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Antibiotikahaltige Knochenzemente reduzieren das Infektionsrisiko in der Endoprothetik

 

Von Prof. Dr. med. Hans-Ulrich Langendorff, Dortmund

 

Wehrheim/Ts. (7. März 2006) – In Deutschland werden jährlich ca. 180.000 Hüftendoprothesen, ca. 50.000 Knie- und 6.000 Schulterprothesen implantiert und dies mit steigender Tendenz. Die wesentlichen Indikationen für derartigen Gelenkersatz stellen zum Einen die Verschleißer­scheinungen der Gelenke, zum anderen, insbesondere bei Hüft- und Schulterprothesen, Frakturen des älteren Menschen dar. Die Typenvielfalt derartiger Prothesen geht in Deutschland in die Hunderte – weltweit werden es über 1.000 sein. Der Grund für diese Typenvielfalt liegt neben den wirtschaftlichen Interes­sen der Industrie vor allem darin begründet, durch Verbesse­rungen des Prothesendesigns die Überlebensrate der Prothe­sen zu erhöhen.

 

Revision – Ein Problem für Chirurg und Patient

 

Zur Verankerung der künstlichen Gelenke werden Knochen­zemente verwendet. Die Zemente füllen dabei den freien Raum zwischen dem Implantat und dem Knochen aus. Lockerungen des Implantates durch eingedrungene Bakterien, die Knochen­infektionen verursachen, zwingen zu einer Revision des Kno­chens und Entfernung des Implantates. Die Zahl der Revisions­operationen liegt bin Deutschland heute zwischen 10 und 15 Prozent. Das Grundproblem liegt unverändert in der sicheren und dauerhaften Verankerung der Prothese und ihrer Kompo­nen­te im Knochen. Zur Lösung des Problems werden grund­sätzlich 2 Wege beschritten. Zum Einen die zementfreie Ver­ankerung, wie sie bei jungen Patienten zur Anwendung kommt, während bei älteren Patienten der zementierten Prothese der Vorzug gegeben wird, da diese beim alten Menschen eine sofor­tige Belastung zulassen. Trotz aller diesbezüglichen Anstrengungen muss man nüchtern feststellen – und dies zeigen die internationalen Register-, dass die Überlebenszeiten nach wie vor beschränkt sind. Standzeiten von 15 und 10 Jahren sind bei Hüft- und Knieendoprothesen bei den heutzu­tage verwendeten Prothesetypen zu erwarten, bevor sie einer Revision bedürfen.

 

 

Knochenzementqualität entscheidet über Lebensdauer der Prothese

 

Bei allen zementierten Prothesen hängt die sichere Veranke­rung entscheidend von der Qualität des Knochenzements und der Zementiertechnik ab. Geringste Abweichungen der Zement­qualität, Zementmischung und Applikation führen zu veränder­ten Eigenschaften, die die Standfestigkeit der Prothese erheb­lich beeinflussen. Zwar können die Eigenschaften eines Zemen­tes, wie Biegefestigkeit, Steifigkeit, Druckfestigkeit u. a. mehr, am Materialprüfstand getestet werden, doch zeigen erst die Langzeitergebnisse in der Klinik, ob die in den Zement gesetz­ten Erwartungen erfüllt werden.

 

 

Schwedisches Hüftregister bewertet Zementqualität

 

Das nationale Schwedische Hüftregister, ein Instrument zur Verbesserung der arthroplastischen Versorgung. Ziel des Re­gis­ters ist, fortlaufend Resultate von Gelenkersatz mit totaler Hüftendoprothese zu erfassen. Erfasst werden auch Design des Implantates und chirurgische Technik, die Art der Fixierung und andere Fakten berücksichtigt. Große Fallzahlen haben eine hohe statistische Aussagekraft, seltene Komplikationen werden erkannt und analysiert. Darüber hinaus zeigt das Schwedische Endoprothesenregister eindrucksvoll die Überlegenheit hoch visköser Zemente. So konnte Henrik Malchau, Boston, Massa­chusetts, USA, anhand von Langzeitbeobachtungen an 200.000 Patienten zeigen, dass durch die Verwendung von PALACOS® das Risiko einer Prothesenlockerung um fast 50 Prozent gesenkt wurde.

 

 

Feind Nr. 1 in der Endoprothetik ist die Infektion

 

Ein weiteres Problem in der Endoprothetik stellt die Infektion dar. Sie erfordert fast immer einen Prothesenwechsel. Dieser kann entweder ein- oder zweizeitig durchgeführt werden, ist aber stets mit einem langen Verweildauer im Krankenhaus ver­bunden und endet gelegentlich in einer Katastrophe.

