MEDIZIN

DOC-CHECK LOGIN

Bettnässen: Stress in der Familie

Interview mit Dr. med. Daniela Marschall-Kehrel

 

Frankfurt am Main (3. September 2009) – Dr. med. Daniela Marschall-Kehrel ist Urologin und Präsidentin der Deut­schen Enuresis Akademie e.V. in Frankfurt/Main. Ihr Forschungsschwer­punkt und der Schwerpunkt ihrer urologischen Praxis in Frankfurt ist die Enuresis (Bettnässen).

 

Frage: Dr. Marschall-Kehrel, wie gut wissen die Eltern der betroffenen Kinder in Deutschland über die Erkrankung ihres Kindes Bescheid?

 

Viele Eltern, deren Kind auch nach dem fünften Lebensjahr noch ein­nässt, wissen gar nicht, dass es sich um eine behandlungsbedürftige Erkrankung handelt. Sie kommen häufig viel zu spät zum Arzt und hätten ihren Kindern viel Leid ersparen können, wenn sie früher gekommen wären.

 

Frage: Warum nässen auch ältere Kinder das Bett ein?

 

Nächtliches Bettnässen ist eine Entwicklungsstörung. Man unterscheidet hier die primäre mo­nosymptomatische Enuresis von der sekundären Enuresis. Erstere bezeichnet das nächtliche Einnässen während des Schlafes bei gesunden Kindern im Alter ab fünf Jahren, die mindestens zwei nasse Nächte pro Monat haben und noch nie länger als sechs Monate trocken gewesen sind. Seelische Probleme sind bei der primären Enuresis in den seltensten Fällen die Ursache für das

 

Einnässen. Die sekundäre Enuresis ist durch erneutes Einnässen nach einer Trocken­phase von mehr als sechs Monaten gekennzeichnet. Diese Form ist oftmals auf psychische Probleme des Kindes, zum Beispiel bei einer Scheidung der Eltern oder bei der Geburt eines Geschwisterkindes, zurückzuführen.

 

Frage: Wie sinnvoll ist es, dass die bettnässenden Kinder Pyjamahöschen tragen?

 

Das Tragen von Pyjamahöschen hilft, das Bett trocken zu halten. Es ist als Hilfsmittel erlaubt und senkt den Stress in den Familien. In einem Alter ab fünf Jahren möchte kein Kind mehr in Windeln schlafen – das war die Babyzeit, die Vergangenheit. Peinlich könnte es vor allem dann werden, wenn es mal bei Freunden übernachtet oder ein Ferienlager besucht. Daher ist es durchaus sinnvoll, dass es Windeln gibt, die nicht so aussehen wie Babywindeln. Solche Pyja­mahöschen können es auch den älteren Kindern ermöglichen, auf Klassenfahrt zu gehen, ohne dass peinliche Situationen entstehen.

Aber Pyjamahöschen führen nicht zur Lösung des Problems Bettnässen. Ein Arztbesuch und ggf. eine vernünftige Therapie der Enuresis ist ab dem fünften Lebensjahr dringend empfohlen.

 

Was sollten Eltern tun, deren Kinder nachts noch einnässen?

 

Hat das Kind das fünfte Lebenjahr vollendet und nässt nachts häufiger als zweimal im Monat das Bett ein, sollten die Eltern einen Arzt aufsuchen, der nach der Untersuchung die richtige Therapie auswählt. In den häufigsten Fällen liegt eine Urinüberproduktion vor. Bei einem gesun­den Menschen wird nachts die Urinbildung reguliert, indem der Körper das Antiwasserlasshor­mon ADH produziert. ADH verringert die Urinmenge. Bei den meisten nächtlichen Bettnässern ist diese Produktion gestört bzw. noch nicht voll entwickelt. Der ADH-Spiegel ist somit zu gering, die kindliche Blase kann die große Urinmenge nicht halten und leert sich dann unwillkürlich im Laufe der Nacht. Hier können zum Beispiel Tabletten mit dem Wirkstoff Desmopressin einge­setzt werden, die in der Regel sofort wirken. Über 13 Millionen Kinder wurden bisher weltweit erfolgreich therapiert. Weitere Behandlungsmöglichkeiten sind die Urotherapie (Empfehlung zu Trink-, Wasserlass- und Darmregulation) oder das Tragen einer Klingelhose, die wie ein Weck­apparat funktioniert, sobald erste Tröpfchen in die Hose gehen.

 

Macht es Sinn, dass das Kind nach 17 Uhr nichts mehr trinkt?

 

Nein. Das kann gefährlich werden und ist nicht zielführend. Ganz im Gegenteil ist es für die Nie­renfunktion ebenso wie für die Herz-Kreislauf- und Hirnfunktion wichtig, dass ein Kind tagsüber ausreichend Flüssigkeit zu sich nimmt. So ist für eine gesunde Nierentätigkeit eine regelmäßige Flüssigkeitszufuhr über den gesamten Tag erforderlich. Kinder, die tagsüber ausreichend trinken – wir empfehlen 40 – 50 ml pro kg Körpergewicht – haben abends in der Regel keinen großen Durst mehr. Erst eine Stunde vor dem Schlafengehen sollte nichts mehr getrunken werden. Empfehlenswerte Getränke sind Wasser und Tee. Cola, Fanta und Säfte in größeren Mengen sollten wegen des Zuckergehaltes vermieden werden.

