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Onkologische Therapie, Supportiv- und Komplementärmedizin

Neue Studiendaten und Therapieansätze in der gynäkologischen Onkologie und Update Antiemese

München (20. Oktober 2016) – In der Therapie des metastasierten Hormonrezeptor(HR)-positiven Mammakarzinoms zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Auf dem ESMO-Kongress 2016 präsentierte Daten der MONALEESA-2-Studie zeigten eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (PFS) durch die Kombination der antihormonellen Therapie mit Letrozol mit dem CDK4/6-Inhibitor Ribociclib (p=0,00000329). Damit wurde der primäre Endpunkt der Studie vorzeitig erreicht. Das mediane PFS unter Ribociclib/Letrozol sowie Daten zum medianen Gesamtüberleben stehen noch aus. Im Bereich der Antiemese sind erstmal valide Daten zur Prophylaxe bei Radiochemotherapie verfügbar. Die Dreifachantiemese mit dem NK1-Rezeptorantagonist (NK1-RA) Fosaprepitant (IVEMEND®) verbesserte die Kontrolle der Emesis über die gesamte Therapiedauer von 5 Wochen signifikant (p=0,008). Auch der Vorteil durch die Dreifachantiemese mit Aprepitant (EMEND®) für Patienten unter Carboplatin-haltiger Chemotherapie wurde durch auf dem ESMO publizierte Daten erneut bestätigt. Seit Oktober steht Aprepitant außerdem als Pulver zur Herstellung einer Suspension für Babys ab 6 Monaten, Kleinkinder und Kinder bis 12 Jahren zur Verfügung.

Komplementärmedizinische Verfahren ergänzen in jüngster Zeit zunehmend das therapeutische Armamentarium in der klinischen Onkologie, besonders bei der Behandlung von Patientinnen mit Mammakarzinom. Verfahren wie die Misteltherapie oder die Korrektur zu niedriger Blutspiegel an Selen oder Vitamin D durch Supplementation können nach aktueller Datenlage dazu beitragen, Nebenwirkungen einer Tumortherapie zu vermindern und die Lebensqualität der Patientinnen zu verbessern.


Neuer Therapieansatz beim Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom

Die Therapie des metastasierten Hormonrezeptor(HR)-positiven Mammakarzinoms sollte so lange wie möglich antihormonell erfolgen, um der Patientin Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu ersparen. „Früher oder später entwickelt der Tumor jedoch eine Resistenz gegen die antihormonelle Therapie, u.a. dadurch, dass die Cyclin-abhängigen Kinasen 4/6 (CDK4/6) hochreguliert werden und auf den hemmenden Einfluss der antihormonellen Therapie nicht mehr reagieren“, berichtete Dr. Wolfgang Abenhardt, München. CDK4/6-Inhibitoren wie das kürzlich auch in der EU zugelassene Palbociclib oder Ribociclib, verhindern die Aktivierung der nicht-proliferierenden Tumorzelle unter Hormoneinfluss durch das CDK4/6-System in die aktive G1-und S-Phase. Auf diese Weise wird der hemmende Effekt der antihormonellen Therapie wiederhergestellt. „Bisher werden CDK4/6-Inhibitoren nur bei Hormonrezeptor(HR)-positiven Tumoren eingesetzt, am wirksamsten ist die Kombination mit dem Aromataseinhibitor Letrozol“, erläuterte der niedergelassene Onkologe. Die MONALEESA-2-Studie (MONALEESA: Mammary Oncology Assessment of LEE011 efficacy and safety) vergleicht in 234 Zentren bei 668 Patientinnen mit fortgeschrittenem/metastasiertem HR-positivem, HER2-negativem Mammakarzinom (mit messbaren Läsionen) in der Erstlinie den CDK4/6-Inhibitor Ribociclib (LEE011) in Kombination mit Letrozol mit Placebo plus Letrozol. In Deutschland nehmen 25 Zentren an der Studie teil, u.a. brachte auch Abenhardt Patientinnen ein. Primärer Endpunkt ist das progressionsfreie Überleben (PFS) nach lokaler und zentraler Beurteilung.


