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Neues aus der Hypertensiologie
Prof. Dr. Jörg Plum, Kassel
Göttingen (28. September 2009) – Ca. 25-30 Mio. Menschen haben in Deutschland einen hohen Blutdruck, allerdings werden nur schätzungsweise ca. 30 % von ihnen optimal behandelt [1]. Neueste Studien schätzen die Hypertonie-Prävalenz der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland zwischen 25 % und 55 % [2]. Die Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung steigt mit dem Alter. Nach Daten des Bundesgesundheitssurveys aus dem Jahr 1998 (BGS98) sind allein 80 % aller über 65-Jährigen hyperton [3].
Bei mehr als 90 % der Betroffenen handelt es sich um eine sogenannte primäre bzw. essentielle Hypertonie, d.h. es ist keine Grundursache zu eruieren (im Gegensatz zur sekundären Hypertonie, die z.B. bei einer Schilddrüsenüberfunktion auftritt). Die Entstehung der essentiellen Hypertonie ist multifaktoriell und noch nicht vollständig aufgeklärt. Veranlagung bzw. Genmutationen spielen eine Rolle, hinzu kommen ursächlich und verstärkend im Sinne einer Zivilisationskrankheit Bewegungsmangel, salz- und fettreiche Ernährung, „Stress“, Nikotin, Adipositas und z.B. auch das Schlafapnoe-Syndrom. Die langjährige Symptomlosigkeit macht die Hypertonie gefährlich: Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Gefäßschäden aller Art (pAVK, Retinopathie, Demenz oder chronische Niereninsuffizienz) können die Folgen sein. Aggraviert werden diese Schäden durch weitere „Volkskrankheiten“ wie Diabetes und Rauchen. Nahezu jeder zweite Todesfall ist heutzutage hypertonieassoziiert kardiovaskulär bedingt. Eine arterielle Hypertonie schädigt auf Dauer auch die Nierenfunktion. Allein bei 50-90 % aller Nierenkranken liegt eine arterielle Hypertonie vor [4]. Um einen chronischen Nierenfunktionsverlust zu verlangsamen und eine „drohende“ Dialyse hinauszuschieben oder gar zu verhindern, gehört zur daher Therapie die medikamentöse Blutdrucksenkung (auf Werte unter 130/80 mmHg, je tiefer, desto besser, besonders bei bestehender Eiweißausscheidung im Urin).
Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) als wichtiger Regulator
Der Blutdruck wird über das RAAS-System gesteuert. Bei Aktivierung des Systems erhöht sich der Blutdruck und so liegt bei vielen Hypertonie-Formen eine anhaltende Überaktivität des RAAS zugrunde. Bei der RAAS-Aktivierung kommt es zunächst zur Freisetzung von Renin aus der Niere, das enzymatisch Angiotensin I von Angiotensinogen abspaltet. Das Angiotensin I wird anschließend durch das Angiotensin Converting Enzyme (=ACE) in Angiotensin II verwandelt. Angiotensin II ist ein sehr starker Vasokonstriktor und erhöht so via Gefäßverengung direkt den Blutdruck. Gleichzeitig bewirkt Angiotensin II in der Nebenniere die Ausschüttung von Aldosteron, einem Hormon, welches durch Senkung der Urinmenge das intravasale Volumen und so ebenfalls den Blutdruck erhöht. Darüber hinaus führt Angiotensin II in der Hypophyse zur Freisetzung von ADH (Antidiuretisches Hormon, auch Vasopressin). ADH reduziert die Urinproduktion (über einen anderen Mechanismus als Aldosteron) und erhöht somit ebenfalls Blutvolumen und -druck.
Nephrologen, Kardiologen und andere Grundlagenforscher haben im Laufe der Zeit das komplexe System immer besser erforscht. Dabei konnte gezeigt werden, dass nicht nur der Blutdruck von diesem System beinflusst wird, sondern auch andere Gewebeveränderungen ausgelöst werden, die z.B. mit unerwünschtem vermehrtem Zellwachstum oder Entzündungsprozessen einhergehen.
Die modernen Blutdrucksenker greifen an verschiedenen Stellen in diese Kaskade ein, die sowohl positiv den Blutdruck beeinflussen als auch „gewebeprotektiv“ wirken. Dazu gehören die sog. ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blocker.
Neues medikamentöses Wirkprinzip: Direkte Renin Blockade
Ein neues Wirkprinzip stellt Aliskiren dar, ein direkter Renin-Hemmer, dar, der seit Ende 2007 auf dem deutschen Markt ist. Als einziges Präparat hemmt Aliskiren gleich den ersten Schritt in der RAAS-Kaskade und verhindert so die mögliche körpereigene Gegenregulation, was die Effektivität des Medikaments erhöht. Aliskiren ist gemäß aktueller Datenlage auch besonders vielversprechend bei Patienten mit beginnender Nierenerkrankung: Die 2008 abgeschlossene AVOID-Studie (Aliskiren in the Evaluation of Proteinuria in Diabetes) [5] zeigte an 599 Diabetikern mit Nephropathie, dass Aliskiren – zusätzlich zu einer Therapie mit ATII-Blockern – die Proteinurie mindert. Die Proteinurie ist ein entscheidender Indikator, aber auch Promotor für Nierenschäden. Die Studie belegt somit die eigenständige, substanzspezifische renoprotektive Wirkung des Renin-Hemmers über die einfache Blutdrucksenkung hinaus.
