mit erheblichen Durchschlafstörungen fand man signifikant erhöhte Kortisolkonzentrationen sowohl am Abend als auch in der Nacht. Durch die Belastungssituation „Schlafstörung“ kann es zu einem „Hyperarousal“ mit einer anhaltenden Bereitschaft zur ständigen Stressreaktion kommen – insofern ist der hohe Kortisolspiegel ein Zeichen für das „Nicht-Abschaltenkönnen“. Unter­suchun­gen zeigen, dass die Höhe des abendlichen Kortisolspiegels mit der Anzahl der nächtlichen Wachvorgänge korrelierte. Durch die hohe Kortisolsekretion in der ersten Nachthälfte werden weitere Schlafparameter bei Insomniepatienten verändert, wie Schlaflatenz, Anzahl der Weckvorgänge, Wachzeit, Schlafeffizienz und REM-Zeit.

 

Zur Rolle von Melatonin:

Da Melatonin der Taktgeber für die zirkadiane Rhythmik ist, zeigt ein erniedrigter Spiegel eine verminderte Amplitude dieses Rhythmus an: Die unzureich­ende Sekretion spiegelt eine geschwächte Rhythmus­generierung durch den SCN. Verminderte Melatoninspiegel finden sich beispielsweise im Alter, aber auch bei depressiv Erkrankten. In beiden Gruppen werden überdurchschnittlich häufig Schlafstörungen beobachtet. Ein erniedrigter nächtlicher Melatoninspiegel bei normaler oder sogar erhöhter Sekretion tagsüber fand sich bei mittelalten und älteren Insomniepatienten. Auch jüngere bis mittelalte Patienten, die mindestens fünf Jahre unter objektivierbaren Schlafstörungen litten, zeigten laut Studiendaten eine verminderte nächtliche Melatoninproduktion. Erniedrigte nächtliche Melatoninspiegel scheinen daher auch ein Ausdruck der Chronifizierung einer Schlafstörung zu sein. Diese hormonelle Veränderung hält ihrerseits den „Circulus vitiosus“ der Schlafstörung weiter aufrecht, da Melatonin schlafanstoßend im Sinne einer verbesserten Synchronisierung wirkt.

 

Ältere Menschen leiden häufiger unter Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus – kann man das neurobiologisch erklären?
Die endogene Melatoninsekretion lässt im Alter nach. Dies muß nicht zu Schlafstörungen führen, aber das Risiko dafür steigt. Entsprechend hat man in Studien bei älteren Insomnikern auffallend niedrige Melatonin­spiegel gefunden – noch niedriger als die von gesunden Personen gleichen Alters. Ältere, die nicht mehr am Arbeitsleben teilnehmen, neigen auch zu falschem Schlafverhalten: Nachmittägliche Nickerchen zum Beispiel führen zu einer reduzierten Müdigkeit abends. Trotzdem wird früh zu Bett gegangen, mit der Folge einer verlängerten Einschlafzeit. Auch reduzierte körperliche und geistige Aktivität kann zu einer mangelnden Müdigkeit im Alter führen – alles Faktoren, die das Risiko von Schlafstörungen weiter verstärken.

 

Schlafmediziner sprechen bei chronischer Insomnie von einer „Fragmentierung der Schlafarchitektur“. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Der Schlaf des gesunden Menschen folgt einem fest vorgegebenen Schema – der Schlafarchitektur. Dabei laufen mehrere Schlafzyklen mit definierten Anteilen aus Leicht – und Tiefschlaf- sowie REM-Schlaf-Phasen ab. Der Tiefschlaf ist wichtig für die körperliche Erholung. An den REM-Schlaf sind Lernprozesse, emotionale Erinnerungen sowie die Verarbeitung von unbewussten affektiven Vorgängen im Sinne einer „Traumhygiene“ gekoppelt. Den Ablauf der Schlafphasen kann man im Schlaflabor mittels Elektrookulografie, EEG und EKG bestimmen und als „Hypnogramm“ abbilden. Beim chronischen Insomniker zeigt die elektrische Hirnaktivität durchgängig höhere Frequenzen – mehr in Richtung Wachzustand. Zudem lassen sich aus allen Schlafstadien heraus länger anhaltende, nächtliche Aufwachvorgänge, sogenannte „Arousals“, abbilden. Es kommt zu weniger Tief – und REM-Schlaf. Die häufigen „Arousals“ zerhacken den Schlaf – statt kontinuierlichem lässt sich ein fragmentierter Schlaf abbilden.

 

Warum ist diese Fragmentierung so folgenreich für die Betroffenen?
Das Gefühl des Erholtseins nach dem Schlaf korrelierte laut Studienergebnissen negativ mit dem Anteil der „Arousals“ während der Nacht, d. h. durch den gestörten Ablauf des Schlafes kann der Körper anscheinend nicht die notwendige Erholung finden. Zudem kann die Störung des REM-Schlafes, der eine Bedeutung für Lernen und Emotionsverarbeitung hat, kognitive und psychische Beeinträchtigungen begünstigen.

 

Demnach wäre das Therapieziel eine Normalisierung des Schlaf-Wach-Rhythmus und der Schlafarchitektur. Wie kann exogen zugeführtes Melatonin dabei helfen?