Primärer Endpunkt vorzeitig erreicht: Ribociclib/Letrozol verlängert PFS signifikant

Die aktuelle Auswertung der Studie wurde beim ESMO Kongress 2016 präsentiert und parallel dazu in einer Fachzeitschrift publiziert (1, 2). Beide Studienarme waren hinsichtlich der Charakteristika der Patientinnen ausgewogen. Das mediane Alter lag bei 62 Jahren im Verum-Arm gegenüber 63 Jahre im Placebo-Arm. 59% der Frauen in beiden Armen hatten viszerale Metastasen, alleinige Knochenmetastasen hatten 21% im Ribociclib-Arm und 23% im Placebo-Arm. Bereits vorzeitig zu dieser prädefinierten Interimsanalyse erreichte die Studie ihren primären Endpunkt und zeigte, dass im Ribociclib-Arm das PFS signifikant verlängert war. „Die Studie läuft aber noch verblindet weiter, da man noch abwarten will, bis der sekundäre Endpunkt Gesamtüberleben auswertbar ist“, erläuterte Abenhardt. Das mediane PFS betrug im Letrozol/Placebo-Arm 14,7 (13,0-16,5) Monate und wurde im Verum-Arm Letrozol/Ribociclib noch nicht erreicht (19,3 – NR). „Der Unterschied war damit signifikant mit einer HR von 0,556 und einem p-Wert von p=0,00000329“, so Abenhardt. Sekundäre Endpunkte der Studie sind neben dem Gesamtüberleben die Gesamtansprechrate (ORR) und die Clinical Benefit Rate (CBR). Bei Patienten mit zu Studienbeginn messbarer Erkrankung waren sowohl die ORR mit 53% vs. 37% (p=0,00028) als auch die CBR mit 80% vs. 72% (p=0,02) signifikant erhöht. Alle Subentitäten profitierten in gleichem Maße von der Behandlung.


Günstiges und gut kontrollierbares Verträglichkeitsprofil

„Im Allgemeinen war die Therapie mit Ribociclib gut verträglich. Aufgrund der zytotoxischen Wirkung von Ribociclib war die wichtigste Nebenwirkung die Myelotoxizität, die aber mit Wachstumsfaktoren gut zu kontrollieren ist“, berichtete Abenhardt. Bei 59% der Patientinnen kam es unter Letrozol/Ribociclib zu einer Neutropenie vom Grad 3/4, eine Grad 3/4 Leukopenie trat bei 21% der Patientinnen auf. Febrile Neutropenien waren mit 1,5% jedoch sehr selten. „Auch geringgradige Alopezie kann – auch aufgrund der Kombination mit einer antihormonellen Therapie und gerade bei älteren Patientinnen – auftreten, worauf man die Frauen im Vorfeld hinweisen sollte“, sagte Abenhardt. Außerdem müsse man die Leberwerte der Patientinnen kontrollieren, erklärte er weiter.

„Auf dem ESMO wurde die Kombination Ribociclib/Letrozol aufgrund der Daten aus der MONALEESA-2 Studie als breakthrough therapy beim metastasiertem Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom bezeichnet – die Untersuchung weiterer Kombinationen mit Ribociclib ist deshalb sicherlich ein vielversprechender Ansatz“, berichtete Abenhardt. In der bereits abgeschlossenen MONALEESA-3-Studie wird die Kombination Fulvestrant +/-Ribociclib beim postmenopausalen HR-positiven metastasierten Mammakarzinom mit maximal einer antihormonellen Vortherapie (außer Letrozol) verglichen. Die noch rekrutierende MONALEESA-7-Studie vergleicht beim prämenopausalen hormonrezeptorpositiven metastasierten Mammakarzinom die Kombination antihormonelle Therapie (AH) plus Goserelin +/- Ribociclib in der Erstlinie. „Auch prämenopausalen Frauen diesen Therapievorteil mit dem CDK4/6-Inhibitor anzubieten, ist ein hochinnovativer und sehr dankenswerter Ansatz“, kommentierte Abendhardt.


