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Auf der Suche nach dem Jungbrunnen: Klotho / FGF23 – die neuen „Global Player“ in der Nephrologie, aber auch in der „Anti-Aging“- Medizin

 

Prof. Dr. Jan Galle, Lüdenscheid

 

Göttingen (28. September 2009) – Eine chronische Nierenerkrankung (CKD) ist ein sehr potenter „Aging-Beschleuniger“: Die kardiovaskuläre Mortalität eines 35-jährigen Dialysepatienten entspricht derjenigen eines gesunden 80-jährigen [1]. CKD-Patienten leiden typischerweise an schweren Gefäßverkalkungen und haben spezifische Veränderungen in der Zusammensetzung ihres Blutes. So weisen sie erhöhte Phosphat- und FGF23-Blutspiegel, aber verminderte „Klotho“ Spiegel auf [2]. Was sind „Klotho“ und FGF23, und wie können diese Faktoren zur erhöhten kardiovaskulären Mortalität der Nierenkranken beitragen?

 

 

Klotho und FGF 23 – zwei „Jungmacher“, die zusammenspielen

 

Der Name „Klotho“ entstammt der griechischen Mythologie: Klotho, eine Tochter des Zeus, war die Göttin, die den menschlichen Lebensfaden spinnt. Das gleichnamige Gen spielt beim Menschen möglicherweise eine ähnliche Rolle. Es wurde vor 12 Jahren bei einem Mäusestamm entdeckt, der frühzeitig typische Alterserscheinungen entwickelt und eine verkürzte Lebenserwartung hat [3]. Tiere mit Klotho-Mutation entwickeln unter anderem verstärkt Arteriosklerose, Osteoporose, Haut- und Muskelatrophie, Lungenemphysem, Kognitionsdefizite und Hörverlust.

 

Die Wirkmechanismen des von Klotho kodierten Proteins im menschlichen Organismus werden zunehmend erforscht. Das Klotho-Protein wird in der Niere exprimiert, und zwar in zwei Formen: membranständig mit enzymatischer Wirkung und als freie, zirkulierende Form, die hormonartige Eigenschaften aufweist.

 

Eine Klotho-Überexpression verlängert die Lebenserwartung der Mäuse [4], und sogar bei Menschen wurden Klotho-Genpolymorphismen identifiziert, die mit variierenden Alterungsprozessen einhergehen [5]. Entsprechend können verminderte „Klotho“ Spiegel zu vorzeitigem Altern beitragen.

 

Das FGF23-Gen wurde in mutierter Form erst im Jahr 2000 bei Patienten entdeckt [6]. FGF23 (Fibroblast Growth Factor) gehört zur Familie der Fibroblasten-Wachstumsfaktoren [7]. FGF23 wirkt als sogenanntes Phosphatonin, d.h. es senkt den Serumphosphatspiegel. Dies geschieht indem es die renale Phosphatausscheidung fördert („Phosphaturie“). Zur Phosphaturie kommt es, da FGF23 in der Niere die aktive Phosphat-Rückresorption hemmt. Nach derzeitigem Kenntnisstand spielt FGF23 also in der Regulierung des Phosphathaushaltes eine wichtige Rolle, vergleichbar mit Parathormon und Calcitonin im Calciumhaushalt. Bei Über- oder Unterexpression von FGF23 kommt es zum Krankheitswert.

 

Physiologischerweise wird FGF23 im Knochen und möglicherweise auch in Zellen des Gefäßsystems gebildet, sein Sekretionsreiz ist ein Phosphat-Anstieg im Serum. FGF23 steigert die renale Phosphatausscheidung und bremst gleichzeitig im Sinne eines Gegen-Hormons die renale Vitamin D3 (Calcitriol)-Bildung, bzw. beschleunigt dessen Abbau [8].

 

Lange Zeit war für FGF23 kein zugehöriger Rezeptor bekannt, denn an allen anderen bekannten FGF-Rezeptoren bindet es nur schwach [9].