 

Auch aus ökonomischer Sicht ist es ein Problem. Geht man heute beim Gelenkersatz von einer Infektionshäufigkeit von ein bis zwei Prozent aus, so verursachen derartige Infektionen Kosten, die leicht einen dreistelligen Millionenbetrag erreichen.

 

Ursache der Infektionen sind überwiegend bakterielle Kontami­nationen im Op-Bereich während der Implantation. Zwar haben verbesserte Hygienemaßnahmen wie Reinraumtechnik, stan­dar­disierte OP-Technik und –abläufe die Infektionshäufigkeit gesenkt, sind aber dennoch nicht vollständig zu vermeiden. Hämatogene Infektionen sind dagegen vergleichsweise selten. Quelle derartiger Infektionen können Harnwegsinfekte, chro­nische Ulzera, Zahninfektionen u.a. sein, die nach Möglichkeit vorher zu sanieren sind.

 

Vom Keimspektrum her handelt es sich meistens um gram-positive Stämme, wobei Koagulase negative Staphylokokken, gefolgt von Staphylococcus aureus und Streptokokken mit ca. 80 Prozent die häufigsten Erreger darstellen. In 10 Prozent handelt es sich um gemischte Infektionen.

 

 

Implantatwechsel im Wettlauf mit der Zeit

 

Während beim Frühinfekt innerhalb der ersten 2 Monate noch versucht werden kann, das Implantat zu belassen, wird zu je­dem späteren Zeitpunkt ein Implantatwechsel unvermeidbar sein. Ob er ein- oder zweizeitig vorgenommen wird, richtet sich nach der individuellen Situation des Patienten und wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Aber auch nach vielen Jahren können derartige Infektionen beobachtet werden. Diese soge­nannte low-grade infection verläuft ohne die sonst üblichen Zeichen einer Entzündung. Leitsymptom ist allein die Prothe­senlockerung. Auch ein Keimnachweis gelingt nicht immer

 

 

Antibiotika scheitern an der extrazellulären Schleimbarriere

 

Jede Endoprothese stellt einen Fremdkörper dar, der sich in sterilem Zustand inert verhält. Andererseits ist er ein bevor­zugter Untergrund, auf dem sich Bakterien ansiedeln können. Spezifische Bakterien wie Staphylococcus aureus bilden auf der Prothese einen Biofilm aus extrazellulärem Schleim. In diesem Biofilm können Bakterien Mikrokolonien bilden, die sich langsam vermehren, bis der Biofilm die ganze Prothese überzogen hat. Ein Prozess, der sich über Jahre hinziehen kann. Der Biofilm ist für Antibiotika eine unüberwindbare Hürde, die therapeutisch wirk­same Konzentrationen nicht entstehen lässt. Hier ist die Entfernung des Implantates unerlässlich, damit die Antibiotika­therapie wirksam greift.

 

 

Eine antibakterielle Partnerschaft – Antibiose im Zement

 

Um Infektionen in der Endoprothetik weitestgehend zu vermei­den, mischte der Unfallchirurg Dr. H. W. Buchholz, Hamburg, Knochenzement mit Antibiotika für den präventiven und the­rapeutischen Einsatz bei, um lokal hohe Wirkspiegel zu errei­chen. Diese zunächst sehr einfache Maßnahme zeigte sich jedoch in der Realität weitaus komplizierter und komplexer, denn Knochenzemente unterscheiden sich nicht nur in physi­kalischen Eigenschaften sondern vor allem bezüglich ihrer unter­schiedlichen Freisetzungskinetik.

 

Eigenschaften, die ein Knochenzement haben sollte:

 

  • Freisetzung lokaler hoher und ausreichend langer antibiotischer Wirkstoffspiegel,
  • Bakterizide,
  • keine Inaktivierung des Antibiotikums,
  • Knochengängigkeit des Antibiotikums,
  • keine Veränderung der mechanischen Zementeigenschaften,
  • Vermeidung systemischer Nebenwirkungen.

 

Diese Voraussetzungen können nicht alle Antibiotika erfüllen. So wird zum Beispiel Tetrazyklin irreversibel an das Hydroxyl­apatit des Knochens (s. a. Verfärbung der Zähne nach peroraler Applikation) gebunden und verliert dadurch seine antibakterielle Wirksamkeit. Chloramphenicol wird nicht aus Zement freige­setzt. Das β-Lactam-Antibiotikum Imipenem wird bei Tempera­turen über 50° Celsius instabil.