Antiemese: Neues aus dem Leitlinien-Update von MASCC/ESMO und aktuellen klinischen Studien

Evidenzbasierte Leitlinien von internationalen Fachgesellschaften werden regelmäßig aktualisiert, um neuen Erkenntnissen aus klinischen Studien Rechnung zu tragen. So werden die Antiemese-Leitlinien der ASCO derzeit aktualisiert, ein Update der Antiemese-Leitlinien der Multinational Association of Supportive Care in Cancer (MASCC) und der European Society for Medical Oncology (ESMO) wurde im März 2016 veröffentlicht (3). Prof. Petra Feyer, Berlin, gab einen Überblick über deren wichtigste Neuerungen sowie über aktuelle Studiendaten zur Antiemese.


Radiochemotherapie: Fosaprepitant verbessert Antiemese über gesamten Behandlungszeitraum

Bei Radiochemotherapie empfehlen die MASCC/ESMO-Leitlinien, die antiemetische Prophylaxe nach der Risikoklasse der Chemotherapie zu richten, es sei denn, das Emesisrisiko der Strahlentherapie ist höher als das der Chemotherapie. Mit der Publikation der GAND (Germany, Austria, Norway, Denmark)-Emesis Studie stehen nun erstmals valide Daten aus einer Placebo-kontrollierten, doppelblinden Phase-III-Studie zur Antiemese bei Radiochemotherapie zur Verfügung. Die Studie untersuchte Wirksamkeit und Sicherheit einer Dreifachantiemese unter Einschluss des intravenösen NK1-RA Fosaprepitant während einer mindestens 5-wöchigen Radiochemotherapie mit wöchentlich verabreichtem Cisplatin bei Patientinnen mit Zervixkarzinom(4). In Deutschland hatte neben dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein auch Feyer, Direktorin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Vivantes Klinikum Berlin Neukölln, Patientinnen in die Studie eingebracht. „Die Patientinnen sind bis zu 6 Wochen unter Therapie, es gilt also mit der Antiemese jeden einzelnen Tag dieser Gesamtphase abzudecken“, erläuterte die Strahlentherapeutin. Primärer Endpunkt der Studie war somit „kein Erbrechen“ an Tag 1-35. Die Dreifachantiemese sei prinzipiell allein aufgrund der Applikation von Cisplatin notwendig, hinzugekommen seien aber eine Reihe patientenbezogener Risikofaktoren wie weibliches Geschlecht, junges Alter, ängstliche Persönlichkeit und ein geringer Alkoholkonsum, so Feyer. Die Patientinnen erhielten an Tag 1 der Chemotherapie entweder eine Dreifachantiemese bestehend aus 150 mg Fosaprepitant i.v., 0,25 mg Palonosetron i.v. und 16 mg Dexamethason (Dex) oral oder im Kontrollarm ein Placebo plus 0,25 mg Palonosetron i.v. und 16 mg Dex oral. In beiden Armen wurde außerdem an den Tagen 2-4 Dex gegeben. 65,7% der Frauen, die die Dreifachantiemese mit Fosaprepitant, erhalten hatten, mussten während der gesamten 5 Wochen (Tag 1-35) nicht erbrechen gegenüber 48,7% im Kontrollarm. Das kumulative Risiko für Erbrechen war damit signifikant reduziert (Sub Hazard Ratio 0,58 [95% CI 0,39-0,87] (p=0,008)). Auch bei den folgenden sekundären Endpunkten ergab sich ein signifikanter Vorteil für das Fosaprepitant-haltige Regime: komplettes Ansprechen Tag 1-35 (p = 0,007), kein Erbrechen Tag 1-35 (p = 0,048), kein Einsatz von Notfallmedikation Tag 1-35 (p = 0,007) sowie keine Übelkeit Tag 1-35 (p = 0,007). Die Antiemese mit Fosaprepitant war dabei sehr gut verträglich.


