Alexa, bekomme ich Parkinson?

 

Berlin (17. Dezember 2021) –Verschiedene krankheitsmodifizierende Therapien für M. Parkinson werden in den nächsten Jahren erwartet, doch bekannt ist schon jetzt: Diese Therapien haben wohl nur dann das Potenzial, den Erkrankungsverlauf aufzuhalten, wenn sie frühzeitig gegeben werden – am besten, bevor sich überhaupt erste typische Parkinson-Symptome bemerkbar machen. Die Forschung steht nun vor der Herausforderung, Betroffene entsprechend frühzeitig zu identifizieren. Eine aktuelle Arbeit [1] zeigt, dass womöglich bei Hochrisikopatientinnen und -patienten eine einfache Analyse der Sprachfrequenzmodulation, wie sie Apps oder auch Systeme wie Alexa leisten können, diese Vorhersage erlaubt.

Etwa 250.000 bis 400.000 Menschen leben in Deutschland mit einer Parkinson-Erkrankung. Tendenz steigend – keine andere neurologische Erkrankung verzeichnet einen so rasanten Anstieg der Fallzahlen. Allein zwischen 1990 und 2016 hat sich die weltweite Prävalenz dieser neurodegenerativen Erkrankung verdoppelt [2]. Zu den Risikofaktoren zählen neben Alter und Geschlecht genetische Prädispositionen (mehrere mit Parkinson-assoziierte Gene wurden bereits identifiziert) und Umweltfaktoren. Der M. Parkinson gehört zu den sogenannten Synucleinopathien, da es in bestimmten Hirnregionen zu pathologischen Ablagerungen eines Proteins, dem α-Synuclein, kommt. Die α-Synuclein-Zusammenballungen (Aggregationen) in den Nervenzellen entstehen aufgrund einer fehlerhaften molekularen Struktur, also Fehlfaltung, des α-Synucleins – es bilden sich zunächst kleinste Eiweiß-Fasern (Fibrillen, Filamente), die dann verklumpen und zelltoxische Wirkung haben.

Derzeit sind eine Reihe vielversprechender Therapieoptionen in der Entwicklung, an denen auch die „German Parkinson Study Group“ [3], weltweit die zweitgrößte Studiengruppe zu M. Parkinson, einen großen Anteil hat. Zu nennen ist hier zum einen die Entwicklung von α-Synuclein-Antikörpern, von denen sich einige bereits in der zweiten und dritten Phase der klinischen Prüfung befinden. Darüber hinaus gibt es vielversprechende Daten für sogenannte „small molecules“ wie beispielsweise Neuropore, die ebenfalls darauf abzielen, das Zusammenkleben krankhafter Proteinkugeln und Helices zu verhindern. Des Weiteren werden auch RNA-basierte Therapieansätze geforscht, um die pathogenen Proteinaggregationen zu unterbinden.

„Wir sind sehr optimistisch, dass wir in wenigen Jahren krankheitsmodifizierende Therapien für M. Parkinson zur Verfügung haben werden. Gleichzeitig wissen wir aber aus Therapiestudien zu anderen neurodegenerativen Erkrankungen, dass der Behandlungserfolg maßgeblich davon abhängt, wie früh im Krankheitsverlauf die Therapie eingesetzt wird. Idealerweise sollte bereits behandelt werden, bevor sich überhaupt erste typische Krankheitssymptome entwickeln“, erklärt Prof. Dr. Lars Timmermann, Leiter des Parkinson-Zentrums am Uniklinikum Marburg, das kürzlich mit dem „Center of Excellence Award 2022″ der „International Parkinson Foundation“ ausgezeichnet wurde. „Deshalb ist es jetzt so wichtig, neben neuen Therapieansätzen auch valide Biomarker und Merkmale für eine sichere Frühdiagnose zu identifizieren. Wir benötigen Tools, um aus der Gruppe von Risikopatientinnen und -patienten diejenigen zu stratifizieren, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an Parkinson erkranken werden. Nur so können wir sicherstellen, dass wir niemanden mit unnötigen Therapien belasten und auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot der Kostenträger Folge leisten, denn schließlich sind neue Therapien immer kostspielig.“

