MEDIZIN

DOC-CHECK LOGIN

Die Psychotherapie beginnt am Arbeitsplatz

  • Forschungsprojekt des Universitätsklinikums Ulm hilft Menschen mit psychischen Belastungen direkt im Job. Das Ziel: Chronische Symptome vermeiden, Kosten für Sozialsysteme reduzieren.

Ulm (25. Juni 2020) — Psychische Erkrankungen werden oftmals erst dann diagnostiziert, wenn sie bereits weiter fortgeschritten sind. Das hat vielfältige Gründe: Arbeitnehmer*innen trauen sich nicht ärztliche Hilfe zu suchen oder zur Psychotherapie zu gehen, sie finden ambulant nicht sofort die richtige Therapeutin oder den richtigen Therapeuten, manchmal ignorieren Betroffene auch die Notwendigkeit einer Therapie. Eine neue Studie der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm und des von der Karl-Schlecht-Stiftung geförderten Kompetenzzentrum Ulm für seelische Gesundheit am Arbeitsplatz (LPCU) setzt genau dort an. Zusammen mit dem Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Düsseldorf leitet die Ulmer Psychosomatik hierzu einen Forschungsverbund.

Ein Team um die Studienleitung Oberärztin Dr. Eva Rothermund geht in klein- und mittelständische Betriebe, in Verwaltungen und größere Unternehmen und bietet dort einmal wöchentlich psychosomatische Frühberatungen an. Falls nötig sind im Verlauf auch Therapiesitzungen für psychisch erkrankte Arbeitnehmer*innen möglich. Das Ziel: Berufliche Teilhabe sichern. „Die frühe Intervention und arbeitsplatzbezogene Rehabilitation psychisch erkrankter Beschäftigter hilft vor allem den Betroffenen, rechtzeitig geeignete Hilfe zu bekommen. Aber auch dem jeweiligen Unternehmen ist geholfen, da Arbeitsausfälle dadurch reduziert und Sozialkassen entlastet werden“, sagt die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Dr. Eva Rothermund.

Die Beratungen und falls nötig anschließende Therapiesitzungen finden anonym statt, der Arbeitgeber weiß nicht, wer zu den Beratungen und zur Therapie kommt und erhält keinerlei Informationen darüber. Der Betriebsarzt vermittelt und wird mit Einverständnis der Beschäftigten hinzugezogen, unterliegt aber der Schweigepflicht. Die Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb findet i.d.R. einmal die Woche statt. Beratend sind die Ärzt*innen und Therapeut*innen des Universitätsklinikums Ulm bei Firmen aus der Region tätig. „Die bisherigen Erfahrungen legen nahe, dass unser Angebot klinisch ausgesprochen sinnvoll ist“, sagt Professor Dr. Harald Gündel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm.

Bereits seit acht Jahren gibt es dieses präventive Angebot, das in Vorstudien vielversprechende Ergebnisse geliefert hat und dessen Wirksamkeit jetzt in einer deutschlandweiten randomisierten Untersuchung überprüft werden soll. Das bedeutet für die Studie, dass die eine Gruppe Betroffener durch die Therapeut*innen der Uniklinik eine rasche klinische Erstberatung, Fachdiagnostik und ggfs. Therapieempfehlung bekommt, aber keine anschließende Therapie in der Firma erhält, sondern an ambulante Angebote weiterverwiesen wird. Die andere Gruppe erhält neben der Erstberatung auch eine Kurzzeit-Therapie am Arbeitsplatz. Wenn medizinisch notwendig, kommen im Einzelfall stationäre Rehabilitationsbehandlung, eine akut-psychosomatische Behandlung, und eine Unterstützung bei der anschließendem Reintegration an den Arbeitsplatz hinzu.

An der Studie teilnehmen können psychisch erkrankte Arbeitnehmer*innen der teilnehmenden Firmen, die zum Beispiel an Angststörungen, Schlafstörungen oder unter somatoformen Störungen wie Müdigkeit, Erschöpfung oder Schmerzsymptomen leiden. Die Studie startet zum 01. Juni 2020 mit Studienvorbereitungen, läuft bis 2024 an insgesamt fünf gleichbeteiligten Standorten in Deutschland und es werden 500 bis 600 Teilnehmer*innen eingeschlossen. Ab September 2021 beginnen dann die Beratungen und Therapien in den Unternehmen. 2,3 Millionen Euro Fördermittel wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und von der Deutschen Rentenversicherung zur Verfügung gestellt.

„Wir rechnen damit, dass die psychisch erkrankten Beschäftigten, denen wir auch eine Therapie anbieten, davon klinisch profitieren, und auch die Zeiten ihrer Arbeitsunfähigkeit geringer sein werden“, so Professor Gündel. Die AOK Baden-Württemberg, die Deutsche Rentenversicherung Bund sowie die Rentenversicherungen Baden-Württemberg und Braunschweig-Hannover unterstützen das Projekt. Das letztendliche Ziel: Eine dauerhafte Etablierung für dieses Therapieangebot am Arbeitsplatz im Katalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen.

„Psychisch erkrankte Menschen sind oftmals in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt, halten dies aber für persönliches Versagen. In einem Teufelskreis aus Rückzug, Scham und geringerer Leistungsfähigkeit erleiden die Betroffenen oft auch sozialen Schaden“, weiß Dr. Rothermund. Das sei für beide Seiten schlecht, für die Betroffenen, aber auch für die Arbeitgeber. Deshalb geht es im Projekt des Universitätsklinikums Ulm auch um „stay at work“ als essenzielle Erweiterung des bereits bekannten und ebenfalls involvierten Konzepts der „return to work“ Forschung.

Es wird vermutet, dass durch die aktuellen Corona-bedingten strukturellen Veränderungen in vielen Arbeitsbereichen seelische Belastungen am Arbeitsplatz eher noch zunehmen werden, und ein entsprechendes Angebot umso wichtiger ist.


Weitere Info
rmationen zum Projekt

Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm in Verbindung mit dem von der Karl-Schlecht-Stiftung geförderten Kompetenzzentrum für seelische Gesundheit am Arbeitsplatz (LPCU) leitet zusammen mit dem Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Düsseldorf einen größeren Forschungsverbund. Der Verbund besteht aus den Universitäten und Kliniken in Hildesheim, Erlangen, Heidelberg, dem Reha-Zentrum Seehof in Teltow und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) in Berlin. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Rentenversicherung (DRV).

 


Quelle: Universitätsklinikum Ulm, 25.06.2020 (tB).

Schlagwörter:

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…