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Epigenetische Therapie und Histon-Deacetylase (HDAC)-Hemmung:
Ein neues Wirkprinzip in der Krebstherapie
Von Prof. Dr. med. Michael Lübbert,
Abteilung Innere Medizin I, Schwerpunkt Hämatologie/Onkologie, Medizinische Universitätsklinik Freiburg
Wiesbaden (30. März 2008) – Epigenetische Prozesse sind Schlüsselmechanismen der Regulation von Genexpression und – im Gegensatz zu genetischer Information – dynamisch reguliert. Die DNA-Methylierung von Genpromoter-Regionen dient deren kontrollierter Inaktivierung in spezialisierten normalen Zellen, für deren Funktion die Expression nur eines Bruchteils ihres gesamten genetischen Repertoires notwendig ist. Umgekehrt erlaubt genspezifische Demethylierung in diesen Zellen die koordinierte und vererbbare Genexpression von Proteinen, welche für die Zellfunktion essentiell sind. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass in Tumorzellen eine pathologische Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen und anderen das Zellwachstum kontrollierenden Genen durch aberrante Promoter-Hypermethylierung eintritt. Diese pathologischen Hypermethylierungen bieten somit Zielstrukturen für eine rationale Krebstherapie. So sind von der Food and Drug Administration (FDA) zwei DNA-methylierende Substanzen vor kurzem für die Behandlung von myelodysplastischen Syndromen (MDS), einer Form der Präleukämie, zugelassen worden.
Ein zweiter epigenetischer Schlüsselmechanismus ist das transkriptionelle Gen-"silencing" durch die Modifikation von Histonen, die zu reversiblen Strukturveränderungen der DNA-Struktur führen. Ein neues Wirkprinzip in der Onkologie macht sich eben diesen epigenetischen Prozess zunutze, um über Strukturveränderungen des Chromatins die Transkription von Genen, die an der Tumorentstehung beteiligt sind, zu beeinflussen: Vorinostat (SAHA, Suberoylanilide Hydroxyamic Acid) ist ein von der FDA bereits beim kutanen T-Zell-Lymphom zugelassener Inhibitor von Histon-Deacetylasen. In einem großen klinischen Studienprogramm wird seine Wirkung bei verschiedenen soliden Tumoren und hämatologischen Neoplasien untersucht.
Genregulation durch Modifizierung der Histone
Histone sind kleine basische, positiv geladene Zellkernproteine, die sich zu Komplexen, sogenannten Nukleosomen, zusammenschließen (je zwei Histonproteine vom Typ H2A, H2B, H3, H4), um die sich der DNA-Strang wickelt. Mit Hilfe dieser Nukleosome wird die fadenförmige DNA im Zellkern platzsparend angeordnet ("verpackt"). Posttranslationale Modifizierungen von Aminosäuren der Histone (vor allem durch Acetylierung, Methylierung oder Phosphorylierung) haben einen starken Einfluss darauf, inwieweit diese den DNA-Strang für den Transkriptionsapparat freigeben oder aber blockieren können.
So katalysieren Histon-Acetyltransferasen (HAT) die Übertragung negativ geladener Acetylgruppen auf die Histone. Dadurch stoßen sich die Moleküle stärker von der ebenfalls negativ geladenen DNA ab, die DNA-Struktur wird lockerer – Transskriptionsfaktoren finden den Zugang zur DNA, die Gene können abgelesen werden. Die Deacetylierung von Histonen durch Histon-Deacetylasen (HDAC) bewirkt das Gegenteil: regulatorische Genabschnitte werden für die Transkription durch die enge Bindung der Proteine an die DNA blockiert.
Über diese Form der epigenetischen Transkriptionskontrolle wird auch die Expression von Genen beeinflusst, die an der Tumorentstehung beteiligt sind, wie die Tumorsuppressorgene (z.B. p53) oder an der Kontrolle des Zellzyklus beteiligte cyclinabhängige Kinaseinhibitoren (z.B. p21).
Vorinostat inhibiert HDAC und aktiviert die Genexpression
Werden die HDAC inhibiert, resultiert dies in einer Lockerung der DNA-Struktur, da die reguläre Histon-Acetylierung weiterläuft. Der HDAC-Inhibitor Vorinostat interagiert mit einem Zinkatom im katalytischen Zentrum verschiedener HDAC-Isoenzyme und verhindert dadurch die Deacetylierung von Histonen. Die Folge ist eine erhöhte Genexpression.
In der Zellkultur führte die Substanz zum Zellzyklus-Arrest und zur Induktion von Apoptose, dem programmierten Zelltod. Xenograft-Modelle von Kolorektalkarzinomen zeigten, dass die Genexpression durch Vorinostat in zwei Wellen – zunächst nach vier Stunden und dann nach etwa zwölf Stunden – verändert wird. Vor allem der zweite Aktivitätsgipfel scheint für die antitumorale Wirkung verantwortlich zu sein, da er Gene betrifft, die für die Regulation von Angiogenese, Zellzyklus und Hypoxie wichtig sind.
