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Risikostratifizierung und „maßgeschneiderte“ nephrologische Prävention der Zukunft durch „Proteomics“?

 

Prof. Dr. Gerhard Anton Müller, Göttingen

 

Göttingen (28. September 2009) – Angesichts der gravierenden Folgen, die eine chronische Nierenerkrankung (CKD) in ihrem Verlauf mit sich bringen kann, ist nicht nur eine frühestmögliche Diagnosestellung und Therapieeinleitung das Ziel, sondern besonders auch die Prävention bzw. nicht-invasive Identifikation CKD-gefährdeter Menschen.

Die Ursache der meisten chronischen Nierenerkrankungen ist jedoch meist multifaktoriell bedingt und oft nicht einmal vollständig aufgeklärt. Auch bei ein und derselben CKD-Diagnose kann der Verlauf von Patient zu Patient ganz unterschiedlich sein (z.B. IgA-Nephritis, diabetische Nephropathie). Ähnliche Probleme stellen sich oft bei der Prognoseabschätzung des akuten Nierenversagens hinsichtlich seiner Reversibilität.

Entsprechend unterschiedlich sollten die Therapien sein, ein voraussichtlich schwerer CKD-Verlauf sollte auch aggressiver behandelt werden (bis hin zur „personalized medicine“).

 

Was ist Proteomics?

Bei manchen chronischen Erkrankungen kann gegenüber Gesunden eine veränderte Proteinzusammensetzung verschiedener Körperflüssigkeiten (Serum, Speichel, Urin…) gefunden werden. Die entsprechenden biotechnologischen Verfahren, die das Auffinden dieser Unterschiede ermöglichen nennt man systematische Proteom-Analyse (=Proteomics). Das „Proteom“ ist die Gesamtheit der Proteine einer Zelle, eines Organismus oder einer biologischen Flüssigkeit, darstellbar als spezifisches Proteinmuster. Im Gegensatz zum Genom (Gesamtheit aller Gene eines Individuums) ist das Proteom dynamisch. Es verändert sich abhängig von äußeren Einflüssen (Krankheit, Temperatur, Hormonsituation, Medikamenteneinnahmen, Stress, Zellzyklus).

 

Die zugrunde liegende Idee für eine klinische Anwendung ist, anhand eines gegenüber gesunden Menschen veränderten Proteinmusters bestimmte Krankheiten zu diagnostizieren – und zwar sogar bevor sie ausbrechen. Das macht eine neue Dimension der Früherkennung möglich.

 

Eine solche klinische Proteomics ist zwar bereits schon für einige Bio-Marker-Proteine möglich, steckt jedoch generell noch in den Kinderschuhen. Denn für den klinischen Routineeinsatz sind wie für jedes diagnostische Verfahren eine strenge Reproduzierbarkeit und standardisierte Bedingungen der Probengewinnung und -analysen erforderlich. Um die Voraussetzungen zu schaffen, arbeiten Kliniker, Wissenschaftler, Statistiker und andere Spezialisten auf internationaler Ebene intensiv zusammen in der Human Proteome Organisation (HUPO), in Human Kidney and Urine Proteome Project (HKUPP) wie auch in European Kidney and urine proteomics (EuroKup). Denn erst wenn die Proteomics-Ergebnisse auch validierbar sind, ist der Weg „from bench to bedside“ geebnet. Dazu müssen die spezifischen Proteinmuster von Patienten mir denjenigen Gesunder vergleichend analysiert werden, was sich am Beispiel erster Ergebnisse bei diabetischer Nephropathie demonstrieren lässt.