Diesem Ziel ist die Marburger Forschungsgruppe in Kooperation mit tschechischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nun ein großes Stück nähergekommen. In einer aktuellen Studie [1] (unter Federführung von Dr. Annette Janzen, Prof. Lars Timmermann und Prof. Wolfgang Oertel) konnte gezeigt werden, dass sich eine einfach durchführbare, computergestützte Analyse der Sprachfrequenzmodulation für eine solche Stratifizierung eignen könnte. In der Studie wurden Hochrisikopatientinnen und -patienten untersucht, die eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung (engl. abgekürzt RBD) aufwiesen. Bekannt ist, dass die RBD ein häufiger Vorläufer der Parkinson-Erkrankung ist. Schätzungen zufolge erkranken 80% aller Betroffenen mit einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung in den nächsten 15 Jahren an einer alpha-Synukleinopathie, der Erkrankungsgruppe, zu der M. Parkinson gehört. Auch Riechstörungen sind eine häufiges Frühsymptom der Parkinson-Krankheit. In der Studie wurden 30 Personen mit RBD und Riechstörungen, 17 mit RBD ohne Riechstörungen und 50 gesunde Kontrollen Sprechtests unterzogen. Es zeigte sich, dass die Prosodie (umfasst Akzent, Intonation, Sprechgeschwindigkeit, Rhythmus und Sprechpausen) in der Hochrisikogruppe RBD mit Riechstörungen im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen signifikant eingeschränkt war. Ein weiteres Ergebnis: In dieser Gruppe verstärkte sich im weiteren Verlauf die Dysprosodie nur bei den Patientinnen und Patienten, die dann auch eine auffällige Dopamin-Transporter-Szintigraphie (DaT-SPECT) aufwiesen.

„Das deutet darauf hin, dass eine Einschränkung und Abnahme der Prosodie bei Menschen mit RBD und Riechstörungen womöglich ein sehr frühes und sicheres Anzeichen einer Parkinson-Erkrankung ist. Die Prosodie lässt sich heutzutage computergestützt ganz einfach und schnell messen. Überspitzt gesagt: Theoretisch könnten dann Systeme wie Alexa oder Sprach-Apps auf dem Smartphone Menschen mit einer hohen Risikokonstellation für M. Parkinson vorhersagen, ob sie in den nächsten 5-7 Jahren an Parkinson erkranken werden oder nicht – das ist sehr beeindruckend“, betont Prof. Timmermann. „Weitere größere Erhebungen müssen das vorliegende Studienergebnis nun validieren. Bestätigt es sich, dann haben wir eine sichere und gleichzeitig kostengünstige Möglichkeit der Frühdiagnose, die einer präsymptomatischen Parkinson­-Therapie den Weg ebnen würde. Zusammen mit der Zulassung krankheitsmodifizierender Therapien könnte das die lang ersehnte Trendwende in der Versorgung von Menschen mit Parkinson herbeiführen.“

 

Literaturverweise

[1] Rusz j, Janzen A, Tykalová T et al. Dysprosody in Isolated REM Sleep Behavior Disorder with Impaired Olfaction but Intact Nigrostriatal Pathway. Movement Disorders. First published: 26 November 2021 https://doi.org/10.1002/mds.28873

[2] Springer Medizin. Anzahl der Parkinson-Patienten hat sich verdoppelt. InFo Neurologie 21, 17 (2019). https://doi.org/10.1007/s15005-019-0049-7

[3] https://www.kompetenznetz-parkinson.de/german-parkinson-studygroup

 

 

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)

sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 10.700 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin.

 

 

Originalpublikation

 

 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V., 17.12.2021 (tB).

Schlagwörter: , , ,

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…