MEDIZIN
AWARDS
Forschergeist gefragt: 14. Novartis Oppenheim-Förderpreis für MS-Forschung ausgelobt
FernstudiumCheck Award: Deutschlands beliebteste Fernhochschule bleibt die SRH Fernhochschule
Vergabe der Wissenschaftspreise der Deutschen Hochdruckliga und der Deutschen Hypertoniestiftung
Den Patientenwillen auf der Intensivstation im Blick: Dr. Anna-Henrikje Seidlein…
Wissenschaft mit Auszeichnung: Herausragende Nachwuchsforscher auf der Jahrestagung der Deutschen…
VERANSTALTUNGEN
Wichtigster Kongress für Lungen- und Beatmungsmedizin ist erfolgreich gestartet
Virtuelle DGHO-Frühjahrstagungsreihe am 22.03. / 29.03. / 26.04.2023: Herausforderungen in…
Pneumologie-Kongress vom 29. März bis 1. April im Congress Center…
Die Hot Topics der Hirnforschung auf dem DGKN-Kongress für Klinische…
Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2023 startet am 14.3.
DOC-CHECK LOGIN
Zweitmeinungsverfahren § 73d Sozialgesetzbuch V:
Dramatische Auswirkungen für Patienten mit Lungenhochdruck zu erwarten
Rheinstetten (16. Oktober 2008) – Auf Patienten mit der seltenen Erkrankung pulmonal arterielle Hypertonie (PAH), Lungenhochdruck, kommen schwere Zeiten zu. Das Zweitmeinungsverfahren nach § 73d Sozialgesetzbuch V wird dramatische Auswirkungen für Patienten mit dieser seltenen Erkrankung haben. Davon sind der Vorsitzende von pulmonale hypertonie e.v., Bruno Kopp, Rheinstetten, der Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats im ph e.v. Professor Dr. Werner Seeger, Gießen, und der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Pulmonale Hypertonie der medizinischen Gesellschaften, Professor Dr. Ekkehard Grünig, Heidelberg, gleichermaßen überzeugt.
Das Zweitmeinungsverfahren soll laut gesetzlichem Auftrag zur Verbesserung der Qualität, insbesondere der Patientensicherheit, des Therapieerfolgs und der Wirtschaftlichkeit, beitragen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat diesen gesetzlichen Auftrag zu konkretisieren. In einer Sitzung am 16. Oktober 2008 wurde ein Beschluss der Arzneimittelrichtlinien, Verordnung besonderer Arzneimittel „§ 73d – Zweitmeinung“ gefasst. Hierin ist geregelt wie das Verfahren erfolgen soll und welche Zusatzqualifikation der Arzt für besondere Arzneimittel haben muss.
„Die Zweitmeinungsregelung ist für Orphan Drugs (Medikamente für seltene Erkrankungen) wie bei der pulmonal arteriellen Hypertonie nicht geeignet“, sagt Professor Seeger, der seit 1994 dieses Krankheitsbild an dem Universitätsklinikum Gießen und Marburg behandelt. „Erst seit wenigen Jahren kann diese seltene, komplexe Erkrankung in hochspezialisierten Klinikzentren behandelt werden“, erklärt Seeger. Fehler in der Behandlung können für die Patienten lebensbedrohliche Folgen haben. An der Universitätsklinik Gießen wurden zwei Therapieverfahren zur Behandlung der pulmonalen Hypertonie entwickelt, die mittlerweile weltweit zugelassen wurden. Ein zusätzliches Genehmigungsverfahren für die ohnehin sehr enge Zulassung ist genauso abzulehnen wie die Einbeziehung von Ärzten in das Zweitmeinungsverfahren, die selber keine fundierte Erfahrung mit der Behandlung dieser Patienten besitzen. Seeger wirft dem G-BA vor, bei seiner Erarbeitung der Richtlinien die Experten vollkommen außen vor gelassen zu haben und dadurch grundlegende Informationen über den Versorgungsstand der Patienten und die Behandlungsrealität nicht berücksichtigt zu haben. So sei es nicht akzeptabel, dass Patienten die bisher in spezialisierte Zentren nach dem Stand der Wissenschaft über mehrere Jahre erfolgreich behandelt wurden, sich nachträglich einer Zweitmeinung unterziehen müssen, da jede Therapieunterbrechung lebensbedrohliche Komplikationen geradezu provozieren kann. Diese Maßnahme werde Misstrauen zwischen Arzt und Patient säen, einen riesigen bürokratischen Aufwand hervorrufen und keine Qualitätsverbesserung, sondern im Gegenteil eine Qualitätsverschlechterung bewirken, so Seeger.