Dreifachantiemese neu empfohlen bei Carboplatin, Mehrtages- und Hochdosischemotherapie sowie bei Kindern

„Im Bereich der Antiemese bei Chemotherapie ist die bahnbrechende Neuigkeit des Updates der MASCC/ESMO-Leitlinien die Sonderstellung von Carboplatin-basierten Chemotherapien innerhalb der Gruppe der moderat emetogenen Chemotherapien (MEC) und die Empfehlung einer Dreifachantiemese mit einem NK1-Rezeptorantagonisten“, berichtete Feyer. Neben der Einordnung der zahlreichen neuen Substanzen in der Onkologie in die emetischen Risikoklassen wurden Anthrazyklin/Cyclophosphamid (AC)-Kombinationen als hoch emetogen eingestuft und die Empfehlung ausgesprochen, Olanzapin im Rahmen einer Dreifachantiemese in Erwägung zu ziehen, wenn die Übelkeit im Mittelpunkt steht. Außerdem wird eine Dreifachkombination mit Aprepitant bei Hochdosischemotherapien und bei Mehrtageschemotherapien mit Cisplatin empfohlen. „Die DGHO hat in ihren Onkopedia-Leitlinien Antiemese bei medikamentöser Tumortherapie(5) die Empfehlungen von MASCC/ESMO sehr übersichtlich dargestellt“, berichtete Feyer und fügt hinzu: „In den aktuellen MASCC/ESMO-Leitlinien leider nicht berücksichtigt wurde die Bedeutung patientenbezogener Risikofaktoren für die Auswahl der individuell notwendigen Antiemese“.


Aktuelle Daten vom ESMO bestätigen Vorteil der Dreifachantiemese bei Carboplatin

Viel Beachtung auf dem diesjährigen ESMO-Kongress fand eine Analyse einer Phase-III-Studie, die eine signifikante Erhöhung der Komplettansprechraten auf die Antiemese durch die Dreifachantiemese mit Fosaprepitant bei Patienten unter verschiedenen MEC (ohne AC) in der verzögerten und Gesamtphase zeigte: Bei den mit der Dreifachantiemese behandelten Patienten waren die Komplettansprechraten in der verzögerten Phase bei Patienten, die eine MEC mit Carboplatin erhalten hatten, mit 78,2% und bei Patienten, die eine MEC ohne Carboplatin erhalten hatten, mit 79,6% ähnlich und durchgängig höher als bei Patienten, die nur mit einem 5-HT3-RA + Dexamethason behandelt worden waren (64,1% bzw. 73,1%) (6). „Von dem zusätzlichen Einsatz von Fosaprepitant profitierten alle Subgruppen, am deutlichsten diejenigen Patienten, die ein Carboplatin-basiertes Regime erhielten, was die Empfehlungen der MASCC untermauert“, kommentierte Feyer die Ergebnisse.


Antiemese bei Kindern: Aprepitant als Pulver für Suspension verfügbar

Weitere wesentliche Änderungen der MASCC/ESMO-Leitlinie betreffen die Antiemese bei Kindern: Für Kinder, die eine HEC erhalten, wird eine Dreifachantiemese mit Aprepitant empfohlen. Ist Dexamethason kontraindiziert, soll bei HEC und MEC ein 5-HT3-RA plus Aprepitant gegeben werden. „Der Erkrankungsgipfel bei malignen Erkrankungen bei Kindern liegt unter 12 Jahren. Viele dieser meist noch sehr kleinen Kinder mit Tumorerkrankungen bekommen hoch oder moderat emetogene Chemotherapieregime über einen sehr langen Zeitraum. Eine wirksame Antiemese ist deshalb ausgesprochen wichtig, trotzdem hatten wir bis vor kurzem kaum Daten aus klinischen Studien zur Antiemese bei Kindern“, berichtete Feyer. Eine internationale randomisierte Phase-III-Studie mit 307 Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 6 Monaten und 17 Jahren unter MEC oder HEC konnte zeigen, dass die Kombination aus Aprepitant plus Ondansetron +/- Dexamethason die Komplettansprechraten gegenüber dem Standardregime bestehend aus Ondansetron +/- Dexamethason signifikant steigerte(7). Die unerwünschten Ereignisse waren in allen Alters-Subgruppen zwischen den beiden Studienarmen vergleichbar, Nebenwirkungen der Antiemese waren selten. „Ein schöner Fortschritt, über den wir als Therapeuten sehr froh sind, ist, dass Aprepitant seit Oktober 2016 für Säuglinge ab 6 Monaten, Kleinkinder und Kinder bis 12 Jahren auch als Pulver zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen zur Verfügung steht – das ermöglicht eine genaue, gewichtsabhängige Dosierung“, so Feyer. Jeder Beutel enthält 125 mg Aprepitant, nach Rekonstitution enthält 1 ml der Suspension zum Einnehmen 25 mg Aprepitant.


