Wie ein Schmerz den anderen unterdrückt

 

Bochum (21. Dezember 2020) — Wenn zwei schmerzhafte Reize gleichzeitig auf uns wirken, nehmen wir den einzelnen als weniger schmerzhaft wahr. Dieses Phänomen ist Teil des körpereigenen Schmerzhemmsystems. Ist diese Hemmung gestört, kann das auf eine chronische Schmerzerkrankung hinweisen. Forschende des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum (RUB), haben eine Untersuchungsmethode dafür entwickelt. Sie konnten zeigen, dass sie sowohl mit elektrischen Schmerzreizen als auch mit Hitzeschmerz effektiv funktioniert. Zwei aufeinander aufbauende Studien dazu sind in den Zeitschriften Brain Sciences und BMC Neuroscience veröffentlicht.

 

Der gleiche Reiz tut unterschiedlich weh

Das menschliche Schmerzempfinden kann je nach Situation stark variieren. So ist es möglich, dass sich derselbe Schmerzreiz unter verschiedenen Bedingungen unterschiedlich schmerzhaft anfühlt. Verantwortlich dafür ist das körpereigene Schmerzhemmsystem. Dieses System ergründen Forscherinnen und Forscher mit der Untersuchungsmethode namens Conditioned Pain Modulation, kurz CPM. „Dabei wird erfasst, wie stark ein Schmerzreiz das Erleben eines anderen, gleichzeitig dargebotenen Schmerzreizes hemmt“, erklärt Privatdozent Dr. Oliver Höffken, Neurologe am Bergmannsheil.

In der ersten Studie hat das Forschungsteam um Oliver Höffken, Dr. Özüm Özgül und Prof. Dr. Elena Enax-Krumova ein etabliertes CPM-Modell mit einer neuen Variation verglichen. Bei der Conditioned Pain Modulation spielen immer zwei Schmerzreize eine Rolle. Der erste Reiz, auch Testreiz genannt, wird zweimal verabreicht: einmal allein und einmal in Verbindung mit dem zweiten Reiz, dem Konditionierungsreiz. Die Testperson soll einschätzen, wie schmerzhaft der Testreiz alleine war und wie er sich angefühlt hat, während der Konditionierungsreiz verabreicht wurde.

 

Ein objektives Kriterium

In der aktuellen Arbeit verglich das Team zwei verschiedene Testreize: einen bewährten durch Hitzeschmerz und einen neuen, ausgelöst durch eine elektrische Stimulation der Haut. In beiden Fällen wurde der Konditionierungsreiz durch kaltes Wasser erzeugt.

„Wir konnten zeigen, dass beide Verfahren vergleichbar effektiv sind“, erklärt Oliver Höffken. Die elektrische Stimulation der Haut hat gegenüber dem bisher verwendeten Hitzeverfahren einen entscheidenden Vorteil: Sie erlaubt es, gleichzeitig die durch die elektrischen Reize der Haut ausgelösten Veränderungen der Hirnaktivität mithilfe von EEG-Elektroden messen zu können. Dies fügt der subjektiven Schmerzeinschätzung der Testpersonen ein objektiv messbares Kriterium hinzu.

 

Zwei Mechanismen mit dem gleichen Ergebnis

In der zweiten Studie verwendeten die Forscher das zuvor getestete CPM-Modell mit der elektrischen Stimulation der Haut und verglichen dieses mit dem schmerzlindernden Effekt von kognitiver Ablenkung. Sie konnten feststellen, dass sowohl die CPM-Methode als auch kognitive Ablenkung zu einem ähnlichen Grad das Schmerzempfinden senken können. Jedoch zeigten sich bei den beiden Methoden verschiedene Ergebnisse in der Messung der elektrischen Potenziale. „Auf Grundlage unserer Messungen gehen wir davon aus, dass es sich bei den beiden untersuchten schmerzlindernden Effekten um zwei verschiedene neurale Mechanismen handelt, die lediglich zum gleichen Effekt führen“, so Höffken.

Ihre Studien führten die Forscher an gesunden Probanden durch. Die Erforschung des körpereignen schmerzhemmenden Systems ist jedoch auch relevant, um verschiedene Schmerzerkrankungen besser zu verstehen. „Bei Patienten mit chronischen Schmerzen, der Entwicklung von postoperativen Schmerzen und dem Übergang von akuten zu chronischen Schmerzen konnten in der Vergangenheit bereits veränderte CPM-Effekte gefunden werden. In unserer Forschungsgruppe nutzen wir das Modell der CPM daher als Instrument, um Mechanismen in der Verarbeitung von schmerzhaften Informationen zu untersuchen“, erklärt Höffken.

 

Förderung

Die Studien wurden durch Mittel des Sonderforschungsbereiches 874 unterstützt, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft seit 2010 an der RUB fördert. Der Forschungsbereich „Integration und Repräsentation sensorischer Prozesse“ untersucht, wie sensorische Signale neuronale Karten generieren und daraus komplexes Verhalten und Gedächtnisbildung resultiert.

 

 

Originalpublikation

  • Elena Enax-Krumova, Ann-Christin Plaga, Kimberly Schmidt, Özüm S. Özgül, Lynn B. Eitner, Martin Tegenthoff and Oliver Höffken: Painful cutaneous electrical stimulation vs. heat pain as test stimuli in conditioned pain modulation, in: Brain Sciences, 2020, DOI: 10.3390/brainsci10100684, https://www.mdpi.com/2076-3425/10/10/684
  • A. T. Lisa Do, Elena Enax-Krumova, Özüm Özgül, Lynn B. Eitner, Stefanie Heba, Martin Tegenthoff, Christoph Maier, Oliver Höffken: Distraction by a cognitive task has a higher impact on electrophysiological measures compared with conditioned pain modulation, in: BMC Neuroscience, 2020, DOI: 10.21203/rs.3.rs-26882/v3, https://www.researchsquare.com/article/rs-26882/v3

 

 


Quelle: Ruhr-Universität Bochum, 21.12.2020 (tB).

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