Vorinostat scheint seine Wirkung jedoch nicht nur über die Deacetylierung von Histonen und die damit verbundenen transkriptionellen Effekte zu entfalten, sondern kann auch andere Proteine wie z.B. das Hitzeschockprotein Hsp90 – direkt und funktionell – durch Hyperacetylierung inhibieren. Diese nicht-transkriptionellen Effekte tragen möglicherweise über eine Immunmodulation und Angiogenesehemmung zur antitumoralen Wirkung von Vorinostat bei.
Eine Besonderheit von Vorinostat ist der gezielte Effekt auf Tumorzellen: Während die Substanz dosisabhängig in transformierten Zelllinien den programmierten Zelltod auslöst und so das Absterben großer Zellmengen bewirkt, werden nicht-maligne Zellen weniger beeinträchtigt. Dies beruht vermutlich auf dem spezifischen Einfluss von Vorinostat auf tumorassoziierte Inaktivierungsmechanismen an Tumorsuppressorgenen und Regulatoren des Zellzyklus.
Bisherige klinische Ergebnisse
In Zelllinien und Tiermodellen hatte Vorinostat eine Aktivität bei zahlreichen soliden Tumoren (Prostata, Mamma, Kolon, Lunge) und hämatologischen Neoplasien gezeigt. Anschließende Phase-I-Studien sprachen für eine gute Bioverfügbarkeit der Substanz bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren. Hierbei ergaben sich erste Hinweise auf eine klinische Aktivität bei einem breiten Spektrum solider Tumore und hämatologischer Neoplasien.
Das Verträglichkeitsprofil von Vorinostat ist unspezifisch; am häufigsten wurden Müdigkeit (Fatigue), gastrointestinale Nebenwirkungen wie Diarrhö, Hyperglykämie und Hypokaliämie, seltener auch Anämie und Thrombozytopenie beobachtet. Zudem scheint Vorinostat gut mit Zytostatika und neuen Biologica kombinierbar zu sein und als Radiosensitizer zu wirken.
Vorinostat wurde in einer Phase-II-Studie erfolgreich bei über 70 Patienten mit kutanen T-Zell-Lymphomen als Drittlinientherapie eingesetzt. 30% der Patienten sprachen auf die Behandlung mit einer objektiven Remission (≥ 50%-ige Abnahme der Tumorlast) an. Bei einem weiteren Drittel der Patienten wurde eine geringer ausgeprägte Tumorschrumpfung erreicht. Vorinostat führte zu einer Linderung des krankheitsbedingten Juckreizes, der die Lebensqualität betroffener Patienten stark beeinträchtigt. Auf Basis dieser Studiendaten wurde Vorinostat im Oktober 2006 für die Drittlinientherapie des kutanen T-Zell-Lymphoms von der amerikanischen FDA zugelassen.
Entsprechend seinem breiten antitumoralen Wirkspektrum wird Vorinostat jetzt in einem großen klinischen Prüfprogramm beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC), Mesotheliom, multiplen Myelom und myelodysplastischen Syndrom (MDS) meist im Rahmen von Kombinationstherapien geprüft.
Erste günstige Ergebnisse beim NSCLC
Eine vielversprechende Aktivität zeigte Vorinostat in einer Phase-I-Studie bei 19 Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC. Die Substanz wurde mit Paclitaxel/Carboplatin kombiniert, einem der derzeitigen Standards in der First-line-Therapie des metastasierten NSCLC. Die Dreifachtherapie wurde maximal sechs Zyklen lang verabreicht. Patienten, die auf die Therapie ansprachen, erhielten Vorinostat anschließend als Erhaltungstherapie bis zur Progression.
Die Dreifachtherapie wurde insgesamt gut vertragen; die Nebenwirkungen waren überwiegend vom Schweregrad 1 und 2. Von den 19 NSCLC-Patienten sprachen 14 mit einer partiellen Remission (n=10) oder Stabilisierung (n=4) auf die Behandlung an. Weitere Remissionen oder zumindest Stabilisierung der Erkrankung wurden auch bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren und Mesotheliomen erreicht. Aufbauend auf diesen Daten wurde jetzt eine Studie der Phase II/III (Protokoll 058) zur Dreifachtherapie mit Paclitaxel/Carboplatin plus Vorinostat initiiert. Außerdem soll Vorinostat in einer Phase-I-Studie zusammen mit Gemcitabin/Cisplatin, dem europäischen Standard, bei NSCLC-Patienten geprüft werden.