 

Macht es Sinn, dass die Kinder ihre Bettwäsche selbst reinigen?

 

Die Frage ist nicht generell zu beantworten. Bei älteren Kindern, kann es sinnvoll sein, sie in die hauswirtschaftliche Verantwortung – wie Bettwäsche wechseln – mit einzubeziehen, auf kleinere Kinder kann das aber wie eine Strafarbeit wirken. Sie unterstellen dem Kind damit, dass es mit Absicht ins Bett macht und bestrafen es dafür. Solch eine Reaktion kann schnell zu einem Teu­felskreis führen. Angst vor den Eltern können weitere Konflikte in der Familie hervorrufen und das Selbstbewusstsein des Kindes schwächen. Die Kinder ziehen sich zurück und fühlen sich als Außenseiter, Störenfried und letztendlich einfach ungeliebt. Das geminderte Selbstwertge­fühl, die Angst vor Übernachtungen belasten das Kind zunehmend. Mangelndes Selbstbewusst­sein und auffälliges Verhalten ist keineswegs Ursache, sondern vielmehr Resultat kindlichen Bettnässens. Eine professionelle Beratung, ein Besuch beim Arzt und eine frühzeitige Therapie können den Kindern diesen Teufelskreis ersparen.

 

Was können Eltern tun, deren Kinder nachts noch einnässen?

 

Wenn das Kind das fünfte Lebensjahr vollendet hat und noch regelmäßig einnässt, ist ein Arztbesuch dringend angeraten. Es ist sinnvoll, dass Eltern schon zum ersten Arztbesuch ein so genanntes Blasentagebuch mitbringen. Hierfür protokollieren sie mindestens drei – aber besser noch für vier bis fünf Tage lang, was und wieviel ihr Kind wann trinkt und wann es wieviel Pipi macht. Sie notieren darüber hinaus, wann es Stuhlgang hat, ob es verstopft ist und ob es tagsüber irgendwelche Auffälligkeiten im Zusammenhang mit dem Pipimachen gibt. Viele Kinder zeigen tagsüber eine sogenannte Drangsymptomatik – das heißt, sie müssen sehr plötzlich ganz dringend auf die Toilette.

Außerdem sollen die Eltern notieren, wieviel Urin das Kind des Nachts produziert. Hierfür müs­sen die bettnässenden Kinder nachts ein Pyjamahöschen anziehen, damit die Urinmenge ermit­telt werden kann. Das Höschen wird vorher in trockenem Zustand gewogen und morgens, wenn es nass ist. Dann wird die Differenz errechnet. Diese Differenz, zu der noch das erste morgend­liche Pipimachen in die Toilette hinzugezählt wird, entspricht der nächtlichen Urinmenge, die der kindliche Körper produziert – wobei 1 Gramm etwa 1 Milliliter entspricht.

 

Ein sorgsam geführtes Blasentagebuch ist für jeden Arzt ein unverzichtbares und sehr wichtiges Diagnoseinstrument.

 

  

Die „Initiative Trockene Nacht e. V.“ stellt sich vor

 

Die „Initiative Trockene Nacht e. V.“ ist eine gemeinnützige Elterninitiative, die es sich zur Aufga­be gemacht hat, über das Thema Bettnässen zu informieren. Dazu betreibt sie eine Internetsei­te, die betroffenen Eltern, Erziehern und Lehrern viele medizinische Informationen zum Thema bietet.

Auf dieser Internetseite gibt es ein Forum, in dem sich Betroffene miteinander austauschen und Fragen an einen Mediziner stellen können.

 

Die „Initiative Trockene Nacht e. V.“ versendet auch eine kleine Info-Broschüre, die über die Pro­blematik informiert, sowie eine DVD mit einem Film, der zeigt, wie eine Untersuchung beim Arzt aussehen sollte.

 

Betreut wird die Initiative von der Journalistin und Buchautorin Gabriele Grünebaum, die den „Elternratgeber Bettnässen“ (erschienen 2009 bei Droemer-Knaur) verfasst hat.

 

Wissenschaftlich unterstützt wird die „Initiative Trockene Nacht e.V.“ von der „Deutschen Enuresis Akademie e. V.“, in der sich Ärzte und Fachleute verschiedener Fachrichtungen zusammengefun­den haben, um über das Thema Enuresis zu forschen.

 

 

Kontakt

 

Initiative Trockene Nacht e.V.

www.initiative-trockene-nacht.de

Email: info@initiative-trockene-nacht.de

Geschäftsführerin: Gabriele Grünebaum

Hahnenbach 1, 51570 Windeck

 


Quelle: Pressekonferenz der Firma Hakle-Kimberly Deutschland zum Thema „Bettnässen – Stress in der Familie mindern“ am 03.09.2009 in Frankfurt am Main (tB). 

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…