Komplementärmedizin als zusätzliche Säule der onkologischen Therapie

Dr. Steffen Wagner, Saarbrücken, widmete sich in seinem Vortrag einem Teilbereich der Onkologie, der in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat und von den Patienten zunehmend nachgefragt wird: der komplementären Medizin. Der Gynäkoonkologe hält die Komplementärmedizin für eine weitere Säule der Tumortherapie, neben Operation, Strahlentherapie und medikamentöser Therapie. Komplementärmedizin sei zwar ein Bereich der Medizin, der größtenteils auf Erfahrungswissen beruhe, doch werde dieses in jüngerer Zeit durch wissenschaftliche Evidenz ergänzt.

Wagner grenzte die komplementäre Krebsmedizin, die sich als Ergänzung zur Schulmedizin versteht, von der alternativen Medizin ab. Letztere lehne Leitlinien und wissenschaftliche Evidenz ab und bringe onkologische Patienten häufig dazu, den Kontakt zur Schulmedizin abzubrechen – zum Nachteil der Patienten. Im Gegensatz dazu verfolge die Komplementärmedizin bzw. integrative Medizin das Ziel, die klassischen onkologischen Verfahren zu unterstützen, Nebenwirkungen von Tumortherapien zu reduzieren, die Symptome der Krebserkrankung zu reduzieren und nicht zuletzt die Therapieadhärenz der Patienten zu fördern(8). Wagner berichtete, dass an vielen Kliniken heute komplementärmedizinische Ambulanzen bestehen bzw. neu eingerichtet werden. Die ersten dieser Ambulanzen werden demnächst von der NATUM (Arbeitsgemeinschaft für Naturheilkunde, Akupunktur, Umwelt- und Komplementärmedizin in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, DGGG e.V.), deren Vorstandsmitglied Wagner ist, zertifiziert werden.

Als wichtige Indikationen für die komplementäre Medizin sieht Wagner die typischen mit einer onkologischen Therapie assoziierten Symptome, insbesondere Fatigue, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Schmerz, körperliche Inaktivität und Antriebslosigkeit. Es gebe mittlerweile gute Evidenz dafür, dass eine komplementäre Therapie diese Symptome vermindern und die Lebensqualität der Patienten verbessern könne, während die Datenlage für eine Lebensverlängerung durch komplementäre Maßnahmen vergleichsweise dünn sei.

Wagner widmete sich drei ausgewählten Themen der Komplementärmedizin, die – neben Sport und Bewegung – für Tumorpatienten, insbesondere Patientinnen mit Mammakarzinom, von besonderer Bedeutung sind: der Misteltherapie, der Therapie mit Selen und der Supplementation von Vitamin D.


