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125 Jahre Kindermedizin – 125 Jahre Prävention

Die Stiftung Kindergesundheit informiert über die erfolgreiche Entwicklung der Pädiatrie in Deutschland von ihren Anfängen bis heute

München (2. Oktober 2008) – Das Jahr 1883 war ein denkwürdiges Jahr für die Gesundheit. In Berlin verabschiedete der Deutsche Reichstag ein bahnbrechendes Gesetz über die Einführung der Arbeiterkrankenversicherung im Deutschen Reich. Mikrobiologe Robert Koch, der im Jahr zuvor den Tuberkelbazillus entdeckt hatte, spürte auf einer Expedition in Indien den Choleraerreger Vibrio cholerae auf und wies nach, dass der Keim über verschmutztes Trinkwasser verbreitet wird. Doch das wohl wichtigste Ereignis für die Kinder Deutschlands fand am 18. September 1883 um 15.00 Uhr in Freiburg i. Br. statt: Rund 30 Ärzte gründeten dort eine „Gesellschaft für Kinderheilkunde“, aus der die heutige „Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin“ (DGKJ) hervorgegangen ist. Auf dieses wichtige 125-jährige Jubiläum wies jetzt die in München beheimatete Stiftung Kindergesundheit hin.

Der Gründung vorausgegangen war ein erregter Streit unter den Ärzten über die medizinische Versorgung von Kindern. Obwohl sich einzelne Mediziner bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts der gesundheitlichen Betreuung von Säuglingen und Kindern gewidmet haben, sperrten sich ihre Kollegen hartnäckig, die Eigenständigkeit der Pädiatrie anzuerkennen. Nach damaliger Auffassung war die Kinderheilkunde ein untergeordneter Teil der Inneren Medizin und wurde gelegentlich sogar als eine „Wissenschaft von den gelben und grünen Windeln“ verspottet.

Kinderärzte – die ersten Spezialisten für Prävention

„Die Vorbeugung gegen Gesundheitsgefahren gehört schon seit der ‚Geburt’ des Faches Kinderheilkunde zu den Grundelementen der kinderärztlichen Arbeit“, erläutert Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit, die historischen Zusammenhänge. „Unter dem Druck des damaligen Mangels an therapeutischen Möglichkeiten mussten die Kindermediziner von vornherein Aktivitäten entwickeln, um Krankheiten möglichst zu vermeiden und die normalen Abläufe der kindlichen Entwicklung zu bewahren.
Sie bemühten sich zudem um die Bekämpfung der Folgen von Hunger und Armut, unter denen in der damaligen Zeit besonders viele Kinder gelitten haben“.

Von „glücklichen Kinderjahren“ war das Leben vieler Kinder nämlich weit entfernt. Noch Ende des 19. Jahrhunderts wurden Vier- bis Fünfjährige in der industriellen Heimarbeit beschäftigt, die Altersgrenze für Kinderarbeit in Fabriken lag in Deutschland und in der Schweiz bei 14 Jahren. In den niedrigen Stollen der Bergwerke Siziliens und in den Magnesiumgruben Spaniens wurden Kinder von sechs bis acht Jahren eingesetzt. In der englischen Baumwollindustrie wurden 10- bis 13-Jährige beschäftigt, mit einer Arbeitszeit von morgens 6 bis abends 17 Uhr. Krankheiten im Kindesalter galten als natürliche Erscheinungen und man hielt es nicht für nötig, die Kinder deshalb von einem Arzt behandeln zu lassen. Man suchte stattdessen Hilfe bei erfahrenen alten Frauen, Hebammen, Hirten, Scharfrichtern oder Apothekern.

Die Vertreter der neuen Wissenschaft Kinderheilkunde erkannten sehr schnell, dass nicht nur die Heilung, sondern auch die vorbeugende Verhütung von Krankheiten zu ihren wichtigsten Aufgaben zählt. 1897 wurde die Ausbildung von spezialisierten Säuglings- und Kinderschwestern in Dresden aufgenommen, 1905 entstanden in Berlin und München die ersten deutschen Mütterberatungen, in denen die Mütter über die Pflege und richtige Ernährung ihrer Kinder kostenlos von Ärzten beraten wurden.

Beeindruckende Erfolge

Die Fortschritte der Kinderheilkunde in den folgenden Jahrzehnten sind beeindruckend. Als die Gesellschaft der Kinderärzte gegründet wurde, starb im deutschen Kaiserreich jedes fünfte Kind noch vor seinem ersten Geburtstag. Heute liegt die Säuglingssterblichkeit bei 3,8 – Promille wohlgemerkt, nicht Prozent! Allein seit den 1960er Jahren ist die Sterblichkeit der Babys um das 60fache gesenkt worden. Professor Koletzko: „Das ist insbesondere der konsequenten Förderung des Stillens und der verbesserten Kinderernährung, dem Zurückdrängen von Infektionskrankheiten, der verbesserten Schwangeren- und Neugeborenenbetreuung, und der Früherkennung von Säuglingskrankheiten durch Screening-Tests zu verdanken“.

Auch die Kindersterblichkeit ging zurück. Als vor 70 Jahren die heutigen Großeltern geboren wurden, starben in Deutschland jährlich über 6.000 Kinder an Diphtherie, mehr als 2.000 an Keuchhusten, über 1.500 an Masern und etwa 500 an Kinderlähmung.

