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Obstipation beim älteren Patienten
Arzneimittel als Auslöser und Therapeutika
Prof. Dr. Martin Wehling
Zentrum für Gerontopharmakologie
Direktor der Klinischen Pharmakologie Mannheim,
Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg
Hamburg (20. September 2012) – Ältere Patienten sind die Hauptnutzer von Arzneimitteln. Naturgemäß steigt mit der Zahl der Diagnosen bei älteren Patienten auch die Anzahl der verordneten Medikamente. Nach einer amerikanischen Studie nehmen Patienten (älter als 65 Jahre) in etwa der Hälfte der Fälle fünf und mehr Arzneimittel und in 12 % der Fälle sogar mehr als zehn Arzneimittel ein. Ein einfacher Erklärungsansatz für diese Polypharmazie besteht in der Leitlinienadhärenz der Ärzte, die ihnen ja als erstrebenswertes Ziel mit normativem Charakter überall angeraten wird: Jede Leitlinie empfiehlt etwa drei Arzneimittel. Über 80-jährige Patienten haben im Schnitt etwa 3,5 Diagnosen. Hieraus ergibt sich eine Arzneimittelzahl von circa drei mal drei, also etwa zehn Arzneimittel pro Patient in diesem hohen Lebensalter, was leider der Realität auch entspricht. Allerdings gibt es aufgrund der großen Heterogenität der Hochbetagten und der mangelhaften Datenlage gar keine Leitlinien für dieses Alterskollektiv. Daher sind auch keine Leitlinienübertretungen nötig, um zu einer rationaleren Therapie im hohen Alter zu kommen.
Dieses Problem ist auch für die Obstipation im höheren Lebensalter relevant. Ihre Prävalenz steigt von etwa 15 % in der Bevölkerung je nach Studie auf bis zu 30 % bei über 84-jährigen, und sogar auf 80 % in Pflegeheimen an. Obstipation ist also eine Alterserkrankung, die durch die oben erwähnte Polypharmazie, die oft obstipationsauslösende Substanzen enthält, aber auch Immobilisierung, andere Erkrankungen wie Parkinson oder Schlaganfall und Mangel-/Fehlernährung ausgelöst wird. Die Therapieansätze müssen diese sehr multifaktorielle Aus-lösung der Obstipation berücksichtigen, und sind daher in jedem Fall multimodal.
Sie umfassen neben einer Mobilisierung und Ernährungsumstellung auf faserreiche Kost auch das Training einer regelmäßigen Stuhlentleerung und schließlich auch eine Pharmakotherapie. Aufgrund der sehr begrenzten Evidenzlage (ein generelles Problem des betagten Menschen) sollte hier eine genaue Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen; in erster Linie sind neben Psyllium hierbei osmotische Laxantien wie Lactulose oder Polyethylenglycol zu bevorzugen, die effektiv und sicher sind. Salinische oder die Darmwand reizende Stimulantien wie Bisacodyl oder Senna sollten vermieden werden.
Neuere Substanzen wie Lubiproston sind in diesem Zusammenhang noch nicht etabliert; letztere Substanz ist noch nicht ausreichend an älteren Patienten getestet und in Deutschland nicht zugelassen. Prucaloprid wurde erfolgreich in großen Studien getestet und weist eine positive Studie an 300 älteren Patienten auf. Die bislang begrenzende Nebenwirkung der selektiven Serotonin(5-HT4)-Rezeptoragonisten, die QTc-Verlängerung, ist nicht beobachtet worden. Die Substanz ist bislang in 46 Ländern, auch in der EU und nur für Frauen zugelassen.
Die Besonderheiten in der Arzneimitteltherapie des alten Patienten sollten insgesamt jedoch nicht dazu verleiten, dieser hochrelevanten Zielgruppe hoffnungsvolle medikamentöse Therapieansätze vorzuenthalten. Wichtig ist es, sich auf essenzielle Therapien zu konzentrieren und somit die Zahl der Medikamente, wenn möglich, zu vermindern. Hierzu wurde eine neuartige Bewertung von Arzneimitteln nach ihrer Alterstauglichkeit (FORTA-Klassifikation) entwickelt (A: unbedingt geben; D: unbedingt vermeiden; B: in der Regel geben, es sei denn, dass Polypharmazie- oder Unverträglichkeitsgesichtspunkte dagegen sprechen; C: nur ausnahmsweise geben). Diese sollte auch eingesetzt werden, um bei Patienten mit Polypharmazie überflüssige oder gar schädliche Arzneimittel zu identifizieren und zu ersetzen. Hierbei wird die obstipationsfördernde Wirkung ein wesentliches Kriterium der Beurteilung, das z.B. bei Verapamil zu einer Bewertung mit D geführt hat.
Die Obstipationstherapie muss also beim älteren Patienten oft in eine Therapie anderer Erkrankungen eingebettet werden; insgesamt sollte die Arzneimitteltherapie mit zunehmendem Alter immer intensiver individualisiert werden. Leitlinienkonformität ist dabei oft nicht möglich, aber auch nicht zwingend erforderlich, da die Leitlinien für diese Altersgruppe meist keine Evidenzgrundlage besitzen. Neben Kriterien wie FORTA sind bei diesem Optimierungsprozess das Patientenassessment, die Gesamtperspektive und vor allem die Lebensqualität wichtig. Gerade zu letzterem Aspekt trägt eine erfolgreiche Obstipationstherapie maßgeblich bei.
Quelle: Chronische Obstipation aus verschiedenen Blickwinkeln. Satellitensymposium der Firma Shire auf der 67. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), Hamburg, Congress Center Hamburg, Saal 6, Donnerstag, 20. September 2012, 18.45-20.15 Uhr (tB).