 

 

Proteomische Urinanalyse könnte bei Diabetikern frühzeitig einen Nierenbeteiligung anzeigen

 

Welchen Stellenwert die Proteomics zukünftig bei der Früherkennung und Diagnose einer diabetischen Nephropathie einnehmen könnte, zeigte 2007 eine Studie, bei der Urin-Proteomics an vier Patientengruppen durchgeführt [1] wurde: an Patienten mit Diabetes mellitus Typ II und Nephropathie (Albuminurie), Patienten mit Diabetes mellitus Typ II ohne Nephropathie, Patienten mit nicht-diabetischer Nephropathie und gesunde Probanden. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Proteinmuster der Gruppen signifikant unterschieden. Im Gegensatz zu Patienten mit diabetischer Nephropathie enthielt der Urin von Gesunden, von Diabetikern ohne Nephropathie sowie von Patienten mit nicht-diabetischer Nephropathie große Mengen des Proteins “m/z 6188” (p <0,0000004) (eine kurze Form von Ubiquitin). Den Diabetikern mit Nierenschädigung fehlte also dieses Protein in der Urinanalyse, dagegen fand man bei ihnen große Mengen des „m/z 14 766“-Proteins (ein ubiquitin ribosomal Fusionsprotein: UbA52). Ein Screening nach diesem Protein könnte also zeigen, ob ein Diabetiker bereits eine – klinisch vielleicht noch gar nicht erkennbare – Nephropathie hat oder entwickeln wird. So könnten „Risikopatienten“ identifiziert werden, die einer intensiveren Betreuung und Therapie bedürfen, um die Entstehung einer diabetischen Nephropathie möglichst lange hinauszuzögern.

 

 

Große Hoffnungen für die Zukunft

 

Eine Proteomics-basierte Risikostratifizierung könnte auch bei vielen weiteren nephrologischen Erkrankungen zum Einsatz kommen, woran bereits geforscht wird. Dazu zählt die chronische Transplantatabstoßung, der Nachweis von Nierenarterienstenosen, das Akute Nierenversagen, differentialdiagnostische Schwierigkeiten bei Peritonealdialyse-Patienten oder pädiatrische Problemfälle. Manche Patienten mit in der Kindheit durchgemachter – möglicherweise sogar unproblematisch verlaufenen – Nierenerkrankung können im Erwachsenenalter eine schwere CKD entwickeln. Entsprechende Bio-Marker könnten hier anzeigen, welche Patienten ein solches Risiko haben und daher lebenslang nephrologisch kontrolliert werden sollten.

 

Letztendlich geht es immer um ein individualisiertes Vorgehen für Diagnostik, Therapie, Verlaufsüberwachung und Risikomanagement mit dem Ziel, möglichst vielen Patienten eine Dialysetherapie zu ersparen.

 

 

Stammzellen

 

Bereits seit vielen Jahren wird dem Gebiet der Stammzellforschung in der Medizin viel Aufmerksamkeit gewidmet. Therapien mit Stammzellen gelten in vielen Bereichen – z.B. bei der Behandlung kindlicher Leukämien – heute bereits zur Standardtherapie. Seit vielen Jahren untersuchen auch die Nephrologen Stammzellen als mögliche Therapieoption bei Nierenerkrankungen. Gerade bei diesen Nierenerkrankungen im terminalen Stadium ist bisher nur Dialyse oder Transplantation möglich – eine Alternative wird dringend benötigt. Viele Arbeiten zu Stammzellen und deren Regenerations- und Heilungspotential werden heute weltweit von verschiedenen Gruppen vor allem im Mausmodell untersucht.

 

Auf dem aktuellen Kongress werden dazu am Sonntag in der Sitzung „Stammzellen und Organregeneration“ internationale Experten aus den USA, Italien und Göttingen zum aktuellen Informationsstand informieren.

 

Aus den USA werden von Prof. Goligorsky neue Ergebnisse zum Einsatz von Stammzellen beim akuten Nierenversagen vorgestellt. Ein Mitarbeiter dieser Arbeitsgruppe wechselte vor einem Jahr nach Göttingen, so dass hier ein entsprechender Kontakt weiter besteht und die Forschung in Göttingen fortgesetzt wird.