Bei Melatoninmangel verflacht sich die Amplitude des Schlaf-Wach-Rhythmus, die durch den SCN, der inneren Uhr, generiert wird. Durch exogene Melatoninzufuhr kann dieser innere Taktgeber wieder zum „Schwingen“ gebracht werden, d. h. eine Amplitudenverstärkung durch Melatonin in der Nacht verbessert bei fortgesetzter Einnahme auch den Übergang zum Tag und so längerfristig die Gesamtrhythmik des Tag-Nacht-Wechsels. Das zugeführte Melatonin übernimmt also wieder das „Finetuning“, mit dem der innere Rhythmus des SCN auf die tatsächlichen Umweltbedingungen von Tag und Nacht abgestimmt wird.
Wie wichtig eine gesunde Schlafarchitektur für die Erholsamkeit des Schlafes ist, wurde bereits erläutert. Leider haben viele Benzodiazepine und Benzodiazepinrezeptor-Agonisten den Nachteil, dass sie den Schlaf „erzwingen“. Dabei stören sie die Schlafarchitektur, indem sie den wichtigen Tief- und REM-Schlaf unterdrücken. Melatonin hat hingegen keinen negativen Einfluss auf die Schlafarchitektur – ein gesunder Ablauf der Schlafzyklen bleibt möglich.

 

Melatonin findet sich z. B. als Inhaltsstoff von in den USA frei verkäuflichen Nahrungsergänzungsmitteln. Wodurch kann Circadin® sich von diesen Präparaten abgrenzen?

Am Abend startet die Sekretion von endogenem Melatonin und steigt dann kontinuierlich an, um in der Mitte der Nacht ein Plateau zu erreichen. Gegen Morgen fallen die Melatoninspiegel wieder ab. Die in einigen Ländern als Nahrungsergänzungsmittel frei verkäuflichen, kurz wirksamen Melatonin-Präparate erreichen dagegen schon 20 bis 30 Minuten nach der Einnahme maximale Plasmalevel. Sie werden aufgrund ihrer kurzen Halbwertszeit von 40 bis 50 Minuten rasch meta­bolisiert und eliminiert. Das Ziel, über die Nacht adäquate Melatonin­spiegel aufrecht zu erhalten, kann so nicht erreicht werden. Circadin® um­geht durch seine Retardformulierung eine schnelle Clearance, da es Melatonin über längere Zeit in den Gastro­intestinaltrakt freisetzt. So kommt Circadin® dem Sekretionsmuster des körpereigenen Hormons sehr nahe: anstei­gende Plasmaspie­gel kurz vor dem Zubettgehen, hohe Werte während der Nacht und abfallende Werte zum Morgen.

 

Die bisherigen verschreibungspflichtigen Schlafmittel zielen auf eine Verlängerung der Schlafdauer bzw. eine Verkürzung der Einschlafzeit. Was unterscheidet Circadin® von ihnen?
Aktuelle Insomnie-Leitlinien betonen die Bedeutung des erholsamen Schlafes und damit die der Schlafqualität. Ein qualitativ hochwertiger Schlaf zeichnet sich durch das Gefühl des Erholtseins und Wachseins am Folgetag aus – dabei ist die Schlaflänge nicht das entscheidende Kriterium. Die wichtigste Frage an den Patienten lautet nicht „Wie lange haben sie geschlafen?“, sondern „Wie ging es Ihnen tagsüber?“. Eine erfolgreiche Insomniebehandlung sollte demnach die Schlafqualität und die Tagesbefindlichkeit verbessern. Für die Zulassungsstudien von Circadin® wurden diese Therapieziele zu Grunde gelegt und es wurde in Rücksprache mit der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMEA) ein entsprechendes Studiendesign, das einen Nachweis der Verbesserung dieser Parameter zeigen kann, erstellt. Circadin® ist nun das erste zugelassene Schlafmittel, für das in umfangreichen, placebokontrollierten, klinischen Studien eine signifikante Verbesserung der Schlaf­qualität sowie der morgendlichen Wachheit nachgewiesen werden konnte. Circadin® wurde zugelassen als Monotherapie für die kurzzeitige Behandlung der primären, durch schlechte Schlafqualität gekennzeichneten Insomnie bei Patienten über 55 Jahre.

 

 

Circadin® kann die innere Uhr wieder in den Takt bringen. Kann diese Wirkung nach einmaliger Einnahme erwartet werden?
In den Zulassungsstudien erfolgte eine Einnahme über drei Wochen. Nach dieser Zeit konnte eine signifikante Verbesserung der Schlafqualität und morgendlichen Wachheit im Placebovergleich nachgewiesen werden. Circadin® zielt auf eine Nachahmung der endogenen Melatoninwirkung, bei der Melatonin als Taktgeber des Schlaf-Wach-Rhythmus fungiert. Dabei führt eine Verstärkung der nächtlichen Amplitude des zirkadianen Rhythmus durch exogen zugeführtes Melatonin auch zu einer Amplitudenverstärkung am Tage und längerfristig zu einem besseren Tag-Nacht-Rhythmus. Diese Wirkungen können aber nicht nach einer einmaligen Einnahme erwartet werden – insofern ist Circadin® kein „klassisches“ Hypnotikum.  Vergleichbar ist das mit dem „Anschubsen“ eines Pendels, das nach und nach wieder besser schwingt. Deswegen kann eine Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus unter Circadin® nicht nach einer Einmalgabe erwartet werden.

 


 

Quelle: Pressekonferenz und Satellitensymposium der Firma Lundbeck zum Thema „Therapieziel erholsamer Schlaf – Paradigmenwechsel in der Therapie der Insomnie?“ am 17. Oktober 2008 in Kassel (Gianni Public Relations).

 

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