Misteltherapie: Wirksamkeit durch wissenschaftliche Daten zunehmend untermauert

Die Misteltherapie hat laut Wagner eine lange Tradition in der Medizin. Ursprünglich aus der Anthroposophie stammend findet die Misteltherapie mittlerweile zunehmend Eingang in die wissenschaftlich orientierte Medizin. „Es steckt viel mehr in der Mistel, als ihr vom anthroposophischen Denken zugeschrieben wird“, betonte Wagner. Die wichtigsten wirksamkeitsmitbestimmenden Inhaltsstoffe der Mistel sind Mistellektine, Viscotoxine, Flavonoide, Poly- und Oligosaccharide und Peptide. In vitro und teilweise auch in vivo lassen sich laut Wagner immunmodulierende Effekte und eine Freisetzung von -Endorphin nachweisen, in vitro weiterhin eine DNA-Stabilisierung, antiangiogene und apoptotische sowie tumorzellnekrotische und zytotoxische Effekte.

Klinisch gibt es gute wissenschaftliche Evidenz für eine Verbesserung der Lebensqualität durch Mistelextrakt. In einer Metaanalyse prospektiv randomisierter Studien aus dem Jahr 2010 zeigten sich in 22 von 26 ausgewerteten Studien psychopathologische Verbesserungen unter der Misteltherapie inklusive Fatigue, Erbrechen/Übelkeit, Appetitlosigkeit und Angst, assoziiert mit einem besseren Coping (9). Zu vergleichbaren Ergebnisse kam auch ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2008 (10). Für Wagner steht damit fest, dass die Misteltherapie bei den meisten Patienten mit soliden Tumoren, insbesondere Patientinnen mit Mammakarzinom, die Lebensqualität günstig beeinflusst, die krebsassoziierte Fatigue vermindert und die Nebenwirkungen konventioneller Therapien reduziert. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit der Misteltherapie ist sich Wagner auch sicher, dass mit Hilfe des sehr sicheren Verfahrens auch Therapieabbrüche verhindert werden. Kontraindiziert sei die Mistel allerdings bei hämatologischen Malignomen.


Selen supplementieren – aber nur bei nachgewiesenem Mangel

Auch die Therapie mit Selen hat laut Wagner eine große Bedeutung für die klinische Onkologie. Selen ist ein wichtiges Spurenelement, Bestandteil von Glutathiontransferasen und bedeutsam für die Stabilisierung der DNA. Aus großen epidemiologischen Studien ist bekannt, dass ein niedriger Blutselenspiegel mit einem höheren Risiko assoziiert ist, an einem Malignom zu erkranken. Wagner betonte, dass Selenmangel in unseren Breiten häufig ist. „Wir haben in Deutschland im Gegensatz zu den USA selenarme Böden“, so der Gynäkologe.

Bei Tumorerkrankungen liegt häufig ein Selenmangel vor. Besonders hoch sei der Selenbedarf bei Patienten, die unter einer Strahlen- oder Chemotherapie stehen. In solchen Situationen müsse supplementiert werden, oftmals auch für einen gewissen Zeitraum „über das Maß hinaus“, allerdings erst, nachdem ein Selenmangel im Blut sicher nachgewiesen sei. Durch eine zeitlich begrenzte Selensupplementation könnten die Nebenwirkungen einer Chemo- oder Strahlentherapie verringert werden, so Wagner. Eine strahlentherapeutische Studie hatte gezeigt, dass durch eine Selensupplementation (500 µg/Tag an Radiotherapie-Tagen und 300 µg an Radiotherapie-freien Tagen) bei Frauen, die aufgrund einer gynäkologischer Erkrankung eine Bestrahlung des Unterleibs erhielten, verminderte Blutselenspiegel nicht nur normalisiert werden konnten, sondern auch eine signifikante Verminderung der Diarrhoerate dokumentiert wurde(11). Aus Wagners Erfahrung ist eine Selentherapie – verminderte Blutselenspiegel vorausgesetzt – auch sinnvoll bei Patientinnen, die die Chemotherapie schlecht vertragen. Durch eine i.v. Selengabe vor der Chemotherapie könne eine deutliche bessere Verträglichkeit und eine verminderte Fatigue in den Folgetagen erreicht werden, so der Gynäkologe. Sehr bedeutsam sei in diesem Zusammenhang, dass Selen die Wirkung einer onkologischen Therapie nicht abschwächt und die Prognose der Patienten nicht verschlechtert.


