Zentrale neuropathische Schmerzen

 

Von Prof. Dr. Ralf Baron, Kiel

 

Was sind zentrale neuropathische Schmerzen?

Frankfurt am Main (17. März 2007) – Zentrale neuropathische Schmerzen sind chronische Schmerzen, die nach einer Läsion im zentralen Nervensystem auftreten. Dabei ist die Funktion der zentralen nozizeptiven Bahnen, also der spino‑thalamiko‑kortikalen Systeme, häufig betroffen. Isolierte Störungen im lemniskalen System sind nie mit einer Schmerzentstehung vergesellschaftet. Am häufigsten treten zentrale Schmerzen nach Rückenmarksverletzungen (80 %) sowie nach Schlaganfällen (bes. Läsionen im unteren Hirnstamm und im Thalamus, 2-11 %) auf. Bei der multiplen Sklerose liegt die Inzidenz zentraler neuropathischer Schmerzen bei 50-85 %. Die Schmerzen entstehen typischerweise erst mit einer Latenz von Wochen bis Monaten nach dem auslösenden Ereignis.

 

Die Diagnosesicherung erfolgt durch den Nachweis einer Läsion im ZNS mit bildgebenden Verfahren, insbesondere mit der MRT, Liquordiagnostik (insb. bei der multiplen Sklerose), und/oder neurophysiologischer Methoden (insb. somatosensorisch evozierte Potenziale, SEP). Es ist zu beachten, dass die SEP nur die Funktion der Hinterstränge und des lemniskalen Systems analysieren, die bei einigen Patienten unbeeinträchtigt sein können. Das spinothalamische System, das dagegen bei zentralen Schmerzen häufig betroffen ist, kann nur mit dem quantitativen Thermotest (Messung der Temperatur- und Schmerzempfindungsschwellen, QST) oder den Laser-evozierten Potentialen (LEP) untersucht werden.

 

Die pathophysiologischen Mechanismen der Schmerzentstehung nach Läsionen im ZNS sind letztlich noch nicht geklärt. Funktionsänderungen der Neurone in bestimmten Thalamuskernen nach Thalamusläsionen, eine neuronale Überaktivität des Thalamus nach einer spinothalamischen Denervation oder eine postläsionelle Imbalanz zwischen schmerzhemmenden und schmerzbahnenden Systemen werden als Ursachen diskutiert (Abb. 1).

 

Therapie zentraler neuropathischer Schmerzen

Die Therapie zentraler Schmerzen ist schwierig. Zu den bislang verfügbaren Medikamenten gehören u. a. trizyklische Antidepressiva, Antikonvulsiva mit Wirkung auf Na-Kanäle (z.B. Carbamazepin, Lamotrigin) und Opioide mit je nach Studienlage unterschiedlicher Wirksamkeit. Eine plazebo-kontrollierte Studie zur Wirksamkeit von Pregabalin bei zentralen Schmerzsyndromen (Schmerzen bei Rückenmarkverletzungen) wurde kürzlich an 137 Patienten durchgeführt. Die durchschnittliche Schmerzdauer betrug zehn Jahre mit einer aktuellen Intensität von VAS 6,6. Die Behandlungsdauer betrug zwölf Wochen. Am Endpunkt gaben 42 % der mit Pre­gabalin behandelten Patienten eine Schmerzreduktion von mehr als 30 % an (16 % unter Pla­zebo). Parallel kam es zu einer deutlichen Verbesserung der Schlafqualität. Damit wird durch Pregabalin eine bei neuropathischen Schmerzen auftretende Komorbidität erfolgreich mitbe­handelt. Interessanterweise profitierten die Patienten mit einem kompletten Querschnitt mehr als Patienten mit einer inkompletten Läsion.

 

 

 

Abb. 1: Schmerzentstehung nach Rückenmarkverletzung

Im Hinterhorn des Rückenmarks finden sich sekundär afferente Neurone mit konvergentem synaptischen Input, die sog. "wide dynamic range neurons" (WDR). Sowohl nozizeptive C­-Afferenzen als auch mechanosensitive Aß-Fasern enden an den WDR-Neuronen. Inkomplette Rückenmarkverletzungen führen zu Spontanaktivität und Sensibilisierung der WDR-Neurone, so dass Aktivität in mechanosensitiven Aß-Fasern die WDR-Neurone erregen konnte. Klinisch könnte diese spinale Sensibilisierung Spontanschmerzen, Berührungsallodynie und Hyperal­gesie nach inkompletten Rückenmarkverletzungen erklären. Als Ursache wird einerseits ein Wegfall der GABA-ergen Hemmung an den WDR‑Neuronen durch überwiegende Degenerati­on der inhibitorischen Interneurone diskutiert. Andererseits kommt es zu einer Aktivierung spi­naler Glia‑Zellen, die einen Erregenden Einfluss auf die WDR-Neurone ausüben.

 

 

Abb. 2: Schmerz und Schlaf bei einer Querschnittsläsion bei Pregabalin und Placebo.

 

 

baron3.jpg

 

Abb.3: Responder bei Querschnittsläsion unter Pregabalin vs. Placebo.

 

 

 

 


 

Quelle: Symposium der Firma Pfizer zum Thema „Neue Aspekte zum Therapiefeld Neuropathischer Schmerz“ am 17.03.2007 in Frankfurt am Main (MCG – Medical Consulting Group).

 

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…