Wenn die Schmerzbehandlung zur Dienstleistung wird

Marburg (9. Februar 2023) — Was hält Menschen mit chronischen Rückenschmerzen davon ab, ihr Leiden mittels körperlicher Übungen zu lindern? Wodurch lassen sie sich zu sportlichen Aktivitäten motivieren? Solche Fragen hat ein Team aus der Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg untersucht, indem es Betroffene sowie behandelnde Ärztinnen und Ärzte befragte. Die Autorinnen der Studie berichten im Fachblatt „British Journal of General Practice“ über ihre Ergebnisse.

Chronische Rückenschmerzen sind weit verbreitet. Sie gehen mit einem erheblichen individuellen Leidensdruck einher. Körperliche Aktivität gilt als eine der wirksamsten Behandlungsmöglichkeiten. „Für Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner ist es jedoch nach wie vor eine schwierige Aufgabe, die Betroffenen zu regelmäßigem Training zu ermutigen“, sagt die Marburger Medizinerin Dr. Nicole Lindner, die federführende Autorin der Studie. „Es gibt ein paar Tricks, wie Menschen mit chronischen Rückenschmerzen aktiv bleiben können. Unsere Studie gibt Aufschluss darüber, was die Betroffenen motivieren kann.“

Lindner und ihre Kolleginnen untersuchten, wie körperliche Aktivität bei der Behandlung chronischer Rückenschmerzen wahrgenommen wird, wie die Motivation der Betroffenen verbessert und Hemmnisse abgebaut werden können. „Während die Perspektiven von Patientinnen und Patienten einerseits und von behandelnden Ärztinnen und Ärzten andererseits bislang nur getrennt voneinander untersucht wurden, widmen wir uns erstmals der Beziehung zwischen den beiden Seiten“, erläutert die Marburger Medizinprofessorin Dr. Annika Viniol, eine weitere Leitautorin.

Das Forscherinnenteam führte Interviews mit 14 Betroffenen, die an chronischem Rückenschmerz leiden, und mit 12 Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern. Die Meinungen und Erfahrungen der Fachleute und der Betroffenen stimmten in vielen Punkten überein. So teilen beide Gruppen die Überzeugung, dass körperliche Betätigung im Freien eine besonders positive Wirkung auf die Gesundheit hat.

Die Befragten äußerten sich auch zu den Hindernissen, die körperlicher Aktivität entgegen stehen. Hierzu gehört unter anderem, dass die Übungen nicht weitergeführt werden, wenn sich die Schmerzen vermindern. Auch Lustlosigkeit, unzureichende regionale Angebote und Zeitmangel wirken sich hemmend aus.

Die Befragung förderte aber auch Ideen zutage, wie man diese Hemmnisse beseitigen könnte und wodurch sich sportliche Betätigung bei chronischem Rückenschmerz fördern ließe, etwa durch gemeinsames Training in der Gruppe oder regelmäßige Erinnerungen mithilfe einer App.

Die Beziehung zwischen den Ärzten oder Ärztinnen auf der einen Seite und den Patienten und Patientinnen auf der anderen Seite beurteilten beide Gruppen positiv. Jedoch stellten die Studienautorinnen hierbei auch bemerkenswerte Unterschiede fest: „Viele Ärzte und Ärztinnen begegnen ihren Patienten gerne auf Augenhöhe, andere nehmen eine paternalistische Rolle ein“, legt Lindner dar.

Aber Patienten sähen sich manchmal selbst als Fachleute und betrachteten die medizinische Behandlung als eine Dienstleistung. „Daraus können Probleme erwachsen, die zu einem verringerten Behandlungserfolg beitragen“, ergänzt Lindner. „Unsere Ergebnisse können die Auswahl von Strategien unterstützen, mit denen die Betroffenen zu mehr Bewegung motiviert werden können.“

Die Lebenswissenschaften gehören zu den Forschungsschwerpunkten der Philipps-Universität Marburg. Die Allgemeinmedizinerin Professorin Dr. Annika Viniol gehört dem Leitungsteam des Instituts für Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg an. Nicole Lindner arbeitet dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die Forschungsarbeit wurde von der Britta-und-Peter-Wurm-Stiftung finanziell gefördert.

 

 

Originalveröffentlichung

  • Nicole Lindner & al.: Physical activity for chronic back pain: qualitative interviews among patients and GPs, British Journal of General Practice 2023, DOI: https://doi.org/10.3399/BJGP.2022.0215

 

 


Quelle: Philipps-Universität Marburg, 09.02.2023 (tB).

Schlagwörter: ,

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…