Vitamin D-Supplementation für den Knochenstoffwechsel

Tumorerkrankungen gehen ebenfalls häufig mit einem Vitamin D-Mangel einher, wie Wagner berichtete. Es gebe Hinweise darauf, dass eine Unterversorgung mit Vitamin D bei Frauen mit Mammakarzinom mit einer schlechteren Prognose einhergehe, doch könne hier aufgrund der Datenlage noch keine endgültige Aussage getroffen werden. Aus Metaanalysen sei jedoch bekannt, dass die Mortalität bei bestimmten Tumorerkrankungen unter Vitamin D-Mangel erhöht sei. Die Frage, ob eine Korrektur niedriger Vitamin D-Spiegel das Erkrankungsrisiko und die Prognose von Tumorpatienten verbessert, werde derzeit in einer großen Studie geklärt. Wagner: „Wir wissen noch nicht, ob ein niedriger Vitamin D-Spiegel möglicherweise nur Abbild anderer physiologischer Vorgänge ist, die für die schlechtere Prognose zuständig sind.“

Unabhängig davon solle aber bei Patientinnen mit Mammakarzinom, die oftmals eine Chemotherapie hinter sich haben und/oder eine Antihormontherapie erhalten, aus osteologischen Gründen auf eine gute Versorgung mit Vitamin D geachtet werden. „Bei diesen Frauen müssen wir den Vitamin D-Spiegel normalisieren, um den Knochenstoffwechsel nicht zusätzlich zu verschlechtern“, betonte der Saarbrücker Arzt. Es solle aber keinesfalls blind substituiert werden, sondern immer erst nach Bestimmung der Vitamin D-Blutspiegel. Wagner empfiehlt, bei betroffenen Patientinnen mit niedrigen Vitamin D-Spiegel – nach seiner Erfahrung sind dies etwa zwei Drittel der Patientinnen mit Mammakarzinom – das Vitamin zunächst hochdosiert mit öligen Substanzen zu supplementieren (20.000 Einheiten pro Woche). Nach drei Monaten könne dann nach einer erneuten Bestimmung der Blutspiegel auf eine niedrig dosierte tägliche Substitution gewechselt werden.


Literaturverweise

  1. Hortobagyi GN et al. ESMO Presidential Symposium, ESMO Congress 2016, LBA1_PR
  2. Hortobagyi GN et al. N Engl J Med 2016;375:1738-1748
  3. Roila F et al. 2016 MASCC and ESMO guideline update for the prevention of chemotherapy- and radiotherapy-induced nausea and vomiting and of nausea and vomiting in advanced cancer patients. Ann Oncol 2016; 27 (suppl 5): v119-v133.
  4. Ruhlmann CH et al. Lancet Oncol 2016;17:509-18
  5. Onkopedia Leitlinie „Antiemese bei medikamentöser Tumortherapie“. Abrufbar unter https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/antiemese-bei-medikamentoeser-tumortherapie/@@view/html/index.html ; letzter Zugriff 9.11.2016
  6. Weinstein C, et al. Ann Oncol 2016; 27 (Supplement 6):vi498, Abstract 14350
  7. Kang et al. Lancet Oncol 2015;16:385-94
  8. Hack CC et al. Geburtsh Frauenheilk 2013; 73: R65-R80
  9. Kienle GS, Kiene H. Integr Cancer Ther 2010; 9: 142-157.
  10. Horneber MA et al. The Cochrane Collaboration, Wiley 2008
  11. Mücke R et al. Int J Radiation Oncol 2011; 78: 828-835


Autorinnen: Mascha Pömmerl, Feldkirchen-Westerham und Dr. Claudia Schöllmann, Grasbrunn
 


Quelle: Fachpresse-Workshop der POMME-med GmbH am 20.10.2016 in München; Gemeinsame Sponsoren: MSD SHARP & DOHME GmbH, Mundipharma GmbH & Co. KG, Novartis Pharma GmbH (tB).

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