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54. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)

Lungentransplantation – Wo stehen wir nach dem „Skandaljahr 2012“ heute?

 

Hannover (20. März 2013) – Knapp 25 Jahre nachdem die erste Lungentransplantation in Deutschland an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) durchgeführt wurde, hat sich das Verfahren zur Behandlung von Patienten mit chronisch respiratorischer Insuffizienz etabliert. Die Operationstechnik wurde kontinuierlich verbessert, die immunsupressive Therapie zur Vermeidung von Abstoßungsreaktionen optimiert, infektiologische Komplikationen können heute durch prophylaktisch verabreichte Medikamente verhindert oder durch frühzeitige Diagnostik besser behandelt werden. In den großen Transplantationszentren verbesserte sich die Überlebensrate der Patienten kontinuierlich, obwohl die Patienten für die Transplantation zunehmend älter wurden. Zur Beherrschung der chronischen Transplantatabstossung, das größte Problem in der Langzeitbetreuung nach Lungentransplantation, stehen erste Medikamente zu Verfügung, die zumindest bei einem Teil der Patienten zu einer Verlangsamung der Verschlechterung der Lungenfunktion führen, neue Substanzen befinden sich zurzeit in klinischer Prüfung.

 

Das wesentliche Problem der Transplantationsmedizin bleibt jedoch der Mangel an Spenderorganen. Vorsichtige Schätzungen gehen von etwa einer halben Million Patienten mit einer chronisch respiratorischen Insuffizienz in Deutschland aus, davon ist mindestens ein Viertel unter 60 Jahren. Demgegenüber stehen etwa 300 Lungentransplantationen pro Jahr, der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Und selbst diese, im Vergleich zu den Erfordernissen marginale Zahl an transplantierten Patienten, kann nur erreicht werden, in dem auch Organe von älteren Spendern akzeptiert werden, die das Risiko eines komplikationsreicheren Verlaufs nach Transplantation mit sich bringen. Der Mangel an Spenderorganen zwingt zu einer strengen Selektion von Kandidaten für die Transplantation, Patienten mit Begleiterkrankungen werden aufgrund ihres höheren Risikos für Komplikationen in der Regel nicht auf die Transplantationsliste aufgenommen. Viele Patienten versterben während der Wartezeit auf die Organtransplantation.

 

Die im Zusammenhang mit Manipulationen bei der Organvergabe für Lebertransplantationen öffentlich gewordenen Unregelmäßigen in der Transplantationsmedizin sind auch unter diesem Hintergrund zu sehen. Obwohl die Gesetze zur Organvergabe rechtlich eindeutig Vorgaben im Hinblick auf die Patientenauswahl für die Transplantation und die Zuteilung der Spenderorgane gemacht hat, zeigte sich, dass Manipulationsmöglichkeiten bestanden, um Patienten auf der Warteliste zu bevorzugen. Inzwischen wurden von der Bundesärztekammer umfangreiche Kontrollen durchgeführt, die zeigen, dass nur in einer Minderzahl der Transplantationszentren solche Unregelmäßigkeiten vorkamen, die meisten Zentren arbeiteten regelkonform. Auch unterschieden sich die einzelnen Organtransplantationen in ihrer Anfälligkeit für Manipulationen. Bei der Lungentransplantation wurde beispielsweise 2011 ein für die Transplantation maßgebliches Scoring System eingeführt, der Lung Allocation Score (LAS), mit dem die Dringlichkeit für eine Transplantation festgestellt werden konnte. Damit konnten die Patienten mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auf der Warteliste zu versterben schneller erkannt werden und diesen eher ein Organ zugewiesen werden.

 

Tatsächlich ist die Wartelistensterblichkeit nach Einführung des LAS zurückgegangen. Die Parameter, die für den LAS notwendig sind, können nur in Zusammenarbeit mehrerer Fachdisziplinen gewonnen werden, sodass eine umfangreiche unabhängige Kontrolle von jeher gegeben war. Zudem wurden inzwischen überall Transplantationskonferenzen eingeführt, in der Mitarbeiter aus drei voneinander unabhängigen Fachgebieten die Aufnahme auf die Warteliste und die Organvergabe überprüfen und Ihre Entscheidungen protokollieren. Der Schaden der infolge der öffentlichen Berichte über den Transplantationsskandal eingetreten ist, ist jedoch beträchtlich. Das Vertrauen in die Transplantationsmedizin ist erschüttert, die Zahl der Organspenden geht deutlich zurück. Und dies zu einem Zeitpunkt, an dem durch Gesetzesänderungen eine Steigerung der Organspenden erreicht werden sollte. Wesentliche Aufgabe für die Zukunft wird es sein, verlorenes Vertrauen in die Transplantationsmedizin wiederherzustellen.

 

Dazu ist es wichtig alle Prozesse um die Auswahl von Patienten zur Transplantation und zur Organvergabe transparent und nachprüfbar zu machen. Viele Verbesserungen sind, leider fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, in den letzten Monaten etabliert worden. Ein weiterer Rückgang der Zahl an Organspenden wird vielen Menschen die Hoffnung auf ein lebenswertes Überleben nehmen. Chronisches Organversagen kann jeden jederzeit treffen, ohne eigenes Verschulden und aus voller Gesundheit heraus. Jeder kann mittelbar auf eine Organspende angewiesen sein. Nur wenn diese Erkenntnis zurück in die Öffentlichkeit getragen wird, wenn die Ängste der Bevölkerung im Umgang mit diesem Thema ernst genommen und offen diskutiert werden, wird sich die Zahl der Organspenden wieder erhöhen.

 

 

Autor

 

Prof. Dr. Tobias Welte

Direktor der Klinik für Pneumologie

Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Strasse 1

30625 Hannover

 


 

Quelle: 54. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) vom 20. bis 23. März 2013 in Hannover (tB).

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