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Blut ist dicker als Wasser – und strömt daher anders
Bremen (9. August 2019) — Die Art und Weise, wie Blut durch die Gefäße strömt, spielt eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, etwa Thrombosen und Arteriosklerose. Allerdings sind die physikalischen Grundlagen des Blutstroms kaum bekannt. Blut ist heterogener als Wasser und wird von einer Pumpe, dem Herzen, angetrieben, es pulsiert. Bisherige Experimente zum Strömungsverhalten basieren aber in der Regel auf Wasser, das sich gleichförmig bewegt. Ein interdisziplinäres Team aus der Physik, den Ingenieurswissenschaften und der Medizin will diese Wissenslücke nun schließen – mit dabei ist das Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen.
Pumpen und Kanäle, Herzen und Gefäße
Sowohl in technischen als auch biologischen Systemen sind pulsierende Strömungen allgegenwärtig. Durch die getaktete Beschleunigung der Flüssigkeit durch Pumpen – oder durch das menschliche Herz – entstehen häufig Phänomene, die zu technischen Problemen oder kardiovaskulären Erkrankungen führen können. Die neu eingerichtete Forschungsgruppe „Instabilitäten, Bifurkationen und Migration in pulsierender Strömung“ beschäftigt sich mit Krankheiten, die viele Menschen betreffen und nicht selten tödlich verlaufen: Ablagerungen in den Blutgefäßen, Thrombosen und ähnliche Leiden, bei denen sich Feststoffe im Blutkreislauf ablagern und den Blutfluss behindern, so dass im schlimmsten Fall das Herz-Kreislauf-System zusammenbricht. Diese Ablagerungen entstehen unter anderem dort, wo das Blut nicht mehr ideal strömen kann. Genaue Kenntnis des Strömungsverhaltens von Blut könnte also dabei helfen, die Ursachen dieser Krankheiten besser zu verstehen – und mittelfristig auch, diese Krankheiten zu vermeiden oder effektiver zu therapieren.
Die Grundlagen der Strömungsphysik von Blut und anderen ähnlich komplexen Flüssigkeiten, die überdies von einer Pumpe angetrieben werden, sind weitestgehend unerforscht. Nicht nur im menschlichen Körper, sondern auch in der Industrie fließen Flüssigkeiten nicht gleichförmig durch ein einfaches Röhrensystem. In den allermeisten Fällen pulsieren sie in einem bestimmten Takt. Vereinfacht gesagt: Sie sind mal langsamer (wenn die Pumpe gerade nicht pumpt) und mal schneller (wenn sie pumpt). Auch an verschiedenen Stellen des Röhrensystems variiert die Strömungsgeschwindigkeit oder es kommt zu Wechselwirkungen zwischen Strömung und Wand, was zu Verwirbelungen und Turbulenzen führt. Fließt zudem etwas anderes als Wasser durch die Leitungen, also etwa Blut oder Dispersionsfarben, und ist das Röhrensystem, durch das diese Flüssigkeiten strömen, so komplex wie das Blutgefäßsystem, werden Simulationen dieser Strömungen zu einer hochkomplizierten Angelegenheit.
Simulation des Blutkreislaufs
Dieser Herausforderung möchte sich die Forschungsgruppe nun stellen. In den kommenden Jahren erforscht sie, nach welchen Gesetzmäßigkeiten komplexe Flüssigkeiten durch solche Leitungssysteme fließen. Zunächst wird der Einfluss eines pulsierenden Antriebs auf das einfachste System, also Wasser, untersucht. Darauf aufbauend wird die Komplexität der Flüssigkeit erhöht, bis hin zur Zusammensetzung von Blut. Neben geraden Röhren werden verschiedene Strömungsgeometrien zum Einsatz kommen, wie zum Beispiel Krümmungen oder elastische Wände. Die eingesetzten Methoden reichen von Experimenten mit turbulenten Strömungen über Computersimulationen bis hin zu Messungen in Blutgefäßen. Das Ziel ist es, ein grundlegendes Verständnis von Blutströmungen zu erlangen und dadurch auch hochkomplexe wechselwirkende Prozesse in seine Bestandteile zerlegen zu können. Auf dieser Basis kann dann die dringend benötigte theoretische Beschreibung der Instabilitäten in Blutströmungen entwickelt werden.
Projektperspektive und Beteiligte
Am Ende der ersten Förderperiode von drei Jahren möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Grundlagen für ein tragfähiges theoretisches Modell für das Strömungsverhalten von Blut und ähnlichen Flüssigkeiten erarbeitet und mit Experimenten verifiziert haben. Falls die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) beschließt, die Forschungsgruppe in einer weiteren Periode zu fördern, könnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Erkenntnisse zu einem vollständigen physikalischen Modell der Blutströmung ausbauen.
Die Forschungsgruppe FOR 2688 „Instabilitäten, Bifurkationen und Migration in pulsierender Strömung“ wird von der DFG ab August 2019 für drei Jahre mit rund zwei Millionen Euro gefördert. 700.000 Euro davon erhält die Universität Bremen. Weitere Partner im Verbund sind die Universität des Saarlandes, die Universität Bayreuth sowie das Helmholtz-Institut Nürnburg-Erlangen, das IST in Klosterneuburg bei Wien und die eidgenössische Forschungsanstalt WSL in Zürich.
Quelle: Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM), 09.08.2019 (tB).