Ungezählte Kinder blieben mit lebenslangen Folgen zurück. Mittlerweile sind diese Infektionskrankheiten dank Impfungen so weit verschwunden, dass die meisten Kinderkliniken keine Abteilungen für bestimmte ansteckende Krankheiten mehr unterhalten. Noch im Jahr 1952 starben in Deutschland 63 641 Kinder vor dem Erreichen des fünften Geburtstages, 2006 dagegen nur noch 3 107 Kinder; das ist ein Rückgang um 95 Prozent.

Auch auf anderen Gebieten wurde wertvolle Forschungsarbeit geleistet:

  • So ist es den Kinderärzten zu verdanken, dass heute auch Babys, die von ihren Müttern nicht gestillt werden, mit modernen, bedarfsgerechten Säuglingsnahrungen gesund und sicher aufgezogen werden können.
  • Auch die Einführung der kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen 1971 für alle Kinder geht vor allem auf die beständigen Bemühungen der Kinderärzte zurück.
  • Durch Aufklärungsmaßnahmen der Kinder- und Jugendärzte konnte die Rate des Plötzlichen Kindstodes von über 1300 in den 1990er Jahren auf unter 300 Säuglinge pro Jahr gesenkt werden.
  • Die in Deutschland erzielten Heilungsraten krebskranker Kinder gehören weltweit zu den besten. 75 bis 80 Prozent der betroffenen Kinder überleben dauerhaft. Viele ehemalige Patienten haben inzwischen selbst Familien gegründet und gehen einer normalen Tätigkeit nach.

Töchter werden 100, Söhne 95 Jahre alt

Der Erfolg der Kinderärzte lässt sich auch an der Zunahme der statistischen Lebenserwartung ablesen: Jedes zweite Mädchen aus einer heutigen Kindergartengruppe wird den 100. Geburtstag erleben und jeder zweite Junge wird 95 Jahre alt werden!

Doch während es ihren Schützlingen gesundheitlich immer besser geht, haben die Pädiater selbst seit einigen Jahren zunehmend mit Problemen zu kämpfen. Die Zahl ihrer Patienten schrumpft, weil es in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden. Die Behandlung von kranken Kindern ist teuer und für die Träger von Kliniken oft unwirtschaftlich. Die Folge: Immer mehr Kinderkliniken droht drastischer Personal- und Leistungsabbau oder sogar die Schließung.

Hinzu kommt: Durch die Spezialisierung auf einzelne, organbezogene Teilgebiete droht das Fach zu zersplittern. Professor Dr. Hansjosef Böhles, Präsident der DGKJ: „Die Sorge um eine Auflösung der Kinder- und Jugendmedizin ist durchaus real: Unser Fach ist bedroht, wieder in die Organspezialitäten der Inneren Medizin zurückgezwungen zu werden.“.

Wenn Kinderkliniken sterben, leidet auch die flächendeckende Betreuung der Kinder durch niedergelassene Kinderärzte, konstatiert die Stiftung Kindergesundheit. Zurzeit gibt es zwar noch genügend Kinder- und Jugendärzte. Das Durchschnittsalter der jetzt aktiven Kinder- und Jugendärzte liegt jedoch relativ hoch, so dass schon bald viele von ihnen aufhören werden, während die Zahl der neu ausgebildeten Kinder- und Jugendärzte sinkt.

Es bleibt noch viel zu tun

Übergewicht, Zuckerkrankheit, Bluthochdruck und Herzinfarkt bedrohen heute viele Erwachsenen. „Der Grundstein für diese Zivilisationskrankheiten wird jedoch bereits bei Kindern und Jugendlichen gelegt“, betont Kinder- und Jugendarzt Professor Berthold Koletzko: „Die Prävention bleibt deshalb auch in Zukunft das wichtigste Aufgabengebiet unseres Faches, der Kinder- und Jugendmedizin“.

1933 – ein dunkles Kapitel der deutschen Pädiatrie

Einen besonderen Anteil an der Entwicklung der Pädiatrie und der Kinderfürsorge in Deutschland hatten jüdische Kinderärztinnen und –ärzte. Von den rund 1 400 Kinderärzten im Jahr 1933 waren nahezu 800, also über die Hälfte, jüdischer Abstammung. Sie wurden aus ihren Ämtern vertrieben oder zur Aufgabe der Praxis gezwungen, man hat sie gedemütigt und verfolgt. Als erste medizinische Fachgesellschaft in Deutschland hat sich die DGKJ ihrer Verantwortung gestellt und bemüht sich seit 1994 um die Ermittlung der Schicksale dieser pädiatrischen Kolleginnen und Kollegen. Bis jetzt konnten 678 Schicksale jüdischer Kinderärztinnen und Kinderärzte geklärt werden. 493 von ihnen sind emigriert oder geflohen, 89 wurden in Vernichtungslager deportiert, von diesen wurden 75 ermordet.
Um dies zu bedauern und um die Erinnerung an die Schicksale für künftige Generationen wach zu halten, veranstaltete die DGKJ bereits 1998 eine öffentliche Gedenkfeier.  

Weitere Informationen hierzu finden Sie unter: www.kindergesundheit.de


Quelle: Newsletter, Ausgabe Oktober 2008 der Stiftung Kindergesundheit vom 02.10.2008.

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