 

 

Gentamicin und Zement, eine Symbiose

 

Von allen verfügbaren Antibiotika hat sich hier das Aminogly­kosid Gentamicin in den letzten 35 Jahren bewährt und seine Wirkung wurde in zahlreichen Studien belegt. Nicht zuletzt aufgrund des mittlerweile in vielen deutschen Kliniken stan­dardmäßigen Einsatzes ist ein deutlicher Rückgang der Infektionsrate zu verzeichnen. Gentamicin zeigt in Verbindung mit PALACOS® ein breites antibakterielles Spektrum, das die für Knochen-Infektionen besonders bedeutsamen Staphylococcus aureus-Stämme sowie gram-negative Problemkeime einschließt. Selbst die nach üblichen Antibiogrammen als mäßig oder nicht sensibel eingestuften Erreger werden vielfach noch aufgrund der hohen lokalen Wirkstoffkonzentration erfasst. Dennoch zeigt auch das Wirkspektrum von Gentamicin gewisse Lücken, die im gram-positiven Bereich primär resistente Staphylokokken, Strep­tokokken und Anaerobier einschließen und ein zuneh­mendes Problem bei allen Revisionen darstellen. Daher muss bei jeder infizierten Endoprothese zunächst mittels sorgfältiger Diagnostik das spezielle Keimspektrum identifiziert werden.

 

 

Clindamycin – die sinnvolle Ergänzung zu Gentamicin

 

Aufgrund  theoretischer Überlegung ist eine Kombination mit dem zu den Lincosamid-Antibiotika gehörenden Clindamycin eine sinnvolle Ergänzung, da Clindamycin insbesondere bei Staphylokokken in Verbindung mit Gentamicin synergistisch die antibakterielle Wirkung potenziert. Eine derartige Kombination ist wirksam gegen Staphylokokken, Streptokokken und Propi­oni­bakterien. Ein ähnliches Wirkspektrum hat die Kombination von Cefuroxim und Gentamicin. Für Infektionen mit Pseudomo­nas biete sich die Kombination von Gentamicin, Ofloxazin bzw. Cefoperazon und Amikacin an.

 

Ein neues und zunehmendes Problem stellen MRSA (Methi­cillin-resitente Staphylococcus aureus-Stämme) – bzw. MRSE-Infektionen (Methicillin-resitente Staphylococcus epidermidis-Stämme) dar. Um diese sicher zu erfassen, erscheint eine Kombination von Gentamicin. Vancomycin und Oflaxazin für die topische Anwendung sinnvoll. Besorgniserregend ist auch die Zunahme von Infektionen mit Enterokokken und Vancomycin-Resistenzen. Topisch ist hier die Kombination von Gentamicin, Ampicillin und Vancomycin denkbar.

 

Unabhängig von der Art des Zementes ist bei allen Prothese­ninfektionen generell eine begleitende systemische Therapie ggf. auch als Sequenztherapie für mehrere Wochen zwingend erforderlich.

 

 

Medizinprodukt, kein Arzneimittel

 

Bedeutungsvoll ist hier noch ein medico-legaler Gesichtspunkt: Antibiotikabeimischungen zum Zement stellen stets eine Modi­fikation eines Medizinproduktes dar. Die Haftung hierfür liegt allein beim Arzt. Die noch oft geübte Praxis, ein Antibiotikum dem Zement beizumischen ist fragwürdig, da sie unter Umstän­den nicht in ausreichender Konzentration freigesetzt werden und somit einer Keimselektion Vorschub leisten. Ebenfalls werden die mechanischen Eigenschaften des Zementes beeinträchtig. Entscheidet man sich dennoch für eine Beimischung, sollten nur bereits eingeführte Präparate wie z. B. PALACOS® mit Refoba­cin verwendet werden.

 

 

Die chirurgische Sanierung steht an erster Stelle

 

Die Forderung, die an die Hersteller von Knochenzementen zu stellen muss dahin gehen, dahin, nur Knochenzemente herzu­stellen, die es dem Arzt je nach Situation und Resistenzlage des Patienten ermöglicht, das geeignete Antibiotikum mit gesicherter Freisetzungskinetik beizumischen. Grundlage einer erfolgrei­chen Infektsanierung bleibt das radikale chirurgische Débride­ment von Knochen und Weichteilen und die Entfernung von Fremdmaterial, was auch durch die wirksamsten Antibiotika nicht ersetzt werden kann.


Quelle: Pressegespräch der Firma Heraeus Medical zum Thema „Langjährige Erfahrung sichert konstante Qualität – Antibiotikahaltige Knochenzemente senken die Infektionsrate und bieten mehr Sicherheit für Arzt und Patient“ am 07.03.2006 in Wehrheim/Ts (Accente Communication GmbH) (tB).

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