 

Die italienische Arbeitsgruppe um Prof. Romagnani berichtet auf dem Kongress über Stammzellen und deren Regenerationspotential an der Niere und gehen der Frage nach, wie und welche Schäden an der Niere sich künftig durch Stammzellen behandeln lassen.

 

Göttingen spielt durch die Entdeckung der spermatogonialen Stammzellen- also Stammzellen die bei männlichen Mäusen aus dem Hoden gewonnen werden – eine wichtige Rolle, da diese Entdeckung durch die Göttinger Wissenschaftler Prof. Dr. Engel (Humangenetik) und Prof. Dr. Hasenfuss (Kardiologie) erst vor drei Jahren gemacht wurde. Prof. Engel wird Ergebnisse zu ersten gemeinsamen Untersuchungen mit der Göttinger Nephrologie – auch im Hinblick auf eine zukünftigen mögliche Verwendung dieser Stammzellform in der Nierenheilkunde – vorstellen.

 

Bisher sind die weltweit gewonnenen Forschungsergebnisse zu Stammzellen und deren Einsatz bei chronischen oder akuten Nierenerkrankungen vielversprechend, ein Einsatz beim Menschen ist aber derzeit noch nicht möglich.

 

Neue bildgebende Verfahren

 

Derzeit befindet sich die diagnostische Bildgebung in einem Wandlungsprozess. Während noch heute klassische „beschreibende Verfahren“ anatomische und morphologische Veränderungen diagnostizieren, stehen neue und innovative bildgebende Verfahren bereits in der Erprobung. Während bisher z.B. durch Röntgen oder Computertomographie Bilder bereits eingetretener Veränderungen (z.B. Knochenbruch oder Tumorwachstum) gemacht werden, versuchen die Forscher nun mit den neuen Verfahren der sogenannten „Molekularen Bildgebung“ bereits die ersten Veränderungen auf Zellebene zu sehen. Diese „Molekulare Bildgebung“ stellt damit eine wesentliche Verbesserung in der Diagnostik dar, bildet sie doch die Ereignisse zum einen früher und zum anderen präziser ab. Es lassen sich mit Hilfe dieser bereits in der Grundlagenforschung eingesetzten Methoden z.B. einzelne Tumorzellen, aber auch immunkompetente Zellen im Gefäßsystem einer lebenden Maus nachweisen oder die Wirkung von Medikamenten auf einen Tumor in der Maus farbig sichtbar machen. Die Grenzen zwischen Mikroskopie, Computertomographie und anderen Verfahren verschwimmen dabei, da bereits jetzt verschiedene Verfahren zu neuen multimodalen Verfahren verschmelzen. Das kommt auch dem Patienten zugute. So lassen sich bereits heute Effekte bestimmter Therapeutika auf eine Erkrankung direkt sichtbar machen. Eine individuelle Patiententherapie mit besserer Wirkung, vor allem im Bereich der Tumortherapie ist die klare Konsequenz aus dieser Entwicklung.

 

Auf der Tagung wird dieser Entwicklung nun auch auf dem Gebiet der Niere Rechnung getragen. Am Montag stellen internationale Experten Ihre Ergebnisse in der Sitzung „Molecular & Optical Imaging“ vor.

 

Dabei wird von Experten aus den USA, England, Heidelberg und Göttingen ein Überblick über die bisher erzielten Ergebnisse an Mensch und Maus berichtet. Neben neuen Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung (USA), leuchtenden Nierentumoren in Mäusen (Göttingen) und der Visualisierung von Stammzellen bei der Regeneration von Nierengewebe (England) wird auch der Vorteil dieser Entwicklungen für den Patienten im Rahmen besser verträglicher Kontrastmittel und damit besserer Darstellung der Niere mittels Tomographie (Heidelberg) herausgearbeitet.

 

 

Literatur

 

  1. Dihazi H, Müller GA, Lindner S et al. Clin Chem 2007; 53 (9):1636-45

 


 

Quelle: Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie in Göttingen am 28.09.2009 (albersconcept) (tB).

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