Genetische Marker
Das Ansprechen der Patienten auf die verschiedenen Antihypertensiva ist erfahrungsgemäß recht unterschiedlich. Die Erforschung der zugrundeliegenden genetischen Variabilität (SNPs etc.) kann es in Zukunft einfacher machen „Prognosen“ für eine Nieren- oder Gefäßschädigung zu treffen und eine individualisierte Therapie zu entwickeln.
Zukünftige Therapieansätze
Impfung gegen Bluthochdruck
Patienten mit essentieller Hypertonie müssen lebenslang blutdrucksenkende Tabletten einnehmen, die Erkrankung ist also nicht im eigentlichen Sinne heilbar. Ein Therapieansatz, der die tägliche Medikamenteneinnahme erspart, und zwar die sogenannte Angiotensin II-Impfung, wurde bereits in klinischen Studien der Phase 1 und 2 untersucht [6, 7]. Die zugrunde liegende Idee funktioniert analog einer Impfung: Im Impfstoff werden dem Patienten Angiotensin II-Bestandteile verabreicht. Das Immunsystem reagiert darauf mit einer Antikörperbildung gegen körpereigenes Angiotensin II und diese Antikörper neutralisieren dann das Angiotensin II, so dass es nicht mehr blutdruckwirksam ist.
Der Impfstoff muss allerdings mehrmals im Jahr aufgefrischt werden und könnte somit das Compliance-Problem lösen – denn leider halten sich viele Hypertoniker nicht an die vorschriftsmäßige Einnahme ihrer blutdrucksenkenden Medikamente und sind deswegen nicht optimal versorgt. Klinische Phase 2 Studien der ersten verfügbaren Substanz „CYT006_AngQb“ erbrachten bisher noch nicht einheitliche Ergebnisse (von wirksam bis unwirksam). Derzeit werden von unterschiedlichen Pharmafirmen alternative „Impfstoffe“ untersucht. Eine baldige Perspektive für die klinische Praxis ist daher noch nicht zu erwarten ist. Das Prinzip einer „echten“ Anti-Hypertonie-Impfung ist aber eine sehr interessante Zukunftsperspektive.
Renale Denervierung: Den Bluthochdruck „wegoperieren“
Die chronische RAAS- und Sympathikus-Aktivierung spielen bei der Genese und Aufrechterhaltung einer Hypertonie eine Schlüsselrolle. Die beteiligten Nerven verlaufen in der Bindegewebsschicht (Adventitia) der Nierenarterien. Diese Nerven können mittels Katheter mit Hochfrequenzstrom Katheter-basierter Radiofrequenzablation „ausgeschaltet“ werden, woraufhin die nervale Überaktivität unterbrochen wird und als Konsequenz der Blutdruck absinkt. Der Eingriff erfolgt über die Femoralarterie wie beim Herzkatheter und könnte erstmals ein Therapieansatz zur Heilung einer Hypertonie darstellen.
Weltweit wurden bereits über 100 therapieresistente Hochdruck-Patienten (die auf drei oder mehr Antihypertensiva nicht ansprachen) auf diese Weise erfolgreich behandelt.
Literatur
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Middeke M. Epidemiologie und Behandlungsstatus der Hypertonie in Deutschland. 2008; S. 869-881
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Endemann DH et al „Pathophysiologie der arteriellen Hypertonie“. In: Straub R.H. Lehrbuch der klinischen Pathophysiologie komplexer chronischer Erkrankungen, Göttingen 2007.
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Robert Koch Institut. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 43. Berlin 2008.
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Ridao N et al. Prevalence of Hypertension in Renal Disease. NDT 2001; 16 (1): 70 -73
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Parving HH et al. Aliskiren Combined with Losartan in Type 2 Diabetes and Nephropathy. N Engl J Med 2008; 358 (23):2433-2446
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Tissot AC et al. Effect of Immunisation Against Angiotensin II with CYT006-AngQb on Ambulatory Blood Pressure: A Double-blind, Randomised, Placebo-controlled Phase IIa Study. Lancet 2008; 371 (9615): 821-827
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Phisitkul S. CYT-006-AngQb, A Vaccine Against Angiotensin II for the Potential Treatment of Hypertension. Curr Opin Investig Drugs. 2009; 10 (3): 269-75
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Robert Koch Institut. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin 2008, Heft 43.
Quelle: Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie in Göttingen am 28.09.2009 (albersconcept) (tB).