Die Richtlinie richtet sich an Vertragsärzte, meist niedergelassene Ärzte, und suggeriert damit, dass diese Ärzte Therapieentscheidungen mit den in Anlage 13 gelisteten Medikamenten veranlassen können. Wird diese Praxis zur Realität, verschlechtert sich die Qualität der Versorgung der Patienten mit PAH dramatisch, meint Professor Dr. Grünig, Thoraxklinik Heidelberg, der damit als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Lungenhochdruck der Deutschen Fachgesellschaften für Kardiologie, Pneumologie und Kinderkardiologie die einhellige Meinung der Lungenhochdruckexperten wiedergibt. „Wir sind schockiert, dass die Mitglieder des G-BA nicht bereit waren, die Ärzte anzuhören, die seit Jahren mit dieser seltenen Erkrankung Erfahrung haben. Die Richtlinie greift in bislang nie da gewesener Weise in die Arzt-Patienten-Beziehung ein.“
Grünig ist seit 1996 mit diesem Krankheitsbild befasst: Er hat das familiäre Screening entwickelt und leitet auch eine therapieergänzende Maßnahme, die Atem- und Bewegungsschulung, welche die körperliche Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität der Patienten signifikant verbessert. Grünig kritisiert die mangelnde Zusatzqualifikation für Zweitmeinungsärzte. Es sei völlig unzureichend nur die Facharztqualifikation für Kardiologie oder Pneumologie zu haben, 10 Patienten mit PAH behandeln zu müssen und spezifische Fortbildungspunkte zu sammeln. Eine Ausbildung mit Erfahrungen an PAH-spezialisierten Zentren mit einer mehrjährigen Erfahrung auf diesem Gebiet sei zu fordern. Fortbildungsangebote müssen PAH-spezifisch sein. Es ist schon widersinnig, dass die verbindliche Zweitmeinung für eine lebensbedrohliche Erkrankung am Schreibtisch entschieden werden kann, sagt Grünig. Es ist in den Richtlinien nicht zwingend sichergestellt, dass die heutigen Experten auf diesem Gebiet zu Ärzten für besondere Arzneimittel berufen werden.
Darüber hinaus lässt die Richtlinie viele rechtliche Fragen offen. Es gibt beispielsweise kein Widerspruchsverfahren und keine Schiedsstelle. „Wer übernimmt die Verantwortung, wenn durch die Zweitmeinung einem Patienten ein bisher eingesetztes Medikament nicht mehr verordnet werden kann und der Patient im schlimmsten Fall verstirbt? Wir kennen den dramatischen Reboundeffekt beim plötzlichen Absetzen der intravenösen Therapie. Rechtliche Fragen und Verfahrensfragen werden auf dem Rücken der Patienten und der behandelnden Ärzte ausgetragen“, sagt Grünig.
Bruno Kopp, Vorsitzender des ph e.v., sieht eine flächendeckende, wohnortnahe Realisierung der Richtlinie, wie das Gesetz vorgibt, nicht für umsetzbar. Die Folgen der Auswirkungen durch die Richtlinie seien nicht kalkulierbar. Es gibt nicht flächendeckend Experten, die als Arzt für besondere Arzneimitteltherapie aktiv werden könnten. Bisher ist die Versorgungsstruktur so, dass Patienten mit PAH ein bis zwei Fahrstunden zum Expertenzentrum in Kauf nehmen müssen. Dies wird aus Sicht der Patientenvertretung durchaus akzeptiert. Die Richtlinie darf nicht den § 116 b SGB V, der Expertenzentren fordert und fördert, aushebeln. Expertenzentren können nicht flächendeckend entwickelt sein, die wissenschaftliche Forschung zu dieser schwerwiegenden seltenen Erkrankung ist noch völlig im Fluss. Vertragsärzte können nicht flächendeckend auf dem Stand der aktuellen Wissenschaft und damit auch Experten sein. „Wir freuen uns ja schon, wenn niedergelassene Ärzte eine Verdachtsdiagnose PAH stellen und die Patienten zu den Expertenzentren führen können“, resümiert Kopp. Würde die Richtlinie diesen Prozess unterstützen, wäre noch etwas Positives abzuringen. Leider wird dies aber ausdrücklich vom G-BA nicht gewünscht. „Die Richtlinie ist trotz des heutigen Beratungsergebnisses im Grundsatz abzulehnen“, sagt Bruno Kopp. „Sollte sie dennoch umgesetzt werden, werden wir die Auswirkungen mit Argusaugen beobachten.“
Quelle: Gemeinsame Pressemitteilung von pulmonale hypertonie e.v. (ph e.v.) und dem Wissenschaftlichen Beirat im ph e.v., sowie der gemeinsamen Arbeitsgemeinschaft Pulmonale Hypertonie der medizinischen Gesellschaften Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP), Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK), Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK) – 16.10.2008 (Medizin und PR GmbH Medizinkommunikation).