 

Die zwei Gene bzw. die durch sie kodierten Proteine Klotho und FGF23 wurden lange jedes für sich erforscht, ehe man erkannte, dass die beiden, die zunächst nichts miteinander zu tun zu haben schienen, im jeweiligen knock-out-Maus-Modell zu identischen Alterungs-Erscheinungen mit Hyperphosphatämie, Hypercalcämie und D-Hypervitaminose führten [3, 10, 11]. Klotho stellt, wie man heute nun weiß, einen obligaten Co-Faktor (Co-Rezeptor) für FGF23 dar [12, 13]: Ohne Klotho kann FGF23 nicht gebunden werden und wirken, die FGF23-Spiegel steigen bei Klotho-Mangel im Mausmodell an. Bezüglich der Alterungserscheinungen sind diese Klotho defizienten Tiere (trotz hoher FGF23-Spiegel) identisch mit FGF23 defizienten Tieren.

 

 

Klotho und FGF23 bei chronischer Nierenerkrankung (CKD)

 

Die ausgeprägte renale Klotho-Bildung macht die Nieren unter vielen FGF-Rezeptoren exprimierenden Geweben zum passenden Zielorgan für FGF23. Gemeinsam mit der Phosphat-Aufnahme im Darm, der Mobilisation des Phosphat-Speichers „Knochen“ und der Ausscheidung über die Nieren stellt die Knochen-Nieren-Achse, auf der FGF23 und Klotho als Botenstoffe fungieren, die grundlegende Komponente der Phosphatregulation dar. Eine Phosphatbelastung führt zur FGF23-Sekretion aus dem Knochen und FGF23 wirkt in den Nieren -wo es auf Klotho trifft- phosphaturisch. Der durch FGF23 ausgelöste Produktions-Stop von Vitamin D3 trägt zusätzlich zur negativen Phosphatbilanz bei (denn ohne Vitamin D3 sinkt die Phosphataufnahme im Darm). Vitamin D3 selber besitzt übrigens ebenfalls eine FGF23-induzierende Wirkung und bremst sich im Sinne eines negativen Feedbacks selber. Bezüglich der renalen Klotho-Expression besitzt Vitamin D3 (Calcitriol) eine fördernde Wirkung [14].

 

Nach aktuellen Studien könnte nicht nur ein Klotho-Mangel in der Pathogenese der CKD relevant sein, sondern umgekehrt hatte eine Klotho-Überexpression in Mausmodellen sowohl bei chronischem [15] als auch bei akuten Nierenversagen [16] eine nephroprotektive Wirkung.

 

Hohe Serumphosphat- und hohe FGF23-Spiegel sind unabhängige Mortalitätsrisikofaktoren bei CKD-Patienten [17], und sogar im Normalbereich gelegene, jedoch „hoch-normale“ Phosphatspiegel korrelieren mit einer erhöhten Gesamtmortalität [18].

 

Die FGF23-Spiegel steigen bei CKD an, lange bevor ein erhöhter Phosphatspiegel messbar wird [19]. Das könnte ein wichtiger Hinweis darauf sein, dass eine FGF23-Resistenz eine der frühesten Veränderungen im Phosphathaushalt bei CKD ist. Auch wenn vieles noch unerforscht ist, so könnte doch ein renaler Klotho-Mangel bzw. Unterexpression ursächlich für die FGF23-Resistenz sein.

 

Vorausgesetzt, dass das Serum-FGF23 ein Surrogatmarker für die renale Klotho-Expression ist, könnte die Tatsache, dass hohe FGF23-Spiegel mit einer schlechten Prognose von Dialysepatienten assoziiert sind, dafür sprechen, dass für die verkürzte Lebenserwartung der Patienten primär die erniedrigte renale Klotho-Expression verantwortlich ist.

 

All diese Erkenntnisse bestätigen die Gefahr, die bei der Pathophysiologie der CKD vom gestörten Phosphatstoffwechsel ausgeht. Etliche andere Fragen bleiben dabei allerdings noch offen.

 

Unstrittig bleibt, dass die Hyperphosphatämie konsequent behandelt werden muss, um die Prognose der CKD-Patienten zu verbessern. Auch die übliche Calcitriol-Supplementierung kann dazu beitragen, diesen Circulus vitiosus zu unterbrechen, da so – neben vielen anderen wichtigen Vitamin D3-Wirkungen- die renale Klotho-Expression gefördert wird [14]. Optimalerweise sollte der Phosphathaushalt gar nicht erst beginnen zu entgleisen, ein Ziel, das mit allen momentan möglichen Therapieoptionen noch nicht erreichbar ist.

