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Epilepsie im Wandel der Zeit

Morbus sacer – Die heilige Krankheit

 

Hamburg (18. Oktober 2007) – Selbst für uns moderne Menschen hat es etwas Unheimliches, ja Be­ängstigendes, wenn wir erstmals einen epileptischen Anfall bei einem anderen Menschen miterleben. Zu diesen Empfindungen tritt noch ein Gefühl der Hilflosigkeit, weil man nicht weiß, wie man sich verhalten soll, wenn ein Mensch, der z.B. ganz ruhig in der U-Bahn sitzt, plötzlich einen Anfall erleidet. Um wie viel beunruhigender muss ein solches Ge­schehen auf die Menschen in der Antike oder im Mittelalter gewirkt ha­ben, also in Zeiten, in der Aberglaube, Furcht vor bösen Geistern und Hexen herrschte.

 

Bereits im alten Ägypten war die Epilepsie bekannt und gefürchtet. Das Phänomen des Unerklärbaren und das plötzliche, heftige Auftreten führten vermutlich dazu, dass die Epilepsie in der griechischen und rö­mischen Antike als „heilige Krankheit“ (morbus sacer) bezeichnet wurde. Ein weiterer Grund könnte darin bestehen, dass Menschen mit Epilepsie offensichtlich so mühelos in einen „Trancezustand“ verfallen konnten – ein Zustand, der in der Antike angestrebt wurde, um mit den Göttern in Kontakt zu treten. Gleichwohl hatte der griechische Arzt Hippokrates (ca. 460 – 375 v. Chr.) erkannt, dass es sich mit der heili­gen Krankheit auch nicht anders verhält als mit anderen Krankheiten. So erklärt er: „Sie scheint mir in keiner Beziehung einen mehr göttlichen Ursprung zu haben als die übrigen Krankheiten, auch nicht heiliger zu sein.“ Hippokrates erkannte bereits, dass das Gehirn für die „heilige Krankheit“ verantwortlich ist. Es ist Hippokrates´ Verdienst, die Epilepsie entdämonisiert und sie in die Reihe „normaler“ Krankheiten einzuglie­dert zu haben.

 

Wirksame Behandlungsmethoden konnten Epilepsiekranken in dieser Zeit natürlich noch nicht angeboten werden – pflanzliche Arzneien ha­ben nachweislich keine Wirkung auf Epilepsie. Interessanterweise waren aber auch in der Antike bereits bestimmte Auslöser von Anfällen – z.B. das Glitzern einer sich drehenden Töpferscheibe – bekannt. Angeblich mussten römische Rekruten bei ihrer Musterung durch ein rotierendes Wagenrad in eine Lichtquelle (z.B. die Sonne) schauen. Heute weiß man, dass es sich bei diesem Phänomen um Photosensibilität handelt, eine bestimmte seltene Form der Epilepsie, die durch Discobeleuchtung oder bestimmte PC-Spiele ausgelöst werden kann.

 

Veitstanz und Hokus-Pokus

Im Mittelalter sah man das Leiden Epilepsiekranker als göttliche Strafe oder Besessenheit an. Der Glaube, dass übernatürliche Kräfte für das Auslösen von Veitstanz oder Fallsucht – ebenfalls beliebte Bezeichnun­gen für das Phänomen Epilepsie – verantwortlich waren, führte dazu, dass viele Betroffene Wunderheilungen, also meist schlichten Hokus-Pokus, über sich ergehen lassen mussten. Dies konnte lebensbedrohli­che Ausmaße annehmen, z. B. bei Bohrungen in den Schädel, um den bösen Geist entweichen zu lassen. Auch Exorzismus – also Teufelaus­treibung – wurde eingesetzt, um Betroffene von ihren Leiden zu heilen. Vermutlich wurde ein Epilepsiekranker in der mittelalterlichen Gemein­schaft mit Leprakranken und ähnlich Benachteiligten gleichgesetzt und sozial ausgegrenzt. Erst im 18. und 19. Jahrhundert begann eine fun­dierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Krankheit Epilep­sie.

 

Drittes Reich: „Unwertes Leben“

Vorurteile und Ausgrenzung sind leider nicht nur Begleiterscheinungen der Antike oder des Mittelalters. Die Euthanasieprogramme aus der Zeit des Nationalsozialismus legen davon ein trauriges Zeugnis ab. Laut der „Rassenlehre“ zählten Menschen mit geistiger Behinderung – und dazu wurden damals auch Patienten mit Epilepsie gezählt – als unwertes Le­ben. Zunächst wurden viele dieser sog. „Erbkranken“ zwangssterilisiert, ab Ende 1939 dann systematisch ermordet.

 

Prominente Epilepsiepatienten

Viele berühmte Persönlichkeiten litten unter Epilepsie. Die Erkrankung ist auch häufig Thema in der Literatur – sei es wie in Dostojewskis „Der Idiot“, in dem die Hauptfigur ein Epilepsiekranker ist, oder es betrifft eine Nebenfigur wie den Adi in der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz. Dostojewski verarbeitete in seinem Roman „Der Idiot“ eigene Er­fahrungen – er litt selbst unter Epilepsie. Auch in den Werken Agatha Christies oder Edgar Allen Poes – beide waren ebenfalls von Epilepsie betroffen – spielt die Erkrankung immer wieder eine wichtige Rolle. Weitere bekannte Persönlichkeiten mit Epilepsie (bzw. bei denen Epilep­sie vermutet wurde) waren u .a.:

 

  • Alexander der Große (356 – 323 vor Christus) – makedonischer Feldherr und Staatsmann
  • Gaius Julius Cäsar (100 – 44 vor Christus) – römischer Feldherr und Diktator
  • Peter der Große (1672 – 1725) – Zar von Russland
  • Napoleon Bonaparte (1769 – 1821) – französischer Feldherr und Staatsmann
  • Alfred Nobel (1833 –.1896) – Erfinder des Dynamits, Stifter des Nobelpreises
  • Lenin (eigentlich: Wladimir Iljitsch Uljanow) (1870 – 1924) – russischer Revolutionär


Quelle: Presseworkshop der Firma UCB Pharma zum Thema „Leben mit Epilepsie“ in Hamburg am 18. Oktober 2007 (Medizin und PR GmbH Gesundheitskommunikation).

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