Minimalinvasive Geräte warnen ungenügend vor Unterzuckerung

 

Marburg (11. Mai 2021) — Wenn der Alarm ausbleibt: Geräte zur minimalinvasiven oder nichtinvasiven Überwachung des Blutzuckerspiegels sind zu ungenau, um in der alltäglichen Routine eine Unterzuckerung zu erkennen. Das hat eine Forschungsgruppe um die Marburger Medizinerin Dr. Nicole Lindner gezeigt, indem sie 15 Studien verglich, die solche Warnsysteme untersuchen. Das deutsch-englische Team berichtet über seine Ergebnisse im Fachblatt „Systematic Reviews Journal“.

Eine Unterzuckerung oder Hypoglykämie ist häufig die Nebenwirkung einer Diabetes-Behandlung: Bei der Einnahme Blutzucker-senkender Wirkstoffe kommt es leicht zu einer Überdosierung, so dass der Glukosespiegel im Blut zu stark absinkt. „Unterzuckerungen können lebensbedrohlich sein“, erklärt die Marburger Medizinerin Dr. Nicole Lindner, die federführende Autorin der Studie.

Die Folgen einer Unterzuckerung zeigen sich in Schweißausbrüchen und Bewusstseinstrübungen, die sich bis zu einem so genannten Zuckerschock steigern können. „Hypoglykämische Ereignisse haben aber auch einen enormen langfristigen Einfluss auf die Gesundheit“, legt Lindner dar. Hierzu zählen etwa ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie geistige Beeinträchtigungen. „Daher empfehlen aktuelle Leitlinien, dass Diabetes-Patienten ihren Blutzucker mehrmals pro Tag selbst kontrollieren.“

Das Gebiet der kontinuierlichen Blutzuckerüberwachung entwickelt sich schnell weiter: Die Industrie stellt regelmäßig Geräte mit neuen Techniken vor. „Diese Geräte werden zunehmend von Menschen mit Diabetes verwendet“, sagt Lindners Koautor Dr. Tim Holt von der Universität Oxford. „Sie sind nützlich, um Betroffenen ein ungefähres Bild ihres Blutzuckers und von dessen Veränderlichkeit zu geben“, gesteht der Mediziner zu. Man könne sich jedoch nicht darauf verlassen, dass sie eine Unterzuckerung zuverlässig erkennen.

„Die Hersteller sind sich dieser Einschränkung bewusst, daher empfehlen sie den Anwendern, im Verdachtsfall den Glukosespiegel direkt im Blut nachzuprüfen“, ergänzt Lindner. Doch bisher gebe es keine systematische Analyse, die quantitativ nachweist, wie gut oder schlecht handelsübliche Geräte eine Unterzuckerung anzeigen.

Die aktuelle Metastudie schließt diese Lücke. Die Wissenschaftler um Lindner berücksichtigen hierin 15 Studien, die Daten von insgesamt 733 Patientinnen und Patienten umfassen. Die Übersicht zeigt, dass nichtinvasive und minimalinvasive Blutzuckermessgeräte eine Empfindlichkeit für niedrige Blutzuckerwerte von nur 69 Prozent besitzen. Die Messgenauigkeit unterliegt dabei erheblichen Schwankungen: In den einzelnen Studien liegt die Sensitivität zwischen 33 und 91 Prozent. „Das Ergebnis ist schlechter, als viele erwartet hätten“, konstatiert Lindner. Die Analyse erbrachte auch noch ein weiteres wichtiges Resultat: Demnach gibt es keinen Beweis dafür, dass Geräte neuerer Generation eine Unterzuckerung mit größerer Genauigkeit erkennen als die älteren Hilfsmittel.

„Unsere Analyse zeigt deutlich, welche Gefahr es mit sich bringt, wenn sich Betroffene auf minimalinvasive Geräte verlassen und deswegen Unterzuckerungen übersehen – mit allen Komplikationen, die sich daraus ergeben“, betont Lindner. Die Autoren rechnen daher damit, dass ihre Ergebnisse Auswirkungen auf die Diabetesversorgung haben werden.

 

 

Originalveröffentlichung

  • Nicole Lindner, Aya Kuwabara & Tim Holt: Non-invasive and Minimally Invasive Glucose Monitoring Devices: A Systematic Review and Meta-Analysis on Diagnostic Accuracy of Hypoglycaemia Detection, Systematic Reviews Journal 2021,
    DOI: https://doi.org/10.1186/s13643-021-01644-2

 

Abb. oben: Bei einer konventionellen Blutzuckermessung wird Blut aus einer Kapillare entnommen, meist aus dem Finger. Minimalinvasive Geräte, die ohne Blutentnahme auskommen, zeigen eine Unterzuckerung nicht sicher an. Copyight: Dr. Nicole Lindner

 


Quelle: Philipps-Universität Marburg, 11.05.2021 (tB).

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