 

In diesem Kontext kann mit Spannung einer möglichen zukünftigen therapeutischen Beeinflussung von Klotho und FGF23 entgegengesehen werden.

 

 

Literatur

 

  1. Meyer KB, Levey AS. Controlling the epidemic of cardiovascular disease in chronic renal disease: report from the National Kidney Foundation Task Force on cardiovascular disease. J Am Soc Nephrol (1998) 9:S31–S42
  2. Koh N, Fujimori T, Nishiguchi S, et al. Severely reduced production of Klotho in human chronic renal failure kidney. Biochem Biophys Res Commun (2001) 280:1015–1020
  3. Kuro-o M, Matsumura Y, Aizawa H, et al. Mutation of the mouse Klotho gene leads to a syndrome resembling ageing. Nature (1997) 390:45–51
  4. Kurosu H, et al. Suppression of aging in mice by the hormone klotho. Science. 2005;309:1829–33
  5. Arking DE, et al. Association of human aging with a functional variant of klotho. Proc. Nat Acad. Sci (USA). 2002;99:856–61
  6. White KE, Evans WE, O’Rlordan JLH, et al. Autosomal dominant hypophosphataemic rickets is associated with mutations in FGF23. Nat Genet (2000) 26:345–348
  7. Yamashita T, Yoshioka M, Itoh N. Identification of a novel fibroblast growth factor, FGF-23, preferentially expressed in the ventrolateral thalamic nucleus of the brain. Biochem Biophys Res Commun (2000) 277:494–498
  8. Liu S, Tang W, Zhou J, et al. Fibroblast growth factor 23 is a counter-regulatory phosphaturic hormone for vitamin D. J Am Soc Nephrol (2006) 17:1305–1315
  9. Yu X, Ibrahimi OA, Goetz R, et al. Analysis of the biochemical mechanisms for the endocrine actions of fibroblast growth factor-23. Endocrinology (2005) 146:4647–4656
  10. Shimada T, Kakitani M, Yamazaki Y, et al. Targeted ablation of Fgf23 demonstrates an essential physiological role of FGF23 in phosphate and vitamin D metabolism. J Clin Invest (2004) 113:561–568
  11. Yoshida T, Fujimori T, Nabeshima Y. Mediation of unusually high concentrations of 1,25-dihydroxyvitamin D in homozygous Klotho mutant mice by increased expression of renal 1alpha-hydroxylase gene. Endocrinology (2002) 143:683–689
  12. Kurosu H, Ogawa Y, Miyoshi M, et al. Regulation of fibroblast growth factor-23 signaling by Klotho. J Biol Chem (2006) 281:6120–6123
  13. Urakawa I, Yamazaki Y, Shimada T, et al. Klotho converts canonical FGF receptor into a specific receptor for FGF23. Nature (2006) 444:770–774
  14. Tsujikawa H, Kurotaki Y, Fujimori T, et al. Klotho, a gene related to a syndrome resembling human premature aging, functions in a negative regulatory circuit of vitamin D endocrine system. Mol Endocrinol (2003) 17:2393–2403
  15. Haruna Y, Kashihara N, Satoh M, et al. Amelioration of progressive renal injury by genetic manipulation of Klotho gene. Proc Natl Acad Sci USA (2007) 104:2331–2336
  16. Sugiura H, Yoshida T, Tsuchiya K, et al. Klotho reduces apoptosis in experimental ischaemic acute renal failure. Nephrol Dial Transplant (2005) 20:2636–2645
  17. Gutierrez OM, Mannstadt M, Isakova T, et al. Fibroblast growth factor 23 and mortality among patients undergoing hemodialysis. N Engl J Med (2008) 359:584–592
  18. Tonelli M, Sacks F, Pfeffer M, et al. Relation between serum phosphate level and cardiovascular event rate in people with coronary disease. Circulation (2005) 112:2627–2633
  19. Gutierrez OM, Isakova T, Rhee E, et al. Fibroblast growth factor-23 mitigates hyperphosphatemia but accentuates calcitriol deficiency in chronic kidney disease. J Am Soc Nephrol (2005) 16:2205–2215

 


 

Quelle: Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie in Göttingen am 28.09.2009 (albersconcept) (tB).

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